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Ausstellungen - Bremen:Gekauft oder geraubt? Übersee-Museum prüft eigene Sammlung

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Bremen (dpa/lni) - Wie landeten eine prunkvolle Satteldecke und der dazugehörige Pferdekopfschmuck aus dem Grasland Kameruns im Übersee-Museum Bremen? Das ist lückenlos erforscht, bei anderen Ausstellungsstücken hingegen nicht. In der neuen ab Samstag (26.10.) zu sehenden Dauerausstellung "Spurensuche - Geschichte eines Museums" setzt sich das Haus nun kritisch mit den ersten 100 Jahren seiner eigenen Sammlung auseinander. Neben Nationalsozialismus, dem Wiederaufbau nach dem Krieg und absoluten Publikumslieblingen wie einem Dinosaurier spielt die Hochphase des Kolonialismus in der Inszenierung eine zentrale Rolle.

"Die Geschichte unseres Haues ist sehr komplex und oft auch furchtbar kompliziert", sagte Museumsdirektorin Wiebke Ahrndt am Donnerstag bei der Vorbesichtigung. "Wir haben die gesamte Palette von gekauft bis geplündert." Umso größer sei die Verantwortung, zumal Häuser wie das Übersee-Museum die Bilder der Welt in den Herzen und Köpfen der Menschen prägen würden. Die mehr als 660 000 Euro teure Dauerausstellung über das Sammeln und Ausstellen im Wandel der Zeit sei ein Weg, die Vergangenheit aufzuarbeiten - und in dieser Größenordnung bundesweit einmalig, betont die Museumsdirektorin.

In einer Videoinstallation etwa erzählen Menschen aus Afrika über Alltagsrassismus als Folge der Kolonialzeit. Daneben trägt eine nackte Männerfigur eine goldene Weltkugel, auf der die Schiffahrts-Routen um 1900 eingezeichnet sind - damals ein Sinnbild für die Vorstellung vieler europäischer Kaufleute, ihnen gehöre die Welt.

Ein Zeremonialstab aus Benin, eine Tanzmaske aus Kamerun, ein Kriegsamulett aus Ghana - etwa 80 Prozent der Sammlungsstücke im Übersee-Museum stammen aus den ehemaligen Kolonien. Seit drei Jahren erforschen junge Wissenschaftler der Universität Hamburg die Herkunft dieser kolonialzeitlichen Afrika-Sammlungen. "Das ist ein Endlosprojekt", sagt Ethnologe Christian Jarling. "Wir haben präzise Beschreibungen der Objekte, aber fast niemand hat vermerkt, ob sie gekauft oder weggenommen wurden."

Im Fall der prunkvollen Satteldecke aus Kamerun immerhin ist die Herkunft geklärt: Der Pferdeschmuck stammt aus der Plünderung eines Königspalastes, begangen von einer deutschen Schutztruppe Ende des 19. Jahrhunderts.

Viele Länder arbeiten aktuell die koloniale Vergangenheit ihrer Museumssammlungen auf. Vorreiter war dabei unter anderem Frankreich. 2017 hatte Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron Afrika die Rückgabe von Kolonialkunst versprochen - bislang eher ohne größere Ergebnisse.

Auch beim Humboldt Forum im Berliner Schloss als der wohl bedeutendsten ethnologisches Sammlung in Deutschland steht ein grundsätzliches Konzept zur Rückerstattung geraubter, enteigneter und zwangsverkaufter Kulturgüter aus, kritisiert der Hamburger Professor für Globalgeschichte, Jürgen Zimmerer: "Bisher gibt es nur kosmetische Aktionen."

Andere Häuser haben bereits Verantwortung übernommen und reagiert. So gab im April 2019 das Museum Fünf Kontinente in München die sterblichen Überreste eines indigenen Mannes aus Australien seinen Nachfahren zurück. Bereits 2017 fand eine ähnliche Rückgabezeremonie im Bremer Übersee-Museum statt. Hugo Schauinsland, Gründungsdirektor des Hauses, hatte Ende des 19. Jahrhunderts auf einem Friedhof der Moriori in Neuseeland - ohne Erlaubnis der Nachkommen - Gebeine ausgegraben und nach Bremen gebracht. Jetzt sind die sterblichen Überreste zurück in Neuseeland.

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