Süddeutsche Zeitung

Ausstellung von Marilyn Manson:Aquarelle vom Antichristen

Pervers zugerichtete Leichen, deformierte Embryos, Opfer von Massenmördern: Schockrocker Marilyn Manson malt finstere Porträts - jetzt hat er seine erste große Schau in der Kunsthalle Wien.

Werner Bloch

Höllenfürst, millionenschwerer Antichrist, böser Onkel des Schockrock: Marilyn Manson, 41, hat viele Namen. Dabei ist der Mann ganz anders als sein Ruf. Wer ihn trifft, begegnet einem geduldigen Zuhörer und charmanten Gesprächspartner, der gern Witze macht. Das Haar auf der einen Seite rasiert, auf der anderen Seite lang, dazu kränklich weißgeschminkte Haut: Das war einmal der erfolglose Musikjournalist Brian Warner, bevor er zum meistverkauften Gothik-Rocker der Welt wurde. Beim Gespräch in einem Wiener Hotel zieht er sich gleichwohl hinter schwarze Gardinen in eine fast völlige Dunkelheit zurück. Vampire, sagt er, dürfen sich nicht dem grellen Tageslicht aussetzen.

SZ: Mr Manson, jetzt sind Sie unter die Maler gegangen - wie Udo Lindenberg, Paul McCartney und viele andere singende Dilettanten des Pinsels. Eine Art Promotion für Ihre neue CD?

Marilyn Manson: Im Gegenteil. Ich habe gerade die Plattenfirma gewechselt und verfüge endlich über die Möglichkeiten, von denen ich immer geträumt habe: ein Gesamtkunstwerk zu schaffen, das alles Bisherige in den Schatten stellt. Malerei und Musik hängen für mich eng zusammen. Das Licht, die Beleuchtung - dafür habe ich bei meinen Filmen und Konzerten immer selbst gesorgt, Optik ist mir extrem wichtig. Selbst wenn morgen die Plattenindustrie zugrunde geht, kann ich immer noch malen.

SZ: Sie malen angeblich schon länger als Sie Musik machen. Warum kommen Sie damit erst in letzter Zeit heraus?

Marilyn Manson: Früher war ich diskret, ich wollte, dass meine Malerei nicht mit dem Glanz und dem Bonus eines Popstars assoziiert wird. Die Leute sollten die Bilder um ihrer selbst willen lieben. Das hat sich jetzt geändert. Wenn Sie demnächst etwas von Marilyn Manson kaufen, müssen Sie vielleicht nicht mehr in einen Plattenladen gehen, sondern ins Museum.

SZ: Sie haben mal gesagt: Ich will den Menschen Hoffnung bringen. Richtig optimistisch sehen Ihre Bilder aber nicht aus.

Marilyn Manson: Wie soll man ohne Hoffnung Künstler sein? Kunst zu machen ist die größtmögliche Annäherung des Menschen an Spiritualität. Und es macht mich wütend, dass Politik und Religion immer wieder versuchen, die Kunst zu zerstören. Malerei ist die Basis der Kultur. Hätten die Höhlenmenschen nicht ihre Decken bemalt - wir säßen heute nicht hier.

SZ: Ihre Bilder sind ein Pandämonium des Grauens. In Wien sieht man Porträts von pervers zugerichteten Leichen, deformierte Embryos, die sich die Pistole an den Kopf halten, Opfer von Massenmördern und Rätsel der amerikanischen Kriminalgeschichte, wie das verstümmelte Starlet Elizabeth Short. Muss es denn immer eimerweise Blut sein, um das Image des Schock-Rockers aufrechtzuerhalten?

Marilyn Manson: Ich bediene mich gern in Polizeiakten. Elizabeth Short, die Frau auf meinem Bild "Schneewittchen", ist ein Abbild des amerikanischen Traums - und des amerikanischen Albtraums. Sie gewann Preise, wollte berühmt werden und landete aufgeschlitzt in einem Park, mit zu einem Lächeln vernähten Lippen. Genauso war Marilyn Monroe die Lichtfigur der Amerikaner, aber sie wurde drogenabhängig und beging Selbstmord. Oder Charles Manson, der verurteilte Mörder von Sharon Tate, obwohl er eigentlich nie jemanden umgebracht hat ... Überall in diesen Figuren gibt es das Helle und das Dunkle. In Amerika will man das nicht wahrhaben. In unserer Kultur gibt es den Good Guy und den Bad Guy und dazwischen nichts. Ich heiße ja auch nicht umsonst Marilyn Manson, weil ich Wert auf diese Polaritäten lege, die es in jedem Menschen gibt.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum Marilyn Manson Aquarelle liebt.

SZ: Trotzdem: Geht es nicht eine Nummer kleiner? Sie malen sich selbst als Leidensgestalt, als androgynen Unglücksmenschen mit Brüsten, oder auch mal einen androgynen Hitler in eitrigen Pastellfarben. Kann das noch provozieren?

