Ausstellung:Wie Verlierer triumphieren

Ausstellung: Der kleine Riad Sattouf aus „Der Araber der Zukunft“: Klein, blond gelockt und verloren in einer unverständlichen Welt.

Der kleine Riad Sattouf aus „Der Araber der Zukunft“: Klein, blond gelockt und verloren in einer unverständlichen Welt.

(Foto: Gaël Colliguet/Allary Editions)

Riad Sattouf zeichnete die Graphic Novel "Der Araber von morgen" und bekommt dafür eine Lebenswerksschau in Paris.

Von Alex Rühle

Im Grunde schließt sich hier oben, mitten in Paris, ein Kreis. Mit Georges Pompidou fing schließlich alles an. Riad Sattouf malte als Fünfjähriger den damaligen französischen Präsidenten. Seine Eltern und die bretonische Oma waren begeistert, es ist eine seiner ersten Erinnerungen, dieses warme Anerkennungsglück, Pompidou, eindeutig, der Kleine ist ein Genie! Riad Sattouf war damals ein blond gelockter Junge, der mit großen Augen durch eine unverständliche Welt stolperte, Leben im Libyen Gaddafis, Ferien in der Bretagne, "clash of cultures" Hilfsausdruck.

Dieser kleine Junge ist mittlerweile berühmt, die vierbändige autobiografische Graphic Novel "Der Araber von morgen" hat sich millionenfach verkauft, Übersetzungen in 29 Sprachen, alleine in Frankreich 1,8 Millionen Exemplare. Deshalb widmet ihm die Bibliothek im Centre Pompidou eine Lebenswerkausstellung - eine Ehre, die vor ihm nur Art Spiegelman, Claire Bretécher und Franquin zuteil wurde. Dabei ist der Mann gerade mal 40.

Riad Sattouf ist eher klein, was jeder weiß, der seine Werke kennt, schließlich geht es darin oft um Männlichkeit und Stärke, beziehungsweise um deren schmerzlich gespürte Abwesenheit. Seine Figuren sind spiddelige Jungs mit krummem Rücken, an denen die Mädchen vorbeischauen. Insofern erinnert die Eingangsszene der Begegnung an einen seiner Comics. Sattouf steht eingeklemmt zwischen Kunst und Kommerz, links eine vergrößerte Abbildung seines fünfjährigen Alter Ego, rechts sein alerter Verleger Guillaume Allary, der eine Handvoll deutscher Besucher mit Erfolgszahlen und -meldungen zu seinem Wunderautor beprasselt.

"Ich ziehe es vor, dass die Bilder in ihren Büchern bleiben. so isoliert kommen sie mir nackt vor."

Sattouf knetet seine Hände und schaut von schräg unten zu Allary auf, der aussieht wie der schlaue Bruder von Frédéric Beigbeder, eleganter Anzug, Hornbrille. Sattouf sieht einfach aus wie ein freundlicher kleiner Mann, dem dieser halböffentliche Auftritt so unangenehm ist wie die prinzipielle Idee einer solchen Ausstellung. "Ich ziehe es vor, dass die Bilder in ihren Büchern bleiben. So isoliert kommen sie mir nackt vor", sagt er.

Eine Bedingung hatte er: Die Vitrinen und Wände sollten einem Labyrinth gleichen, schließlich, so Sattouf, beginnt auch der "Araber von morgen" mit einem Labyrinth, einem Traum, in dem der kleine Riad seinen syrischen Vater als zornigen Stier träumt, als Minotaurus. Dieser Vater war ein gläubiger Mensch, nicht im metaphysischen, sondern im politischen Sinne, er glaubte, dass die Nahostdiktatoren, dass Gaddafi und Assad ihren Völkern und der arabischen Welt Frieden, Wohlstand und Einheit bringen würden. Deshalb schleppte er seine französische Frau und den kleinen Riad Anfang der Achtzigerjahre erst nach Tripolis und dann in sein syrisches Dorf in der Nähe von Homs.

Um diese Erfahrung, um Einsamkeit, Identität und Loyalität dreht sich "Der Araber von morgen", über dessen enormen Erfolg sich Sattouf selbst leise wundert, schließlich hat er nur wenige Jahre zuvor, 2005, eine Geschichte gezeichnet, in der ein Araber im Weltraum unterwegs ist. aber "L'Arabe de l'Espace", wurde überall abgelehnt, "Araber im Titel verkauft sich nicht, haben mir alle erklärt", sagt er. "Das Argument hab ich natürlich eingesehen." In der Ausstellung hängen einige Seiten über den kosmonautischen Privatdetektiv namens Mahmoud Ben Futurix, einen schlaksigen, schüchternen Antihelden, der im zwischenmenschlichen Bereich eine intergalaktische Niederlage nach der anderen einfährt. "Schon erstaunlich, wie viele Projekte mir anfangs abgesagt wurden", sagt Sattouf, während er an Bleistiftskizzen des arabischen Astronauten vorbeischlendert: "Das hier ist wirklich nicht die Ausstellung eines Gewinners."

