Ausstellung "Verlorene Moderne":Begraben, um zu bleiben

Rührendes Ende einer traurigen Geschichte: Die Plastiken von Marg Moll, Otto Freundlich und anderen Künstlern der Moderne waren im Nazi-Propagandafilm "Venus vor Gericht" als "entartet" diffamiert worden und danach verschollen. 2010 wurden sie aus dem Boden Berlins geholt und werden nun in Hamburg erstmals gezeigt.

Catrin Lorch

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Quelle: Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung

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Rührendes Ende einer traurigen Geschichte: Die Plastiken von Marg Moll, Otto Freundlich und anderen Künstlern der Moderne waren im Nazi-Propagandafilm "Venus vor Gericht" als "entartet" diffamiert worden und danach verschollen. 2010 wurden sie sensationeller Weise aus dem Boden Berlins geholt und werden nun in Hamburg erstmals gezeigt.

Der erste Auftritt gehört dem weißen Marmortorso, einer Frauenfigur, die so vor einer Folie aus Paragraphenzeichen platziert ist, als werde sie von Pfeilen durchbohrt: Die "Venus vor Gericht" ist Titelheldin eines Films, der nur selten gezeigt wird, weil er als Nazi-Komödie im Giftschrank der Filmgeschichte gelandet ist.

Doch diese Woche wird er im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg gezeigt, im Rahmenprogramm der Ausstellung "Verlorene Moderne". Und tatsächlich reflektiert die Vorführung eine der eigenartigsten Ellipsen der Kunstgeschichte, Unterkapitel "Entartete Kunst": Es geht dabei um vergrabene Kunstwerke, um Werte, Diffamierung und auch darum, dass manche Geschichten ganz unerwartet ein gutes Ende nehmen.

Doch damit ist nicht das Happy End des Films gemeint, der im Jahr 1930, also vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland spielt.

Bauern finden da auf einem oberbayerischen Acker eine Steinfigur, und das ganze Dorf ist sofort verliebt in die Schönheit. Die Plastik gerät als "Venus vom Acker", wie sie findige Zeitungsjungs taufen, nach Berlin, wo sie im Hinterzimmer des jüdischen Kunsthändlers Benjamin Hecht landet.

Gegen den zarten, sanft ausgeleuchteten Torso marschiert dort die gesamte Entartete Kunst auf: Grimmig starrt Otto Freundlichs "Kopf" (1925) vom Sockel, im Hintergrund des Verkaufsraums steht eine "Tänzerin" von Marg Moll aus dem Jahr 1930, und auch Gemälde von Kirchner, Heckel und Kandinsky sind zu sehen.

Eine Szene aus dem Film "Venus vor Gericht", die in der Galerie des jüdischen Kunsthändlers spielt. Im Hintergrund links ist die "Tänzerin" von Marg Moll zu sehen.

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Quelle: Photographer: Achim Kleuker

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Es sind diese Werke, die den Film "Venus vor Gericht" zu einem Ausnahmewerk machen, denn wer auch immer diese Kulissen eingerichtet hat, er durfte sich frei in den Depots der nationalsozialistischen Kunsträuber bedienen: Es sind die originalen Meisterwerke aus der massenhaft besuchten Ausstellung "Entartete Kunst", die im Jahr 1937 in einer Tournee durch Deutschland zog.

Aus der die Moderne kontrastierenden "Venus" soll nun auf Geheiß des Händlers eine antike Griechin werden, deren Authentizität von einer Kamarilla weltfremder Kunsthistoriker und Archäologen willig bestätigt wird. Weswegen sie vom Minister flugs fürs Museum angekauft wird, was aber auch damit zu tun hat, dass der Minister als Abnehmer pornografischer Mappen dem jüdischen Händler zutiefst verbunden ist.

