Ausstellung:Was vom Menschen übrig bleibt

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Wer bin ich und wenn ja wie viele? Eine malerische Auseinandersetzung mit der heutigen Selfie-Kultur von Alina Schweizer. (Foto: David Czobel)

70 Studenten der Akademie der Bildenden Künste zeigen, womit sie sich auseinandersetzen. Das reicht von verfremdeten Selfies über eine Sisyphos-Performance bis zu botanischen Zeitkapseln

Von Jürgen Moises

Der Mensch braucht die Natur. Aber braucht die Natur den Menschen? Geht man von etwa 3,5 Milliarden Jahren Leben auf der Erde aus, zeigt sich jedenfalls, dass es zum großen Teil auch ohne Homo sapiens funktioniert hat. Und so wie sich die Menschheit aktuell verhält, kann man davon ausgehen, dass das in Zukunft, sagen wir in 30 000 oder 40 000 Jahren, auch wieder so sein wird. Diese Zeitspanne hat zumindest Janina Totzauer für sich festgelegt. Die Künstlerin hat Pflanzensamen in Kugeln aus Bronze und Zement gepackt und diese in Mosambik vergraben. Wie botanische Zeitkapseln liegen sie nun in der Erde, um, so der Plan, nach der Zersetzung der Kapseln in Tausenden Jahren Früchte zu tragen.

"Sleeping Seeds" heißt ihre den Prozess des Herstellens und Vergrabens dokumentierende Drei-Kanal-Videoinstallation, die bis zum 11. Februar in der Diplomausstellung in der Münchner Akademie der Bildenden Künste zu sehen ist. An diesem Mittwoch, 19 Uhr, ist die Diplomverleihung und Eröffnung. Insgesamt sind es mehr als 70 Studierende, die (teilweise unter der alten, zum Großteil unter der neuen Studienordnung) zur Prüfung angetreten sind. In ihren Arbeiten führen sie den Betrachter in ihren privaten Kosmos, untersuchen formale oder gesellschaftliche Fragen, docken an kunsthistorische, politische oder ökologische Diskurse an oder zeigen einen Sinn fürs Komische, Absurde. Eine Vielfalt, die wie immer nur schwer auf einen Nenner zu bringen ist.

Bleibt man beim Verhältnis von Mensch und Natur, so landet man etwa bei der europäischen Eigenart des Vogelhäuschen-Bauens. Aus Korea kennt sie Jamie Lee jedenfalls nicht. Für seine mit "Tal" betitelte Diplomarbeit hat er mit Masken versehene Vogelhäuschen gebastelt, die in der Akademie an hohen Stelen und gleichzeitig in Deutschland, Korea und den USA an Bäumen und Gebäuden hängen. "Tal" heißt "Maske" und "Schmerz" im Koreanischen, sagt Lee. Die Menschen hätten dort Angst vor Masken, die nun helfen sollen, dass man die Tiere in Ruhe lässt. Im Zoo passiert das bekanntlich nicht. Xin Chi zeigt in seiner Arbeit Filmaufnahmen aus Zoos in einem Häuschen. Eintreten soll man mit einer Tiermaske. Beim Betrachten der Videos wird man gefilmt und befindet sich nun plötzlich selbst in der Zootierrolle.

Die freiwillige Dauerdokumentation in Form von Selfies haben Alina Schweizer und Janka Zöller zum Thema. Schweizer hat Fotos von sich selbst malerisch überarbeitet, verfremdet. Sie versteht das Selfie unter anderem als Ausdruck einer Sinnleere, die man mit Momentaufnahmen ähnlich wie mit dahin geplapperten Worten füllt. Zöller hat sich mit dem Handy am Pool fotografiert und die Bilder in leuchtkräftige Gemälde übersetzt. Es gehe ihr um Körperbewusstsein, Sexualität, durch die Malerei rücken aber zusätzlich auch Formfragen ins Zentrum. Man könnte auch sagen: Die Malerei wertet den Schnappschuss auf. Tatsächlich sieht sie die Selfies auch nicht negativ, versteht sie eher als Form der Kommunikation und nicht etwa als Ausdruck des Narzissmus.

In einer Sisyphos-Arbeit hat der Bühnenbild-Student Christian Michael Blank das Büro seiner Lehrerin Katrin Brack in Originalgröße aus Pappe nachgebildet. Stephan George hat im Garten ein im Kreis geschlossenes Gleisbett verlegt, auf dem er als Performance zwei Feldbahnloren gefüllt mit Abraum ziehen will. Auch das eine Sisyphos-Handlung, mit der George auf die Ausbeutung der Natur im Sand-, Erz- oder Kohleabbau anspielen will. Diese ist auch bei den übermalten digitalen Industrielandschaften von Diana Akoto-Yip Thema. Im Falle eines Kohlekraftwerks mag das das Abbild einer untergehenden Industriekultur sein. Als menschenleerer, unwirtlicher Ort wirkt es aber eher wie eine postapokalyptische, posthumane Welt.

"Folterinstrumente für liebevolle, zarte und schwache Früchte und Beeren" hat Danni Chen aus Erzguss geschaffen. Drapiert sind sie auf einem Tisch, unter den wir, so die Studentin, als Gesellschaft gerne die Gewalt kehren. Schönrednerei spielt als Strategie auch bei "Santilat" eine Rolle. Santilat ist ein Anagramm von Atlantis sowie ein rechtspolitisches Staatskonzept, das auf eine Umbildung Deutschlands im Sinne einer ethnopluralistischen Gesellschaft zielt. Gemeint ist damit eine Welt, in der alle Völker mit ihrer angeblich unveränderlichen kulturellen Identität getrennt nebeneinander leben. Markus Netterscheidt hat sich zwei Jahren lang mit dieser Ideologie beschäftigt, hat Diagramme, eine Holzplastik und erklärende Texte dazu gemacht. Man erfährt, dass Santilat als Staat mit Priestern, Göttinnen und täglichem Gebet gedacht ist. Ein Amalgam aus Nationalismus, Esoterik und Mythologie, und das Bild von einer Zukunft, auf die man liebend gern verzichtet. Jürgen Moises

Diplomausstellung 2020, Mi., 5. Feb., 19 Uhr (Diplomverleihung und Eröffnung), bis 11. Feb., Akademie der Bildenden Künste, Akademiestraße 2 - 4

© SZ vom 05.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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