Marilyn Manson: Ich male gern drastische Sujets, Deftiges und Dramatisches. Und ich benutze die Form des Aquarells - eine zarte Technik, mit der normalerweise naive Hobbymaler Häuser oder Landschaften porträtieren. Es ist aber doch ganz erstaunlich, was man aus so einem Kindermalkasten hervorkramen kann, finden Sie nicht? Das Schreckliche macht sich gut mit scheinbar naiven Farben.

Aquarelle sind übrigens viel schwerer zu malen als Ölbilder. Die Wasserfarben fließen ineinander, jeder Fehler führt dazu, dass man das Bild sofort wegwerfen muss, während man bei einem Ölgemälde alles fünfmal übertünchen kann.

SZ: Haben Sie ein Atelier? Wann und wo malen Sie denn?

Marilyn Manson: Ich male bei mir zu Hause. Ich lege das Papier auf den Boden und male auf Knien. Meistens mache ich Porträts von Menschen, die ich interessant finde, ich fotografiere sie und male sie ab. Ich habe aber auch einen Christus gemalt, ein dreifaches Jesusporträt. Ich hatte mir damals per Katalog eine alte Leichenbahre gekauft, mit der man im 19. Jahrhundert Tote in Krankenhäuser transportiert hat. Neun Monate ließ ich die Bahre, die wie eine Leinwand war, bei mir herumliegen. Aber eines Nachts fing ich doch an, sie zu bemalen, in einem Raum fast ohne Licht. Kurz bevor die Sonne aufging, wurde ich fertig. Ich zog den Vorhang an die Seite und sah zum ersten Mal mein Werk. Da hatte sich tatsächlich auf dem Bild ein Fleck wie der einer Leiche gebildet - wie auf dem Turiner Grabtuch.

SZ: Sie lieben die Mystik und das Morbide.

Marilyn Manson: Sagen wir lieber: Es ist für manche erstaunlich, dass ich mich manchmal einer christlichen Bildsprache bediene. Aber mir sind auch die Schwierigkeiten des Alltags durchaus bewusst. Eines meiner Bilder heißt "Wie schwer es ist, jeden Tag aufzustehen!" Stimmt doch, oder?

SZ: Man hat Sie mit dem Maler Egon Schiele verglichen, seinen Schmerzensbildern, oder mit Gottfried Helnwein, in dessen Landhaus Sie vor ein paar Jahren die Stripperin Dita von Teese geheiratet haben, oder auch mit den deutschen und österreichischen Expressionisten. Haben Sie beim Malen Vorbilder?

Marilyn Manson: Ich bewundere Matthew Barney, ich würde gern künstlerisch wachsen und an ihn heranreichen. Mein größter Kunst- Held ist allerdings Salvador Dalí (Manson sagt: "Dolly"), aber nicht so sehr wegen seiner Gemälde, sondern mehr wegen seiner Zeichnungen. Und vor allem, weil bei ihm Mensch und Künstler völlig ineinander aufgehen. Dann hat Dalí natürlich auch einen wunderbaren Sarkasmus, der von vielen übersehen wird.

SZ: Vor kurzem kam Tim Burtons "Alice im Wunderland" in die Kinos. Sie wollten selbst einen Film machen über den Autor Lewis Carroll: "Phantasmagoria", eine Art Jekyll-und-Hyde-Geschichte ...

Marilyn Manson: Ach, ich weiß nicht, an welcher Stelle in dem Projekt wir stehen. Das Drehbuch war wohl ein bisschen extrem. Aber Lewis Carroll ist in der Tat ein äußerst merkwürdiger Charakter. Wussten Sie, dass der Name ein Pseudonym ist für den Pfarrer Charles Dodgson? Dodgson hat viel fotografiert, ungefähr ein Viertel aller Aufnahmen zeigen Kinder und entlarven ihn als Pädophilen. Wo alles bunt und lustig und unschuldig erscheint, gibt es eine andere Seite. Aber die Leute wollen das nicht wahrhaben. Vor allem in Amerika.

SZ: Sie haben mal gesagt, David Bowie oder Donald Duck sollen der nächste Präsident Amerikas werden.

Marilyn Manson: Ja, und jetzt haben wir Obama. Nach all dem Horror der Bush-Zeit, in der ich ständig an den Pranger gestellt wurde und man mich für das Massaker an der Columbine High School verantwortlich machte, bloß weil der Mörder meine Songs gehört hat. Ich sag Ihnen was: Ich habe letztes Jahr zum ersten Mal gewählt in meinem Leben. Da war diese Kabine, und ich dachte, dort gäbe es etwas zu trinken ... - Nein, im Ernst: Ich glaube nicht an unser Zwei-Parteien-System. Aber ich bin auch nicht ausgewandert. Ich habe meinen Frieden gemacht mit Amerika.

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Quelle:
SZ vom 05.07.2010/rus
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