Aust, Grashof und die RAF:"Der hat mich total übers Ohr gehauen"

Keiner habe mit der RAF so viel Geld verdient wie Ex-Spiegel-Chef Aust, wirft ihm ein Ex-Häftling vor. Nun kommt sein "Baader-Meinhof-Komplex" ins Kino.

Ruth Schneeberger

"Die Flüchtigen haben heute die Mentalität von Vogelfreien. Ihre Handlungen sind längst nicht mehr politisch zu rechtfertigen. Ihr Denken und Tun wird nur noch vom Willen des Überlebens bestimmt. Sie schießen, um noch einmal davonzukommen."

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Moritz Bleibtreu spielt Andreas Baader in dem Film "Der Baader-Meinhof-Komplex", ....

(Foto: Screenshot: bmk.film.de)

Zu diesem Urteil über die Mitglieder der RAF kam der Berliner Psychologe Helmut Kentler Anfang der siebziger Jahre. Damals hatte gerade ein Mitglied des "harten Kerns" der Rote-Armee-Fraktion, Manfred Grashof, einen Polizisten erschossen. Er war bei der Schießerei selbst erheblich verletzt worden. Ein Beamter aus der Sonderkommission des getöteten Kriminalbeamten sagte damals: "Jetzt ist es soweit. Wer zuerst schießt, überlebt."

Manfred Grashof hat dafür jahrelang im Gefängnis gesessen. Nach der Schießerei in einer Fälscherwerkstatt wurde Grashof schwer verletzt aus dem Krankenhaus in eine Zelle verlegt. Wie Stefan Aust, der ehemalige Spiegel-Chefredakteur, in seinem Klassiker "Der Baader-Meinhof-Komplex" schreibt, war es "eine normale Haftzelle, unhygienisch, mit offenem Klo in der Ecke, durch das Fenster wehte Sand herein. .... Tag und Nacht brannte - angeblich zu seiner eigenen Sicherheit - Licht in der Zelle."

Stefan Aust hätte über diese Zustände gerne selbst mit dem RAF-Mitglied gesprochen - doch Grashof schlug die Anfrage damals aus. "Ich kriegte damals von ihm einen Brief in den Knast, gleich so ranschmeißerisch, duzt mich, lieber Manfred und Genosse usw., ich schreibe gerade ein Buch, würde gerne deine Mitarbeit, usf. Ich habe direkt zurückgeschrieben: No!"

Dieses Nein habe Aust aber offenbar nicht ernst genommen, wirft ihm Grashof nun in einem Interview mit der taz vor. Zu Weihnachten habe er den "Baader-Meinhof-Komplex", der inzwischen als Standardwerk für den Deutschen Herbst gilt, ins Gefängnis geliefert bekommen, mit einer freundlich beschrifteten Visitenkarte von Stefan Aust: "Viel Spaß beim Lesen!"

Der sei ihm allerdings vergangen, als er Insiderwissen über sich in dem Buch gefunden habe, von dem Aust gar nichts habe wissen können. Unter anderem aus einem internen psychologischen Gutachten ("Top Secret") eines Gefängnispsychologen. Sein Anwalt habe ihm später mitgeteilt, Aust habe eine Angestellte seiner Anwaltskanzlei in Frankfurt zum Diebstahl veranlasst. Sie habe es für ihn aus den Akten gestohlen. Sein Anwalt habe die Frau daraufhin entlassen, aber da sei es schon "zu spät gewesen".

Was sie wollen

Heute ist Grashof, der ansonsten keine Interviews gibt, und mit der taz angeblich nur zu Ehren seiner ehemaligen Lebensgefährtin Dorothea Ridder redete, die einen Schlaganfall erlitten hat, ziemlich schlecht auf den Journalisten zu sprechen.

"Der hat mich ja total übers Ohr gehauen, die Drecksau", sagt er im Interview. "Keiner hat so viel Kohle mit der RAF gemacht wie der."

Stefan Aust selbst schweigt zu diesen Vorwürfen. Am Telefon gibt er an, er habe das Interview in der taz nicht gelesen und wolle auch nicht darüber sprechen. "Sollen sie doch alle schreiben, was sie wollen", gibt er freundlich, aber bestimmt, keine Auskunft.

Und das tun sie auch: Die Journalistin Bettina Röhl etwa hat auf das taz-Interview hin in ihrem Blog "Sex, Macht und Politik" auf welt.de den Vorgang aufgegriffen - und aus ihrer Sicht bestätigt:

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wer mit wem auf welche Weise verstrickt ist.

"Der hat mich total übers Ohr gehauen"

Sie habe Manfred Grashof schon 1999 zu einem ausführlichen Gespräch getroffen, er habe damals - "unbeeindruckt von zehn Jahren RAF-Medien-Diskussionen und Medienschaum" - spontan dasselbe erzählt wie heute.

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.... Martina Gedeck spielt Ulrike Meinhof. Auch sonst lässt die Liste der Schauspieler keine Wünsche offen.

(Foto: Screenshot: bmk.film.de)

Außerdem habe sie - ebenfalls schon 1999 - "ein sehr interessantes Interview" mit dem Frankfurter Anwalt Armin Golzem geführt, der ihr "von dem Vorfall mit Aust" berichtet habe. Golzem habe ihr damals "in vollem Umfang" bestätigt, dass Aust sich Mitte der achtziger Jahre für die Recherche an seinem Buch mit Hilfe einer Anwaltsangestellten Teile der Anwaltsakte Grashof, deren integraler Bestandteil das genannte psychologische Gutachten war, "rechtswidrig verschafft und dann auch noch Inhalte dreist veröffentlicht" habe.

