Ausstellungskonzept:Wilde Meister

SZ Spezial zu "Utrecht, Caravaggio und Europa

Kurator Bernd Ebert will verdeutlichen, dass die Caravaggisten ziemlich lebendig waren – jung und revolutionär.

(Foto: Frank Stolle)

Die Alte Pinakothek holt die Barockzeit in die Gegenwart: Musik, Flashmobs und Videos ergänzen die Bilderschau, und so will Kurator Bernd Ebert das Revolutionäre an den Barockmalern begreifbar machen.

Von Johanna Pfund

Man kann nicht behaupten, dass Michelangelo Merisi (1571 - 1610), bekannt als Caravaggio, ein Kind von Traurigkeit gewesen wäre. Der Maler revolutionierte während seiner kurzen Lebenszeit die Kunst, er zechte, stritt, kämpfte, er musste wegen einer Tötung ins Exil flüchten. Das Rom des frühen 17. Jahrhunderts war kein Ort der frommen Idylle, ein Umstand, den auch die jungen Utrechter Maler, die zu jener Zeit nach Italien reisten, um die Werke Caravaggios zu studieren, auskosteten. Die Lust am Ausloten von Grenzen ist das Privileg der Jugend, das war in der Barockzeit nicht anders als heute. Aber wie vermittelt eine Alte Pinakothek das Revolutionäre an den alten Meistern? In ihrem Werk, wie auch in ihrem Leben? Mit der aktuellen Ausstellung "Utrecht, Caravaggio und Europa", die von den Münchnern gemeinsam mit dem Centraal Museum in Utrecht konzipiert wurde, geht das Haus daher über die Malerei hinaus: "Wir verschränken Musik, Oper, Theater und Malerei", erklärt Kurator Bernd Ebert und holt zur Schau erstklassige Gemälde, verschiedene Kunstformen und junge Künstler ins Haus: mit Flashmob, Theater, Film, Musik.

Über Caravaggio ist schon viel gesagt, gezeigt und geschrieben worden. Das Städel-Museum widmete Caravaggio und der Musik 2009 eine Ausstellung, kurz nachdem es Dirck van Baburens Werk "Singender junger Mann" erworben hatte. Die Schau "Dentro Caravaggio", die im Herbst 2017 im Mailänder Palazzo Reale zu sehen war, zog um die 100 000 Besucher an, die mehr über die Technik des Malers erfahren wollten. Mehr als 30 Jahre aber ist es her, dass das Herzog-Anton-Ulrich-Museum in Braunschweig den Niederländer Caravaggisten eine Schau widmete, die "Holländische Malerei in neuem Licht".

Fünf Jahre lang haben die Kuratoren an dem Konzept gefeilt

Nun haben Bernd Ebert, Sammlungsleiter Holländische und Deutsche Barockmalerei der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, und Kuratorin Liesbeth Helmus vom Utrechter Centraal Museum in fünfjähriger Vorbereitungszeit einen weiteren Ansatz herausgearbeitet. Die ursprüngliche Idee einer Ausstellung zu den Utrechter Caravaggisten stammt von Edwin Jacobs, der vor seinem Wechsel ans Dortmunder "U" das Centraal Museum leitete. Im Fokus steht, wie Caravaggio die Malerei in Europa grundlegend veränderte, auf welch unterschiedliche Weise sein Impuls in Utrecht oder in Frankreich aufgenommen, neu interpretiert und weiterentwickelt wurde. Im Centraal Museum in Utrecht war die Ausstellung bereits zu sehen, nun ist sie bis 21. Juli in der Alten Pinakothek zu Gast.

Zunächst handelte es sich um eine klassische Bilderschau - mit hervorragenden Werken, die nur selten ihre angestammten Häuser oder Kirchen verlassen. Allen voran die Leihgabe aus den Vatikanischen Museen: "Die Grablegung Christi" von Caravaggio. Just zu den Kar- und Ostertagen wird sie in München gezeigt, aber nur vier Wochen lang.

