Auszeichnung:Der Nabel der Welt im Nirgendwo

Auszeichnung: Das Moosacher Meta-Theater ist ein Ort der Begegnungen über alle Ländergrenzen hinweg. Garant dafür ist seit 36 Jahren Hausherr Axel Tangerding.

Das Moosacher Meta-Theater ist ein Ort der Begegnungen über alle Ländergrenzen hinweg. Garant dafür ist seit 36 Jahren Hausherr Axel Tangerding.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Axel Tangerding hat mit seinem Meta-Theater in Moosach viel riskiert und Preiswürdiges gewonnen

Von Sabine Reithmaier, Moosach

Ein Preis hat etwas Befreiendes. "Er nimmt mir das Gefühl, gegen Gummiwände zu rennen", sagt Axel Tangerding. Angesichts des Erfolgs seines Meta-Theaters klingt das fast kokett. Vor 36 Jahren hat er es in Moosach (Landkreis Ebersberg) gegründet. Inzwischen weist ein Zunftzeichen am Maibaum auf die Spielstätte hin - ein Indiz dafür, wie sehr Tangerding im Dorf verwurzelt ist. "Nun würdigt die Akademie der Bayerischen Künste sein Engagement mit der Wilhelm-Hausenstein-Ehrung, die von der Friedrich-Baur-Stiftung dotiert wird."

Moosach ist nicht unbedingt der Nabel der Welt. Es hat keinen Bahnhof und nur 1500 Einwohner. Wer hier ein Theater betreibt, braucht nicht nur eine Vision, sondern auch eine ungeheure Zähigkeit, Kooperationsbereitschaft und die Fähigkeit, Kontakte zu knüpfen - Eigenschaften, die Tangerding reichlich besitzt. Vermutlich wäre er auch ein guter Unternehmer geworden, hätte der gebürtige Donauwörther denn Lust gehabt, den Betrieb seiner Eltern, die Südstahl GmbH, zu übernehmen. Er aber wollte 1968 lieber an der TU München Architektur studieren. Mutter Charlotte ließ die Söhne auf ihr Erbe verzichten und wandelte den Betrieb in eine Stiftung um. "Das war völlig klar für uns", erinnert sich Tangerding. Aber die Lösung ersparte ihm nicht, nach der Jahrtausendwende das insolvent gegangene Unternehmen abzuwickeln, die einzige längere schöpferische Pause, die es im Meta-Theater je gab.

Nach Moosach ist er schon als Student gezogen. Im alten Pfarrhof des Orts lebte eine Künstlerkommune, die ihn faszinierte. "Ich kam mit der irrigen Vorstellung, ich könne da ein Einzelzimmer haben." Wie "grauenhaft kalt" das Haus im Winter ist, erschließt sich ihm auch erst durch Erfahrung. Aber er hält durch. Einer seiner Mitbewohner ist der Spur-Maler Heimrad Prem mit seiner vielköpfigen Familie, auch der Bildhauer und Aktionskünstler Otto Dressler geht ein und aus.

An der TU brütet Tangerding über neuen Wohnformen, beteiligt sich an künstlerischen Aktionen, holt Menschen von der Straße, um zu ermitteln, wie viel Platz ein Einzelner braucht. Raus aus dem Hörsaal, rein in die Gesellschaft - der Geist der 68er erfasst auch das Theater. Tangerding ist zutiefst beeindruckt von der experimentierfreudigen Ellen Stewart, der Gründerin des New Yorker "La MaMa Experimental Theatre Club", die unbekannte Regisseure, Schauspieler oder Autoren Ideen erproben lässt. Ihren La MaMa-München-Ableger, dem Tangerding angehört, unterstützt sie, indem sie alle drei Monate neue Lehrer schickt. Nach zweieinhalb Jahren spaltet sich die Gruppe. Die einen wollen nur Theater spielen, die anderen auch politisch agitieren. La MaMa München endet, aber Tangerding nimmt sein Misstrauen gegen Langweiliges und Eingefahrenes mit.

