Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Zwischen Wachen und Träumen

Das Buchheim-Museum in Bernried erweitert sein Spektrum - mit Bildern von Erwin Pfrang

Von Sabine Reithmaier

Eine ungewöhnliche Ausstellung, zumindest für das Buchheim-Museum. Zum ersten Mal hat es Direktor Daniel J. Schreiber gewagt, im großen Sonderausstellungssaal mit Erwin Pfrang einen zeitgenössischen Künstler zu präsentieren, der in keinem Bezug zur Sammlung des Bernrieder Hauses steht. Und dessen Gemälde zudem nicht leicht zugänglich sind, wirken sie doch, als hätte jemand in einem Zustand zwischen Wachen und Träumen Gedankenströme visualisiert.

Mit dem Ergebnis sind jedenfalls beide - Künstler und Direktor - zufrieden. Pfrang, weil er seine Bilder zum ersten Mal aus größerem Abstand sehen konnte. Denn die teils großformatigen Gemälde, entstanden in den vergangenen zehn Jahren, wurden aber bislang noch in keinem Museum gezeigt. Und Schreiber war glücklich, weil die aktuelle Schau die Lebendigkeit des Museums unterstreicht. Ganz im Sinne von Lothar-Günther Buchheim, der nicht an einer starren Präsentation des Kunstschatzes interessiert gewesen sei, wie es im offiziellen Pressetext heißt.

Nun ja, an der Präsentation seiner Expressionisten war der Hausherr schon sehr interessiert. Aber die Essenz seiner Sammlung, die Brücke-Künstler, hängen gleich im Saal nebenan, schlüssig geordnet in neuen Blickachsen und wunderbar ergänzt durch Exponate aus der Sammlung Gerlinger. Es bedarf nur weniger Schritte, um von den komplexen Welten Erwin Pfrangs zu den intensiven Farben von Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff zu gelangen oder Pechsteins "Drei Palauerinnen nach dem Bad" (1949), ein monumentaler, aus Zwickau geliehener Neuzugang, zu genießen. Um dann wieder zu Pfrang zu wechseln und seinen faszinierenden Versuchen, verschiedene Wahrnehmungen miteinander zu verknüpfen.

Die Gemälde entstanden in Berlin, wo der Maler seit 2010 lebt, und in Catania. Aber eigentlich ist Pfrang, Jahrgang 1951, gebürtiger Münchner. Der Vater war ein "Kaffeehaus-Pianist", der Volkssänger Konstantin Pfrang, genannt Conny Stanzl, sein Großvater. Ihn lernte der Enkel nicht mehr kennen, er starb im Jahr seiner Geburt. Aber er sympathisiert mit ihm. "Mögen tue ich, was es vielleicht nicht mehr gibt: Karl Valentin und vielleicht meinen Großvater", schreibt Pfrang im Katalog.

Ihn selbst zog es schon früh nach Italien. Um der Bundeswehr zu entgehen, flüchtete er bereits 1968 nach Rom, die Schule hatte er abgebrochen. Später studierte er an der Akademie bei Mac Zimmermann, fühlte sich aber mehr von Rudi Tröger inspiriert. Eine Weile arbeitete er dann in München, bevor er 1987 mit seiner Lebenspartnerin, der Puppenmacherin Ester Chines, nach Italien zog. "Ich habe mein halbes Leben dort verbracht", sagt Pfrang, in Orten wie Montepulciano, Val d'Orcia und eben Catania.

