Süddeutsche Zeitung

Auswirkungen von TTIP auf die Kultur:Ödnis statt kultureller Vielfalt

Würde TTIP das Ende der Buchpreisbindung bedeuten? Macht die amerikanische Kulturindustrie dann alles platt? Ein neues Gutachten warnt nun vor den Folgen der Liberalisierung für die deutsche Szene.

Von Johan Schloemann

Lässt sich die sogenannte "kulturelle Ausnahme" im Transatlantischen Freihandelsabkommen wirklich durchsetzen? Das ist die Sorge, die viele Fürsprecher der Kultur in Europa umtreibt. Kern des Streits ist die Frage, ob Kultur (auch) eine Ware ist - oder ein höheres Gut, das Schutz und Förderung des Staates verdient. Und: Wie weit fasst man den Kulturbegriff - gehören Subventionen für Mode-Messen oder für Computerspielentwickler auch dazu? Wenn US-Firmen durch das Abkommen zu sehr begünstigt werden, macht dann die amerikanische Kulturindustrie bald alles platt?

Bisher haben die EU-Verhandler stets beteuert, dass die "kulturelle Ausnahme" auf jeden Fall verteidigt werde - dass also auch in Zukunft Einschränkungen des Wettbewerbs und Subventionen im audiovisuellen Sektor und in der Kunst möglich seien. Das sagt die EU-Kommission ebenso wie Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU). Aber viele Vertreter der Kultur glauben ihnen nicht. Die Literaturszene hat Angst um die festen Buchpreise, die in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben sind, die Kino- und Fernsehlobby um die öffentliche Filmförderung.

Die Fraktion der Grünen im Bundestag hat jetzt ein Gutachten zu den Auswirkungen von TTIP auf den Kulturbereich in Auftrag gegeben, das der SZ vorliegt. Geschrieben hat es der Passauer Staats- und Welthandelsrechtler Hans-Georg Dederer. Der Juraprofessor kommt erwartungsgemäß zu dem Schluss, dass TTIP zu einer "Verödung der kulturellen Vielfalt" in Europa führen könne.

Diametrale Interessen

Das Rechtsgutachten der Grünen warnt vor den Folgen der Handelsliberalisierung für den Fall, dass die Unesco-Konvention "zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen" nicht in die Präambel des TTIP-Abkommens aufgenommen wird. Die USA sind diesem Übereinkommen der Kulturorganisation der UN von 2005, anders als 190 Staaten, nicht beigetreten.

Bei der staatlichen Regulierung von Kultur und Kreativindustrie seien die Interessen von EU und USA nun mal, so das Gutachten, "diametral gegenläufig". Deutschland und die EU müssten daher in den Verhandlungen deutlicher machen, dass sie weiterhin an den völkerrechtlichen Schutz von öffentlicher Kulturförderung gebunden sein werden.

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Quelle:
SZ vom 20.02.2015
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