Das weiße Ikea-Stockbett aus Metall ist wackelig und ein wenig schwierig zu erklimmen. Doch erst ganz oben hat der Betrachter den Überblick über die postsozialistischen Jugendzimmer, die Künstlerin Henrike Naumann in der "Galerie Wedding" in Berlin für die Ausstellung "Aufbau Ost" eingerichtet hat. Er sieht lila-schwarz-gemusterte Polstermöbel, Glasvitrinen mit allerhand Nippes, vereinzelte sozialistische Pressspan-Möbel. Er sieht vier Sessel, durch Wände voneinander getrennt. Doch was ist das? Die Wände bilden, so von oben betrachtet, ein Hakenkreuz mitten in der nostalgischen Heimeligkeit.
Genau darum geht es Naumann, die 1984 in Zwickau geboren wurde: die Ästhetik ihrer Kindheit und Jugend im Ostdeutschland der Neunzigerjahre wieder aufleben zu lassen - und sich gleichzeitig zu fragen: Wie konnte es passieren, dass dort immer wieder Flüchtlingsheime brennen? Dass in ihrer Heimatstadt 2011 der NSU aufflog? Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos lassen Naumann nicht mehr los, seit deren schreckliche Taten bekannt geworden sind.
Was der NSU mit Ibiza zu tun hat
2011 stand Naumann kurz vor ihrem Abschluss an der Filmuniversität Babelsberg in Potsdam. "Dass ich mich in meiner Abschlussarbeit mit den Neunzigerjahren beschäftigten wollte, wusste ich schon", erzählt sie. "Eigentlich hatte ich geplant, einen Film über Ibiza zu machen." Party-Reisen, Drogen und Techno - das waren ihre ersten Assoziationen mit dem Jahrzehnt. Doch dann kam eben der NSU. "Und ich fragte mich: Was mache ich hier eigentlich?" So wurde ihre Abschlussarbeit, die nun Teil der Ausstellung in der "Galerie Wedding" ist, ein wenig anders als geplant.
Den Ibiza-Film produzierte sie zwar. In einem verwackelten Home-Video zeigt sie auf einem Röhrenfernseher drei Jugendliche, die sich darauf freuen, das erste Mal Ecstasy zu nehmen. Doch gegenüber ist noch ein anderes Home-Video installiert: Es zeigt drei Jugendliche in einer Plattenbausiedlung in Jena, die einen Ladenbesitzer zusammenschlagen, eine Kamera klauen. Die Schauspieler ähneln auf frappierende Weise Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, wie sie zum Beispiel zuletzt im ARD-Film "Die Täter - Heute ist nicht aller Tage" dargestellt wurden.
Das Nebeneinander von Radikalisierung und einem hedonistischen Lebensentwurf ist für Naumann typisch für jene Zeit. Sie selbst sei zur Wende noch ein Kind gewesen. "Daher habe ich vom politischen Wandel gar nicht so viel mitbekommen." Was sie aber natürlich bemerkt habe, sei der Wandel in der Ästhetik gewesen. "In der DDR herrschten gedeckte Farben vor: Grau und Beige. Auf einmal gab es Schwarz, Lila, Grün - eine ganz neue Farbpallette."
"Wir sind das Volk" über der Ledercouch
Die steht für Naumann stellvertretend für den Einzug des Neoliberalismus, der anfangs vom größten Teil der ehemaligen DDR-Bürger begeistert begrüßt wurde. Der aber schnell auch viele Verlierer produzierte, politische und wirtschaftliche Struktur- und Perspektivlosigkeit. Die mündete schließlich in rechtsradikalen Anschlägen, dem NSU, Pegida.
Das alles drückt die Ausstellung aus, im Nebeneinander der vertrauten Neunzigerjahre-Ästhetik und nationalistischer Symbolik. Eben lacht der Zuschauer noch über das Backstreet-Boys-Kissen auf der schwarzen Ledercouch - dann fällt der Blick auf das Wandtattoo darüber. Es zeigt in Frakturschrift den von Pegida missbrauchten Ausruf "Wir sind das Volk". Die Szene wirkt umso stärker, wenn man erfährt, dass das Arrangement nicht der Fantasie Henrike Naumanns entsprungen ist: "In einer ganz ähnlichen Anordnung wurde das Wandtattoo in einem rechten Shop auf Ebay angeboten, wo ich es gekauft habe."