Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Volksheld

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"Ich denke ja gar nichts, ich sage es ja nur": eine wunderbare Ausstellung über den Dramatiker Ödön von Horváth im Münchner Theatermuseum.

Von Christine Dössel

Obacht, das könnte gefährlich werden! An der Decke im Eingangsbereich des Münchner Theatermuseums hängt menetekelhaft ein schwerer Ast und erinnert daran, dass der Tod manchmal von oben kommt. So wie im Fall des Schriftstellers Ödön von Horváth, der am 1. Juni 1938 in Paris auf den Champs-Élysées von einem im Gewitter herabstürzenden Ast erschlagen wurde. Zuvor hatte sich der frisch nach Paris gekommene Exilant noch mit dem Regisseur Robert Siodmak getroffen, um mit ihm über eine Verfilmung des Romans "Jugend ohne Gott" zu sprechen. Siodmaks Angebot, ihn bei dem Sauwetter mit dem Wagen ins Hotel zu bringen, hatte der zutiefst abergläubische, ängstliche Horváth abgelehnt - mit der Begründung, das sei ihm zu gefährlich. Ein Theaterdichter hätte es nicht schicksalsironischer erfinden können.

Josef Hader hat über den mörderischen Pariser Ast eine baumstarke, sehr bizarre Kabarettnummer gemacht. Auch die ist im Foyerbereich zu sehen: in Dauerschleife auf Video. So wird man gleich mal bitterkomisch eingestimmt auf eine Ausstellung, die mit vorzüglichem theatralischen Sinn und einladendem Gestus das - nur 36 Jahre währende - Leben und Werk Ödön von Horváths beleuchtet, dieses großartigen Kleine-Leute-Dramatikers und Menschenverstehers der Wirtschaftskrisenzeit, heute ein moderner Klassiker. Die Schau trägt den schönen Titel "Ich denke ja garnichts, ich sage es ja nur" - ein Zitat aus dem Stück "Kasimir und Karoline" von 1932, das zusammen mit den beiden anderen berühmten "Volksstücken" Horváths, "Italienische Nacht" und "Geschichten aus dem Wiener Wald" (beide aus dem Jahr 1931), die Grundlage der Ausstellung bildet. Jedes dieser drei Dramen hat einen eigens dafür eingerichteten Raum.

Erotik, Ökonomie und Politik waren die prägenden Themen in seinen Werken

Entlang und anhand dieses szenischen Triptychons erzählen die Kuratoren Nicole Streitler-Kastberger und Martin Vejvar von den wesentlichen Topoi in Horváths Werk: Erotik, Ökonomie und Politik. Das Verhältnis zwischen Frauen und Männern, die Ökonomisierung aller Lebensbereiche und das aggressiv sich verschärfende politische Klima zur Zeit der Weimarer Republik bilden die Unterlage, auf denen der österreichisch-ungarische Autor in seinen gesellschaftskritischen Stücken von den Nöten, Bestrebungen und Hoffnungen des Kleinbürgertums erzählt. Stets mit einem besonderen Augenmerk auf die Situation der Frau. Horváths berühmte Fräulein-Figuren wie Marianne, Karoline oder Elisabeth versuchen mit emanzipatorischem Impetus ihren engen Verhältnissen zu entkommen. Und müssen dafür furchtbar büßen. "Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich", sagt Karoline einmal, "aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln, und das Leben geht weiter, als wär man nie dabei gewesen."

Wenn es denn überhaupt weitergeht, das Leben. Elisabeth, die Protagonistin in Horváths "Glaube Liebe Hoffnung", wegen eines fehlenden Wandergewerbescheins in einen hoffnungslosen Strudel aus Arbeitslosigkeit, Abhängigkeit und Armut geraten, stirbt am Ende. Und wenn Marianne, das "süße Mädel" aus den "Geschichten aus dem Wiener Wald", nachdem sie ins Rotlichtmilieu abgerutscht und im Gefängnis gelandet ist, am Ende doch den Fleischhauer Oskar heiratet, dessen Liebe sie eigentlich entkommen wollte, dann ist auch sie so gut wie tot.

Dass Horváth wieder (oder immer noch) so aktuell ist - er ist einer der meist gespielten Autoren auf deutschsprachigen Bühnen, mit zehn bis zwanzig Neuinszenierungen pro Saison -, hat einerseits genau mit diesen Themen zu tun, den offenkundigen politischen und sozialen Bezügen zu den krisenhaften Dreißigerjahren. Andererseits aber auch mit der modernen Schreib- und Bauart dieser Stücke; ihrem offenen, lakonischen, für Regieideen anschlussfähigen Stil; den typischen Horváthschen Gedankenstrich-Pausen und Szenenanweisungen für "Stille"; den decouvrierend vorgeführten Phrasen und Sprachschablonen der Figuren. Ihr Aneinander-Vorbeisprechen verweise bereits "auf das allgegenwärtige Geplapper von Tweets und Postings, in denen das Missverständnis geradezu kultiviert und nur noch auf Reizwörter reagiert wird", befinden die Kuratoren, die beide Horváth-Experten sind. Sie arbeiten seit mehr als zehn Jahren an der Wiener Ausgabe seiner Werke.

