Auszeichnung:Farbe und Klang der Zeit

Die Münchner Künstler Wörle und Krug erhalten den Seerosenpreis 2016

Von Thomas JORDan

"So ein Tisch ist reine Kommunikation. Der nivelliert die Unterschiede zwischen den Menschen. Und dann werden neue Zugänge möglich." Der Bildhauer Franz Ferdinand Wörle sitzt, einen Arm aufgestützt, am Gartentisch seines Ateliers in Grafing bei München. Wie er das so sagt, in seinem bedächtigen Bairisch, weißer Rauschebart, runde, dicke Brillengläser, wirkt er beinahe selbst wie eine Skulptur, ein Bayer wie aus dem Bilderbuch. Der 64-Jährige, der in diesem Jahr den Preis der Münchner Künstlervereinigung "Seerose" für sein Gesamtwerk erhält, ist ein angenehmer Gesprächspartner, einer, der sich viel Zeit nimmt für sein Gegenüber.

In der Kunst ist die Zeit Wörles wichtigster Gehilfe: Eine gute Woche braucht er, um seine mannshohen rötlichen Eisenstelen zurechtzuschneiden und die für ihn so charakteristischen, streng-geometrischen Formen in seiner Werkstatt herauszuarbeiten. Die klare Linien, die Recht- und Dreiecke, die er ins Eisen schneidet, sieht Wörle als geformte Zugänge für etwas, das hinter dem massiven Material liegt, und auf das sie verweisen: "Was das dann ist, das weiß ich selber nicht." Viele seiner Werke heißen "Seelenhäuser" und "Bodentore".

Auszeichnung: Franz Ferdinand Wörle ist einer der Preisträger.

Franz Ferdinand Wörle ist einer der Preisträger.

(Foto: Sabine Meyer)

Der spannendste Moment kommt für ihn aber erst, wenn die massiven Eisenstelen seine Werkstatt verlassen: "Es braucht eine Woche Oxidation bis zur Farbveränderung, und dann fängt die Natur an, Besitz zu ergreifen von den Arbeiten." Nach wenigen Jahren überziehen olivgraue Flechten die Stelen. Wörle versteht seine Eisenkunstwerke als "Zeitzeichen", er lässt das Eisen unbehandelt, damit sich ihnen der "Lebenskreislauf" aus "Kommen, Gehen und Vergehen" einprägen kann, wie er das nennt. Bezugspunkt ist dabei immer das menschliche Maß: "Mein Proportionsverhältnis weist immer auf eine menschliche Auseinandersetzung hin." Eine Eisentischskulptur kann daher bei ihm auch mal zwei Meter hoch sein. "Sie muss dann aber auch sechs Meter lang sein", sagt er auf seine zupackende Art.

"Formen für die Zeit zu finden", das treibt auch Tobias Krug um, den zweiten Seerosen-Preisträger. Der Medienkünstler lächelt schüchtern, als er das sagt, und zuckt mit den Achseln. "Große Worte" soll das wohl ein bisschen entschuldigend heißen. Große Worte für einen, der sich lieber in seinen Arbeiten ausdrückt als im Gespräch. Für das Kloster St. Ottilien hat er 2013 eine 40 Meter lange Wand auf dem Ordensgelände mit der Abfolge der Planetenstellungen seit 1903 bemalt, dem Jahr der Weihe des Kirchenchores. Wer sich der Arbeit mit dem Titel "Lautlose Impulse-Musik" nähert, aktiviert an dem blau-roten Intervallgemälde eine Lichtschranke, und es erklingt die Planetenbewegung von 111 Jahren, in Töne übersetzt: Die Veränderung in der Zeit als audiovisuelles Erlebnis.

Auszeichnung: Auch Tobias Krug bekommt den Seerosenpreis verliehen.

Auch Tobias Krug bekommt den Seerosenpreis verliehen.

(Foto: Sabine Meyer)

Der Lauf der Planeten steht im Zentrum seiner künstlerischen Suche nach den Formen der Zeit. Seit den späten Neunzigerjahren, als der heute 44-Jährige an der Münchner Akademie der Bildenden Künste studierte, lässt sich Krug von astronomischen Instituten Daten zu Sternenbewegungen geben, stellt eigene Berechnungen an und übersetzt dann die Winkelstellungen der Planeten in Glasfiguren, Malereien und Töne. Mehr als zehn Jahren arbeitet er nun schon an einer Aufgabe, die bereits den Renaissance-Astronomen Johannes Kepler umgetrieben hat: Er will erkunden, wie die Stellung der Planeten zueinander und die Intervalle in der Musik zusammenhängen.

Krug setzt den Umfang des Tierkreises mit einer Instrumentensaite gleich. Je nachdem, wie zwei Sterne zueinander stehen, wird die Saite dann geteilt, und unterschiedliche Tonabstände wie Quarten, Quinten oder Oktaven lassen den Abstand der Planeten als Tonfolge erklingen. Hört man sich auf seiner Planetenmusik-CD, die den schönen Titel "Zeitgeist" trägt, die Stellung der Sterne von 2003 bis 2005 an, dann wirken die langsamen, moll-lastigen Tonreihen tatsächlich wie Klänge von einem anderen Stern. Mitunter kann das etwas ermüdend sein. Für Tobias Krugs und Franz Ferdinand Wörles künstlerische Zeiterkundungen braucht man eben einen langen Atem.

Verleihung des Seerosenpreises 2016, Donnerstag, 11. August, 19 Uhr; Ausstellung Franz Ferdinand Wörle und Tobias Krug, Freitag, 12. August bis Sonntag, 28. August, Di. bis Sa. 13-19 Uhr, So. 11-17 Uhr, Kunstpavillon, Alter Botanischer Garten, Sophienstraße 7a

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