Otto Freundlich, Kopf, 1925 , Zustand nach Reinigung und Anfügung einiger Fragmente 10/2010, Terrakotta, schwarz glasiert, Fragment, ursprüngliche Höhe: 31 cm

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Quelle: Photographer: Achim Kleuker

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Doch trifft er auf einen Bildhauer, der sich noch mehr als Propagandist versteht. Seine Verteidigungsrede gerät zur Anklage gegen die Moderne: "Heute verherrlicht man nicht mehr den schönen Körper, sondern den hässlichen, man geht neue Wege in der Kunst, wenn man eine Frau als Gorillaweibchen darstellt - das ist modern, das ist geistvoll, das bringt einen Namen und vor allen Dingen Geld."

Dass hier allerdings nicht dem Künstler, sondern dem Nazi der Prozess gemacht wird, betonen alle Protagonisten unablässig - und folgerichtig gerät Peter Brake erst wirklich in Wallung, als es nicht länger um die Kunst geht, sondern man ihn bei der Ehre packt. Dass man seinem "Mädel" überhaupt den Namen "Venus" verpasst hat, versetzt ihn in Rage, wie auch die erotisch überbordende Begeisterung der Öffentlichkeit, die gierig Kopien kauft, während im Revuetheater eine Nackttänzerin als "Venus vom Acker" auftritt.

Naum Slutzky, Weibliche Büste, vor 1931 , Zustand nach Reinigung 10/2010, Bronze, Höhe: 15,5 cm, Museum für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen zu Berlin.

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Quelle: SZ

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Insofern ist es nicht ganz richtig, wenn man die unlustige Komödie als flankierende Propaganda, oder gar als Rechtfertigung der ungeheuren Kampagne "Entartete Kunst" versteht: Im Entstehungsjahr des Films, 1941, konnte Hans H. Zerlett, Drehbuchautor und "Spielleiter", auf ein im nationalen Sinn gefestigtes Kunstverständnis seines Publikums vertrauen - die "Entartete Kunst" war eines der erfolgreichsten Projekte des Dritten Reichs, um deren Urheberschaft sich das Führungspersonal im nachhinein geradezu raufte.

Otto Baum, Stehendes Mädchen, 1930, Vorkriegszustand, Bronze, Höhe: 65 cm, Zentralarchiv, Staatliche Museen zu Berlin

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Quelle: Photographer: Achim Kleuker

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Der Film "Venus vor Gericht" packt da nur die Verfolgung der Nazis während der frühen dreißiger Jahre auf die schon längst erfolgreich verzerrte Kunstgeschichte drauf. Und anders als beispielsweise die Filme von Leni Riefenstahl, in denen sich Körperkult und verstockte Modernität des Faschismus manifestieren, ist der so dumpf Täter und Opfer vertauschende Film - schließlich war es ja erst der Kunstgeschmack des Dritten Reichs, der aus Malerei und Plastik Delikte machte - nur ein kulturelles Zeitzeugnis.

Karl Knappe, Hagar, 1923 , Zustand nach Reinigung 10/2010, Bronze, Höhe: 50,5 cm, Museum für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen zu Berlin

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Quelle: SZ

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Sprechend ist höchstens, dass der Film mehr leere Sessel und Stühle als Sockel zeigt - als gelte es, nicht Kunstwerke, sondern politisches Personal neu zu platzieren.

Dass der heute fast erschreckend belanglose Film jetzt in Hamburg wieder gezeigt wird, reflektiert einen besonderen Moment der Kunstgeschichte: Denn in der Ausstellung "Verlorene Moderne. Der Berliner Skulpturenfund" werden verschollenen Skulpturen gezeigt, die im Zuge archäologischer Grabungen vor dem Roten Rathaus in Berlin im Herbst des Jahre 2010 gefunden worden sind.

Emy Roeder, Schwangere, 1918 , Vorkriegszustand, Terrakotta, ursprüngliche Höhe: 80,5 cm, Zentralarchiv, Staatliche Museen zu Berlin - bearbeitete Version des Bildes aus der Ausstellung, "Entartete Kunst" München 1937

© SZ vom 22.8.2012/pak
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