Hoch gehängt hat Ebert die Messlatte auch für die weiteren gut 70 Werke. "Wir zeigen hochrangige Bilder aus den bedeutendsten Galerien in Europa und den USA", sagt er. Aus dem Bestand der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen haben lediglich vier Werke den Weg in die Schau gefunden. Natürlich kommen Bilder aus Utrecht. Aus dem Metropolitan Museum of Art in New York ist "Die Kreuzigung Christi mit der Jungfrau Maria und dem heiligen Johannes" von Hendrick ter Brugghen zu sehen, aus der Quadreria de Girolamini in Neapel stammen zwei Werke von Jusepe de Ribera. Die römische Kirche Santa Maria della Scala hat sich für die Dauer der Ausstellung von ihrem Altarbild getrennt, auf dem Gerard van Honthorst die Enthauptung Johannes' des Täufers darstellte. Sogar das Kloster Montserrat bei Barcelona stellt ein Ausnahmewerk zur Verfügung: Caravaggios "Heiliger Hieronymus, meditierend".

Sogar das auf einem Schild dargestellte schlangenstarrende Haupt der Medusa von Caravaggio wird zu sehen sein.

Die versammelten Bilder sollen eines verdeutlichen: "Caravaggio ging einen völlig neuen Weg der Inszenierung, auch bei den klassischen biblischen Themen", erklärt Bernd Ebert. Die Protagonisten des Barockmalers tragen zeitgenössische Kleider, die Gesichter haben Runzeln, die Füße sind mitunter schmutzig. Der Realismus hielt Einzug - auch in seit Jahrhunderten wieder und wieder gemalten Szenen.

Wie unterschiedlich die Maler Caravaggios Ansatz weiterentwickelten, lässt sich in der Schau einfach nachvollziehen, denn Ebert hat die Werke in vier plakative Komplexe unterteilt - Helden, Heilige, Christus, Sünder. Das ganze Leben eben, alles drin. Im direkten Vergleich sieht man, wie die Utrechter, beeinflusst von nordeuropäischer Kunst, den Realismus, auch die Darstellung von Hässlichem auf die Spitze trieben, die Franzosen hingegen nahmen zwar Caravaggios Ideen auf, waren für dieses Maß an Realismus nicht zu begeistern. Eleganz ging vor.

Für jedes Bild haben junge Komponisten ein eigenes Hörstück geschaffen

Das Gesamtkonzept soll das Revolutionäre der Caravaggisten widerspiegeln. So nahm Kurator Ebert Kontakt zur Hochschule für Musik und Theater in München auf. "Wie würde wohl ein Komponist diese Emotionen ausdrücken?", das war eine Frage, die sich Ebert stellte. Das Projekt nahm ungeahnte Formen an: Acht junge Studierende haben zu jedem der 75 Bilder ein eigenes Stück komponiert, und das kann jeder Besucher vor dem korrespondierenden Bild hören. Dokumentarfilmer Bernhard Kreutzer, der an der HFF studierte, hat fünf Porträts der jungen Komponisten gedreht. Bewegte Bilder und Hörerlebnis vereint ein weiteres Projekt: Das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper gastiert in den Museumsräumen mit einer szenischen Begehung unter dem Titel "Selbstermächtigung".

Soweit bleibt das Programm auf das Innere der Pinakothek beschränkt. Aber die Kuratoren wollen ja auch draußen locken. Inspiriert vom Flashmob zur Eröffnung des Rijksmuseums in Amsterdam organisieren die Münchner ebenfalls einen Flashmob, unterstützt von einem Madrigalchor, draußen im Zentrum der Stadt - das wird natürlich gefilmt. Flashmob Nummer eins war bereits unterwegs, Nummer zwei soll sich zum Sommerfest Mitte Juli formieren. Zum Ende der Ausstellung schließt sich der Kreis: Junge Künstler der Akademie der Bildenden Künste eröffnen am 19. Juli ihre Jahresausstellung mit Werken, die sie im Laufe der Utrecht-Schau vor den Originalen in der Alten Pinakothek gezeichnet haben. Mal sehen, wie wild das wird.

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