Sein Bilderkosmos speist sich aus seiner Biografie, meist lassen sich die Personen identifizieren. Oft ist er selbst mit im Bild, immer wieder auch seine Frau, Sohn, Tochter, Mutter, Vater und seine Hunde, umgeben von anderen Menschen, die Erwin Pfrang irgendwo beobachtet hat. Manchmal dient ihm ein briefmarkengroßes Foto, entdeckt in einer Zeitung, als Anregung für ein Gesicht. In "Requiem für V" (2018) stehen Musiker neben einem senkrecht aufgestellten Sarg, darin ein verschmitzt lächelnder Mensch, der aussieht wie der 2013 verstorbene Paul Kuhn. "Den kannte ich aber nicht", sagt Pfrang während des Rundgangs , "darauf wurde ich später hingewiesen." Ihn erinnerte der Kopf an die Gesichtszüge seines Vaters, als "physiognomisches Pseudonym für alles, was sich redlich verbraucht hat". Dass er dafür ausgerechnet Kuhn erwischt hat, ist ihm eher peinlich.

"Was Pfrang, also mich, zu diesen Menschen treibt (trieb, getrieben hat), ist eine Art archäologischer Instinkt - physiognomischer Archäologie wohlgemerkt; ein Freigraben mit bald sanfter, bald entschiedener Pinsel-Hand, und aus dem Sand der Geschichte tauchen alte Stunden auf, verloren Geglaubtes, oder ein Leben, das als verschollen galt oder von dem nichts bekannt war und nun in offenem Widerspruch steht zu allem, was ist, und den Kruditäten des sich selbst überschätzenden Jetzt", schreibt er im Katalog. Tatsächlich versteht er es meisterhaft, Erinnerungen und aktuelle Vorstellungen zu verweben, Übergänge fließend darzustellen. Oft weiß man nicht, sind seine oft detailgetreu, dann wieder schemenhaft dargestellten Figuren Täter oder Opfer oder gar beides.

"Ich glaube eben nicht an die Zentralperspektive", sagt er vor Bildern, in denen er Tote und Lebendige vereint oder eine rumänische Barackensiedlung, in der Roma hausen, mit dem Berliner Bahnhof Gesundbrunnen verbindet. Unentwegt wechselt er zwischen inneren und äußeren Bildern, Wirklichkeit und Vorstellung, verpflichtet allein dem Prinzip der Gleichzeitigkeit. Gut nachvollziehbar, dass er durch seine Zyklen zu James Joyces "Ulysses" berühmt wurde; beide Zyklen waren 1998 und 2007 in der Pinakothek der Moderne zu sehen.

Durch viele Bilder geistern die "Schläfer", ein Begriff, den Pfrang für die Menschen verwendet, denen er in seinem Haus in Catania Zuflucht gewährte: Roma, Obdachlose, Kleinkriminelle oder junge Menschen, denen das Leben bislang keine Chance geboten hatte. "Aber es ist alles gescheitert", sagt Pfrang; keinem der "Schläfer" gelang es, seine Perspektiven zu verbessern, Schul- oder Berufsausbildungen wurden abgebrochen. "Im Leben der Gespenster I" sitzen der Künstler und seine Frau daher auf einem kleinen Sofa, der Sohn muss im Vordergrund die Geister, die der Vater rief, bannen.

Sich selbst schont Pfrang nicht, er malt sich nackt, ängstlich, verkrampft, mehrmals mit Raucherlunge, etwa im "Luisenbad". Dort sitzt er sinnierend auf einem Stuhl, während ein zornrotes zweites Ich mit der einen auf die andere Hand einschlägt. Ein drittes Ego weilt mit Familie an einem runden Tisch, einschließlich der Mutter. Die allerdings scheint vom Stuhl gerutscht zu sein, jedenfalls ist nur ihr Kopf noch am Tischrand zu sehen. Doch auch sie ist ein zweites Mal präsent, denn auf dem Tisch steht ihre Aschenurne, auch das ein Motiv, das öfter auftaucht.

Der Rest des Bernrieder Museumsjahres ist dann weniger dramatisch. Für den Sommer ist eine große, familienfreundliche Janosch-Ausstellung geplant, und gegen Ende des Jahres eine große Paula-Modersohn-Becker-Präsentation.

Erwin Pfrang: Gedacht durch meine Augen; bis 23. Juni, Buchheim Museum Bernried

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Quelle:
SZ vom 21.03.2019
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