Süddeutsche Zeitung

Ausstellungen:Heimat verklärt

Bayern, seine Seen und seine Berge waren schon vor 150 Jahren ein Markenzeichen. Platteln und Jodeln entwickelten sich sogar zum Exportschlager. Das illustrieren derzeit zwei Ausstellungen im Valentin-Karlstadt-Musäum

Von Sabine Reithmaier

Die Stadtwelt drängt furchtbar über die Mauern; jeder Torwart, jeder Milchmann geht aufs Land, und selbst die abgelegensten Berghöfe werden aufgesucht, um dort arkadisch zu leben. Hundert Münchener sitzen beim Kaffe, und hundert andere krabbeln an den Bergen herum." Hundert Münchener - die Beobachtung stammt eindeutig nicht aus der Gegenwart, sonst müsste von Tausenden die Rede sein. Aber anscheinend war das Leben in der City vor 150 Jahren schon so anstrengend, dass sich die Städter nach Natur und Einfachheit sehnten, vorzugsweise am Tegernsee, was Schriftsteller Ludwig Steub schon 1870 missfiel. Bayern, seine Seen und seine Berge - das war bereits damals ein Markenzeichen. "An den Klischees und den Mythen, mit denen diese Marke überlastet ist, hat sich bis heute nichts geändert", sagt Andreas Kolb, Kurator der Ausstellung "Bayern - Sehnsucht & Verklärung" im Valentin-Karlstadt-Musäum.

Zwischen den attraktiv gestalteten Plakatständern im Innenhof des Musäums erfährt man viel über das Land, in dem die Uhren angeblich immer "a bissl" anders gingen und die "Liberalitas Bavariae" herrscht. Beispielsweise, dass die Marke "Bayern" oft reduziert wird auf Oberbayern respektive den schmalen Streifen des Alpenvorlands von München bis zu den Bergen an der österreichischen Grenze. Liegt vermutlich am Föhn, der über die Alpen herüberweht, dass die Bayern als lebenslustig und weltoffen gelten. Was aber nicht ausschließt, dass sie auch wild sind und gern raufen, platteln, fensterln, viel trinken und sogar wildern. Die meisten bayerischen Traditionen, um deren Erhaltung man sich heute so bemüht, sind tatsächlich Erfindungen des 19. Jahrhunderts.

Von 1870 an galt auch München als Touristenmetropole, eine Stadt, in der es anscheinend keinen Schmutz, keine Industrie, kein Proletariat, keine sozialen Konflikte gab. Dafür die "Gemütlichkeit", die angeblich zu München gehört wie "der Nasenring zum Kaffern-Häuptling", wie Schriftsteller Theodor von der Ammer 1878 feststellt. Wobei sie für die "Fremden" nicht so leicht zu finden war, weil: "Der Droschkenkutscher jodelt nicht, der Gendarm hat keine Wadenstrümpfe und tanzt keinen Schuhplattler."

Wer aufs Land in die Sommerfrische fuhr, lebte zunächst mit den Einheimischen in deren Zimmern. Eine touristische Infrastruktur gab es nicht. Allmählich aber baute man die Landschaft um, damit sie für die Gäste funktionierte und damit den eigenen Gewinn steigerte. Um- und ausgebaut wird noch immer - Kolb spart den Klimaschutz als einen Aspekt des Themas nicht aus und greift auch die Radikalisierung des Heimatbegriffs durch die Migrationsbewegung auf. Und er zitiert Horst Seehofer - "Jeder Tag Bayern verlängert die Lebenserwartung" - genauso wie Herbert Achternbuschs Sentenz: "Die Bayern machen, was sie immer machen, wenn sie auch noch so technisiert sind: Mist aufladen.... Sie sind stolz, dass sie von ihrer Regierung so behandelt werden, wie sie den Mist behandeln, denn keinem soll es besser gehen."