1977 beschließt er, in Moosach ein Theater-Labor zu bauen, einen interdisziplinären Ort für Experimente mit Körper und Raum zu schaffen. Das Konzept der Bauhaus-Bühne eben. Tangerding baut ein leichtes, luftiges Haus. Sieben offene Halbebenen und große Glasflächen gliedern die Stahlkonstruktion mit den leichten Betonwänden. Auch der Bühnenraum ist hell, mit weißer Rückwand - "Künstler sollen lichtdurchflutete Räume haben". Überall Fußbodenheizung - die Winter im Pfarrhof haben ihn geprägt. Als er seine Entwürfe samt Kalkulation Stewart unterbreitete und wissen wollte, ob er das riskieren könne, weist sie ihn zurück, hat nur einen Rat parat: "Take a risk, not in life, but on stage."

Den Satz hat Tangerding beherzigt, er wird nachgerade sein Lebensmotto. Mit "Flechtungen - Der Fall Partzifall" startet er mit gleichgesinnten Schauspielern und Tänzern, unterstützt von einem Trägerverein, 1980 sein "Werkhaus Moosach". Der Name erweist sich schnell als zu sperrig für internationale Tourneen, muss dem griffigeren Meta-Theater weichen. Von Anfang an gelingt es Tangerding, große Namen nach Moosach zu locken. Nicht nur Ellen Stewart, sondern auch den japanischen Regisseur Yoshi Oida, der das Nô-Stück "Über den Berg kommen" einstudiert. Oder Anne Bogart, eine erfolgreiche Theatermacherin in den USA, die 1982 "Grid - Szenen eines Hauses" inszeniert.

Mitte der Neunzigerjahre hat sich das Theater als Ort für Außergewöhnliches etabliert. Der Dialog der Kulturen ist noch kein Thema, als Tangerding bereits große interkulturelle Produktionen wie "Gilgamesch" und "Babylon" mit Laienschauspielern aus der assyrischen Gemeinde Augsburgs realisiert. Einer seiner größten Erfolge aber ist das Musiktheater "Musicophilia" nach dem Buch des Neurologen Oliver Sacks. Die Fallgeschichten berichten, wie es sich anfühlt, wenn musikalische Empfindungen durch Fehlsteuerungen im Gehirn außer Balance geraten. Seit der Premiere 2012 ist das Stück unterwegs, in Deutschland, China, USA, Kanada, Finnland und der Ukraine. Heuer wurde es mit dem "Music Theatre Now"-Preis des Internationalen Theaterinstituts gewürdigt.

Tangerding, 2012 auch mit dem Tassilo-Kulturpreis der Süddeutschen Zeitung ausgezeichnet, könnte sich also zufrieden zurücklehnen und sich meditierend in das sanft wiegende Schilfgras vor seinen Fenstern versenken. Tut er aber nicht. Noch immer treibt ihn die Frage um, was Theater sein soll. Noch immer interessiert ihn das theatrale Experiment mehr als jede konventionelle Aufführung. Was sich in all den Jahren aber gefestigt hat, ist sein Interesse am Austausch von östlicher und westlicher Theaterkunst, weshalb der Nô-Meister Akira Matsui auch bei der Preisverleihung auftritt. Zuvor ist er aber im Meta-Theater zu erleben ( 9., 10.,11. Dezember, 20 Uhr).

Im Moment tüftelt Tangerding an einem neuen Projekt mit dem Arbeitstitel "Blind Spot". Und plant dazu eine Vortragsreihe zur Zukunft Europas. "Ein wichtiges Thema, das uns alle angeht", findet er. Als Architekt ist er übrigens auch noch tätig: Vor kurzem hat er ein Theater im schwedischen Dorf Riddarhyttan gebaut, 180 Kilometer nordwestlich von Stockholm. Im Bauhausstil und für nur 600 Einwohner. Und so gesehen ist Moosach doch näher am Nabel der Welt.

Öffentliche Preisverleihung mit Michael Krüger, Dieter Dorn und Nô-Meister Akira Matsui, Montag, 12.Dez., 19 Uhr, Akademie der Schönen Künste

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