Auch insofern passt die labyrinthische Struktur gut zu Sattoufs Werk, schließlich bildet sie die Suchbewegungen eines künstlerischen Lebens besser ab als eine geradlinige Führung. Sattouf hat sich anfangs mimetisch durch die Stile und Jahrzehnte der Comicgeschichte getastet, an einer Wand hängen Zeichnungen des Schülers, der mal die Endlosmetamorphosen von Moebius nachahmt, mal den Fantasy-Pop Frank Frazettas und der mit Anfang 20 beginnt, Buchprojekte oder Comicideen an Verlage und Zeitungen zu schicken.

"Ich war nie besonders gut in Mathe oder Logik", sagt er: "Meine Rechnung ging so: Ich kann nicht hundert Prozent Absagen bekommen. Wenn ich also hundert Sachen an Verlage schicke, muss es irgendwann klappen." Es klappte nicht, er zeichnete in einem Zimmerchen am Boulevard Saint Marcel, ohne Tageslicht, mit Blick auf die Mülltonnen und hat in dieser Zeit weit über hundert Absagen gesammelt, also mehr als hundert Prozent versagt.

Mit den Jahren entrümpelte Sattouf, sein Stil wurde einfacher. Hergé ist sein wohl wichtigster Pate.

Vielleicht auch deshalb ist Sattouf in seinen Geschichten meist auf der Seite der Verlierer, es gibt drei groß angelegte Werkserien über Kinder oder Jugendliche, "Esthers Tagebücher" erzählt die Welt aus der Sicht eines Pariser Mädchens, das er gut kennt und regelmäßig besucht, drei Bände gibt es bisher, er will weitermachen, bis "Esther", 18 wird. Und als Sattouf wegen eines Comicbands über seine eigene Beschneidung vor die Kontrollkommission für Jugendliteratur geladen wurde, bat er die Zeichner von Charlie Hebdo um Rat, die hatten dauernd Ärger mit den Behörden. Daraus ergab sich eine Freundschaft mit einigen Redakteuren, die ihn einluden, für ihr Politmagazin zu zeichnen. Auf Politcartoons hatte er keine Lust, schlug aber eine Serie über den Pariser Alltag vor, "La vie secrète des jeunes", zehn Jahre Mitarbeit. Es wurde dann doch ein politischer Kommentar, die abgehängten Banlieues, der Aufstieg des islamistischen Extremismus, all das ist in seinen wöchentlichen, oft bitterhässlichen Geschichten über Jugendliche in der Metro oder im Kino eingelagert.

Die Ausstellung ist dank vieler Skizzen, Bleistiftzeichnungen und Fotos auch ein Blick in die Werkstatt, der zeigt, wie genau Sattouf das Ganze schon bei den ersten Entwürfen vor sich hat, es ändert sich wenig zwischen Skizze und Buch, Perspektive, Bildproportionen, Seitenaufteilung, alles ist schon da. Und es zeigt, wie Sattouf entrümpelt hat, sein Stil wurde einfacher, Hergé ist der wohl wichtigste Pate. "Dass einer eine Geschichte erzählen kann, ohne dass ich lesen können muss, das hat mich schon als Junge fasziniert", sagt er.

Und so taucht Kapitän Haddock immer wieder auf in den Skizzen und im Werk, wie ein Onkel, der aus der Ferne die Hand über einem hält. Vor allem aber ist Hergés ligne claire, der reduzierte Stil, ganz und gar zu Sattoufs Markenzeichen geworden. Im April erscheint der vierte Teil des "Arabers von morgen" auf Deutsch, und wenn Sattouf, wie viele französische Kritiker schreiben, ein Seismograf unserer Zeit ist, dann ist das kein gutes Zeichen: Der Vater, einst panarabisch enthusiasmiert, mittlerweile Nationalist und Le-Pen-Verehrer, ist für den Islam entflammt, für einen bornierten, feindseligen Islam, der nicht davor zurückscheut, ein Verbrechen gegen die eigene Familie zu begehen. Und Riad findet sich in einem Traumlabyrinth wieder, riesige Wände, ein einsamer Junge. Sattouf steht neben einer Skizze dazu und sagt: "Da ist die Untersicht gut gelungen. Alles eine Frage der Perspektive."

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