Schon im 19. Jahrhundert halten Karikaturisten die Bergwanderer fest, die in langen Schlangen zum Gipfel pilgern. Oder jene Gäste, die den Urlaub perfekt kostümiert in Miesbacher Tracht antraten und Unterhaltung erwarteten: Bauerntheater, Heimatabend, Platteln und Jodeln, was eine perfekte Überleitung zur zweiten Ausstellung bietet: "Jodelmania", kuratiert von Christoph Wagner. Der Musikjournalist beschäftigt sich seit Jahren mit der Geschichte des Jodelns, hat dazu auch ein Buch veröffentlicht (SZ vom 28.5.). Im Museum illustriert er die Entwicklung des "Naturgesangs" mit raren Originaldokumenten: Frühen Notendrucken, Plakaten, Fotos, Schellackplatten, hinreißenden Werbepostkarten, sogar eine Phonographenwalze mit einem Jodler. Das meiste stammt aus seiner eigenen Sammlung, einiges hat das Museum beigesteuert.

Wagners Interesse erwachte, als er 1998 für Trikont die CD "American Yodeling" zusammenstellte. "Ich fand das Thema musikwissenschaftlich und sozialhistorisch interessant." Seine These: Jodeln sei die erste Popmusik mit alpenländischem Flair gewesen, ein Modetrend, der jahrzehntelang anhielt und Amerika, Skandinavien, die Türkei und Afrika erreichte. Die Welle ins Rollen brachten die Geschwister Rainer, die "Beatles der 1820er und 30er Jahre" (Wagner). Die "Tyroler Wunderthiere" lösten eine gigantische Begeisterung für alpenländische Musik aus.

Das Vokalquartett aus Fügen im Zillertal war beileibe nicht die erste, aber bald die berühmteste Alpensängertruppe. 1827 lernten sie bei einer "Kunstfahrt" nach England den vielfältig vernetzten Ignaz Moscheles kennen, einen böhmischen Pianisten, Komponisten und guten Freund Beethovens. Der begann bald darauf, "Tyrolese Melodies" im Druck herauszugeben, mehrstimmig mit Klavierbegleitung gesetzt. Von den Plakaten lächeln Opernsängerinnen wie Maria Malibran, Antoinette Otto und Jenny Lind, die seinerzeit romantische Jodelliedbearbeitungen oder Kompositionen "à la Tyrolienne" vortrugen. Die Rainers haben übrigens sogar als Porzellanfiguren in der königlichen Sammlung überlebt "So würdigt man nur Prominente", sagt Wagner.

In München beobachteten die Volkssänger den Trend ziemlich kritisch. Spötter witzelten, es gäbe in der Stadt mehr Tiroler Sing- und Spielgesellschaften als Tiroler in Tirol. Sogar Karl Valentin griff das Phänomen 1913 noch einmal auf in seinem Sketch "Alpensängerterzett". Aber das stoppte den Erfolg nicht, verhinderte auch nicht, dass das Jodeln auf die amerikanische Musikszene übersprang. Zu den erfolgreichsten Nachahmern der Rainers wurde die Hutchinson Family aus New Hampshire, gegründet 1840. Publikum fand sich reichlich, auch unter den vielen bayerischen, österreichischen und schweizerischen Auswanderern. Die Musiker unter ihnen entwickelten bald eigene Aktivitäten. Von 1874 an fand in New York ein bayerisches Volksfest statt, organisiert vom "Bayerischen Volksfestverein". Sieht aber nicht aus wie Oktoberfest: Ein großformatiges Foto von 1950 zeigt die Teilnehmer des 76. Bauernballs, die Männer in Anzug und Schlips. Nur den Kindern wird ein bisschen Folklore gestattet.

Längst war das Jodeln in die amerikanische Musikszene eingesickert. Dem jodelnden Countrymusiker Jimmie Rodgers war es vorbehalten, das "Yodeling" endgültig zu einem Alltagsbegriff in den USA zu machen. In einer Vitrine ist sogar Johnny Weissmüller zu entdecken. Sein Tarzanschrei dürfte der bekannteste Jodler der Welt sein.

Bayern, Sehnsucht & Verklärung; Jodelmania - Von den Alpen nach Amerika; beide bis 15. Oktober, Valentin-Karlstadt-Musäum, Isartor

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Quelle:
SZ vom 26.08.2019
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