Es sei das einzige Mal gewesen, dass sich jemand bei ihnen an geheimen Akten vergriffen habe. Die Anwaltsgehilfin, die das Gutachten für Stefan Aust aus der Kanzlei herausgeschmuggelt habe, sei damals "sofort gefeuert" worden. Aust habe danach "aber noch die Nerven gehabt", anzurufen, und zu fragen, "ob die Dame wieder eingestellt werden könnte", zitiert Bettina Röhl.

Im November 2000 habe sie selbst - Bettina Röhl - Stefan Aust nach dem Grashof-Gutachten gefragt und "postwendend eine eigenartig unwirsche Antwort von Aust per Fax bekommen".

So weit, so undurchsichtig. Es kommt aber noch mysteriöser: Sieht man sich einmal die Vita der Welt-Bloggerin Bettina Röhl an, wird man schnell zu dem Ergebnis kommen, dass sie selbst nicht ganz unbeteiligt am RAF-Geschehen war - wenn auch als passiver Part. Bettina Röhl ist die Tochter von Ulrike Meinhof, der führenden RAF-Frau, die 1976 tot in ihrer Zelle aufgefunden wurde.

Und um die Verwirrung komplett zu machen: Bettina Röhl wurde 1970 zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Regine von Mitgliedern der - damals noch nicht unter diesem Namen bekannten - RAF nach Sizilien verschleppt. Befreit wurden die beiden Kinder damals von keinem geringeren als: Stefan Aust, damals noch Redakteur bei der Hamburger Zeitung konkret. Vater der beiden Kinder ist der damalige konkret-Verleger Klaus Rainer Röhl. Aust war 1970 von konkret zum NDR gewechselt.

Sollen hier nun alte Rechnungen beglichen werden? Liegt in dem Drama um die RAF noch mehr im Dunkeln, als bisher bewusst war?

Röhl wirft Aust in ihrem Text weitere Fehler vor, unter anderem den falschen Umgang mit der RAF-Vergangenheit: "Es ist furchtbar, wenn sich jemand zum Historiker aufschwingt, der dem Faszinosum RAF erlegen ist", schreibt sie. Die "Gegenspieler Staat und RAF" gleichzusetzen, sei "der Trick der Stefan Auste, mit dem die RAF unüberwindbar und letzten Endes zum Mythos gemacht wurde, der nun endgültig zum Trauma der Gesellschaft der Bundesrepublik avancierte", so Röhl.

Who is Who

Offenbar ist sie dem Journalisten-Kollegen Aust gegenüber, der sie einst aus den Fängen ihrer Entführer rettete, weniger freundlich gestimmt als dem Mann, der damals in ihre Entführung verwickelt war, wie sie in dem Artikel als PS-Zusatz schreibt: "Grashof hat mir '99 auf meine Anfrage hin gesagt: Okay, Bettina, die RAF wollte dich nach Palästina verschleppen und ich war damals dabei." Derselbe Manfred Grashof also, dessen Glaubwürdigkeit Röhl stützt, hat ihre Verschleppung, die nach Palästina geplant war, offenbar unterstützt. Wem also kann man bei diesen Mehrfach-Verstrickungen noch glauben?

Fest steht, dass gerade in diesen Tagen wieder vermehrt Neuigkeiten über die RAF ans Tageslicht kommen: Zuerst scheitert die frühere Terroristin Birgit Hogefeld mit ihrem Gnadengesuch vor dem Oberlandesgericht Frankfurt. Nun tauchten Original-Fotos der toten Gefangenen aus Stammheim auf. Und am 25. September soll der "Baader-Meinhof-Komplex" als Film ins Kino kommen.

Eigentlich ein Jahr zu spät: Das 30. Jubiläum zum Deutschen Herbst ist bereits 2007 ausführlich in den Medien abgefeiert worden. Allerdings hat Bernd Eichinger, der den Film produziert, schon mit der Schauspielerauswahl dafür gesorgt, dass auch unbedarfte Zeitgenossen in Sachen RAF sich zu einem Kinobesuch in Sachen deutscher Geschichte entschließen dürften: Moritz Bleibtreu spielt Andreas Baader, Martina Gedeck die Terroristin Ulrike Meinhof. Bruno Ganz gibt als Gegenspieler den Leiter des Bundeskriminalamts, und der Rest der Truppe liest sich wie das Who is Who der beliebtesten deutschen Schauspieler: Hannah Herzsprung, Alexandra Maria Lara, Jan Josef Liefers, Nadja Uhl, Johanna Wokalek, Jasmin Tabatabai, Katharina Wackernagel, Anna Thalbach und Heino Ferch. Die Regie übernimmt Uli Edel ("Wir Kinder vom Bahnhof Zoo").

Auf den vorab veröffentlichten Pressefotos wirken die Hauptdarsteller noch recht verkleidet, Bleibtreu mit abgewetzter Lederjacke und Schmierlöckchen, Gedeck mit Pony und Achtziger-Jahre-Sonnenbrille. Es bleibt zu hoffen, dass sie bis zum Erscheinungsdatum in ihre gefährlichen Rollen hineingewachsen sein werden.

Stefan Aust hatte zum Start der Dreharbeiten verlauten lassen, es bestehe "eine verblüffende Ähnlichkeit". Die Schauspieler würden aber "nicht versuchen, die realen Personen zu imitieren, sondern ihre eigene Persönlichkeit einbringen." Der neuere Rummel um seine Person jedenfalls und um die Fragwürdigkeit der Beschaffung des Materials wird dem Film wohl eher nutzen als schaden.

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