Konzipiert wurde die ebenso klug wie reizvoll sinnlich inszenierte Schau 2018 für das Theatermuseum Wien, von dem die Münchner sie nun übernehmen, ergänzt um speziell Münchner und Murnauer Aspekte in Horváths Schaffen. Der 1901 geborene Autor, als Sohn eines ungarischen Diplomaten nie lange an einem Ort sesshaft, begann 1919 ein Studium in München. Die Schellingstraße und der "Schellingsalon" spielen eine gewisse Rolle in seinem Werk und natürlich auch das Oktoberfest, Schauplatz von "Kasimir und Karoline". Als seine Familie sich 1924 in Murnau niederlässt, zieht auch Horváth in den oberbayerischen Ort am Staffelssee. Gabriele Münter hat ihn dort gemalt.

1931 kommt es in der Murnauer Gaststätte Kirchmeir zu einer Saalschlacht zwischen Mitgliedern des (sozialdemokratischen) Reichsbanners und Anhängern der NSDAP, wie Horváth sie ganz ähnlich in seiner "Italienischen Nacht" beschreibt. Er sagte damals im folgenden Prozess gegen die Nationalsozialisten aus. Wenig später, als ein Boykott seiner Stücke drohte, gab Horváth sich allerdings opportun, trat in den Reichsverband deutscher Schriftsteller ein und verdingte sich eine Zeit lang als Drehbuchautor für Seichtes in Berlin. Die Erfahrungen, die er dabei machte, führten zu einer radikalen Abkehr vom deutschen Nazitum, wie sie in seinen Romanen "Jugend ohne Gott" (1937) und "Ein Kind unserer Zeit" (1938) zum Tragen kommt.

"Ein jeder intelligente Mensch ist ein Pessimist", schrieb der begnadete Sprücheklopfer

Wer genügend Zeit mitbringt, kann sich anhand von Texttafeln, Briefen, Manuskripten und in Vitrinen ausgestellten Zeitzeugnissen gründlich in Horváths Biografie und Arbeitsweise vertiefen. Aber auch bei einem schnellen Durchgang vermittelt sich der Geist der Zeit, ein anschauliches Sitten- und Stimmungsbild. Denn Peter Karlhuber, von Beruf Bühnenbildner, hat die einzelnen Räume sehr atmosphärisch gestaltet, ja, regelrecht inszeniert. Umgeschmissene Bierbänke und Masskrüge versinnbildlichen das Wirtshausschlacht-Ambiente der "Italienischen Nacht". Im Treppenhaus begleitet man Horváth aus der "Stille" in die Großstadt München, die sich im zentralen oberen Saal als Rummelplatz auftut: der Raum für "Kasimir und Karoline" und die Erotik in Horváths Werk.

In der Mitte der kulissenhafte Nachbau eines Kettenkarussells, wie eingefroren in der Bewegung. Ringsum rostige Rollläden von Varietés und Buden; und auch hier Bierbänke, sie laden zum Sitzen und Verweilen und zum Anhören der Audioaufnahmen ein. Groß an der Wand eine alte Schwarzweißansicht Münchens mit der Wiesn, über die ein Zeppelin fliegt, wie bei Horváth im Stück. Für die Uraufführung 1932 in Leipzig hat Caspar Neher das Bühnenbild gebaut, man sieht seine Entwürfe auf pastellzarten Zeichnungen.

In den Schaukästen erzählen Frauenratgeber, Nivea-Dosen, eine Sauerbruch-Armprothese von den Themen, Moden und Lebensbedingungen der Zwischenkriegszeit. Das Automobil zum Beispiel ist eine Riesensache. Die Szene, in der Kommerzienrat Rauch die beeindruckte Karoline zu einer Spritztour nach Altötting einlädt - wohingegen der kleine Chauffeur Kasimir mit seinem Job auch an erotischer Attraktivität verliert -, ist bezeichnend für eine kapitalistische Mobilmachung in der Beziehung der Geschlechter.

Dezidiert um Ökonomie - und die Frau als Ware - geht es im letzten Raum, der den "Geschichten aus dem Wiener Wald" gewidmet ist, gestaltet mit Motiven aus dem Stück: die Trafik, die Puppenklinik von Mariannes Vater und im Zentrum Oskars Fleischertheke mit einem Schweinskopf drin und Metzgermessern. An Haken baumeln fette Salamis, auf einem Monitor sieht man den genialen Helmut Qualtinger in der Rolle des Fleischhauers, es ist ein Fressen und Gefressenwerden. Am Rand kann man sich an Biergartentischen niederlassen und Ausschnitte aus Verfilmungen des Stücks anschauen. Fehlt eigentlich nur ein kühles Bier. Masskrüge stehen zwar herum, sind aber leer. Dafür sind sie bedruckt mit süffigen Zitaten aus den drei Paradestücken. Horváths Figuren sind ja grandiose (Sinn-)Sprücheklopfer. "Ein jeder intelligente Mensch ist ein Pessimist", heißt es da etwa. Oder, ganz aktuell: "Wenn man nur wüsst, was dass man für eine Partei wählen soll - -".

"Ich denke ja gar nichts, ich sage es ja nur." Ödön von Horváth und das Theater. Deutsches Theatermuseum München, bis zum 17. November. Das umfangreiche Begleitbuch kostet 35 Euro.

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Quelle:
SZ vom 25.05.2019
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