Ausstellung über das Glücksspiel:Der Teufel schlägt den Papst

Warum nur kettet der Mensch sich so lustvoll an die blinde Göttin Fortuna? Am Glücksspiel versucht er sich schon seit 2000 Jahren. Eine Ausstellung.

Alexander Kissler

Harmlos ist das nicht: Der Daumen wurde abgetrennt, die Hand auf den Tisch genagelt, der Delinquent mit Ruten aus der Stadt getrieben. Kurzen Prozess machten Mittelalter und frühe Neuzeit mit dem Falschspieler, der dennoch epidemisch oft anzutreffen war. Und auch wer den Regeln treu blieb, stand mit einem Bein außerhalb der Gesellschaft. Einen schmalen Korridor nur hielt diese für das Glücksspiel bereit, zu offensichtlich war dessen Nachbarschaft zu den bedenklicheren Trieben, zu Rauflust und Trunksucht, Prahlerei und Habgier. Warum nur kettet der Mensch sich so lustvoll an die blinde Göttin Fortuna?

Dass er zu allen Zeiten und überall würfelte und knobelte, wettete oder Karten spielte, ist unstrittig. In der Odyssee wird eifrig gelost, Herodot berichtet vom "Würfel-, Knöchel- und Ballspiel", das die Lyder ersonnen, um sich während einer 18-jährigen Hungersnot abzulenken. Die Kaiser Claudius, Caligula und Domitian setzten Zehntausende Sesterzen beim Brettspiel in den römischen Sand, Augustus ist die einzige überlieferte antike Spielregel zu verdanken. Der Imperator würfelte mit jeweils vier Astragalen, kleinen Mittelfußknochen von Schaf oder Ziege, wie sie nun im Badischen Landesmuseum Karlsruhe zu sehen sind. Der siegbringende Wurf, mit den Einsätzen aller Spieler belohnt, hieß Venus und hatte eine Wahrscheinlichkeit von 1 zu 25.

Die seit mindestens 5000 Jahren belegten Würfelspiele sind die Urform des Glücksspiels, des "Hasardspiels", das der 1951 verstorbene französische Philosoph Alain die "Seele jeden Spiels" nannte. "Die Herausforderung des Zufalls" steht folgerichtig am Beginn des Parcours im Karlsruher Schloss. Der Spieler will Fortuna ein Schnippchen schlagen, jener wohlbeleibten, lebenserfahrenen und geflügelten Frau, die auf Albrecht Dürers Kupferstich "Das große Glück" von 1501 über den Wolken steht, eine Kugel zu Füßen. Ihr spricht Alain geradezu kathartische Fähigkeiten zu: "Der Spieler, der Haltung hat, ... steigt in jedem Augenblick von Begierde und Furcht zu Gleichgültigkeit auf; mit anderen Worten, er weckt in sich heftige Aufregungen, beweist sich aber als ihr Meister.

Alains Ideal, der beau joueur, hatte und hat es schwer. Die falschen Goldtaler, die in Karlsruhe von der Decke baumeln, als würfe Fortuna sie hinab, bedeuten eine gewaltige Versuchung zur Haltlosigkeit. Gogols und Tolstois tragische Helden wissen ein Lied davon zu singen, Dostojewskis "Spieler" sagt sich ganz vom Leben los, "von den eigenen Interessen und dem gesellschaftlichen Geschehen, von den staatsbürgerlichen und allmenschlichen Pflichten". So wirkt das strahlende Weiß des ersten Raumes eher mitleidlos denn rein. Wenn Erwachsene um Geld spielen und einzig der Zufall das Ergebnis lenkt, ist die Aufregung zu heftig, als dass sie sich bemeistern ließe.

Nervenspiel und Travestie

Ist der Einsatz gering, winkt auch dem Unterlegenen der befreiende Blick in eine verkehrte Welt. Vor allem das im Mittelalter erfundene Kartenspiel verband Nervenkitzel und Travestie. Die älteste europäische Variante, das "Stuttgarter Kartenspiel" von 1430, war zwar ein adliger Zeitvertreib, als Motive dominieren Mensch und Tier in freier Natur. Hingegen machte sich das zu gleicher Zeit entstandene "Karnöffelspiel" die egalitäre Ausgangssituation jedes Spiels zunutze. Karten fungieren als Papst, Teufel oder Kaiser.

Die "Karnöffel"-Karte überbietet alle anderen, die niedrigen Karten gelten mehr als die hohen, der Teufel schlägt den Papst. "Karnöffel" meint einen groben Menschen oder Landsknecht, hergeleitet vom Wort für einen Leistenbruch. Dagmar Maria Schumacher sieht im erfreulich leichtgängigen Katalog so den "Umsturz der gottgewollten Gesellschaftsordnung" spielerisch imaginiert.

Schnell wurde das Kartenspiel zum "Gebetsbuch des Teufels", wie zuvor schon Reinmar von Zweter im 13. Jahrhundert den Teufel als Erfinder auch des Würfelspiels vermutete. Propagandistisch verständlich sind daher die Darstellungen eines würfelnden Judas oder eines Karten spielenden verlorenen Sohnes. Beide werden in eine Reihe gestellt mit den um Jesu Gewand losenden Soldaten auf Golgatha.

Eine Kreuzigungsszene aus der Werkstatt des Meisters von Sigmaringen von 1515 bildet nun die Stirnseite eines nachtblau ausgeschlagenen Kabinetts, sodass vis-a-vis der Landsknechte ein noch zynischeres Spektakel zu sehen ist: Auf einer Radierung von Jacques Callot hängen 21 Männer tot am Galgenbaum, ein weiterer wird gerade aufgeknüpft, um das Schicksal der übrigen wird auf einer Trommel gewürfelt. Hier entschied Fortuna über Leben und Tod, war also, hineingezogen ins grausame Spiel des Dreißigjährigen Krieges, weniger Herrin als Komplizin des Verfahrens. Alain sähe sich bestätigt: "Alle Spiele finden sich vereint im Krieg, denn wer Krieg führt, will in einem Tage alle Fragen entscheiden."

Freude am Triumph

Eine dunkle Vermutung führt demnach vom trügerischen Weiß des Einstiegs ins Schattenkabinett: Sitzt der Tod immer mit am Tisch? Wäre der Mensch ohne Spieltrieb ein friedlicheres Wesen? Nicht nur die Regelhaftigkeit und das Gegenweltliche, das Zufällige und die Katharsis sind im Glücksspiel zu Hause, sondern auch die Gier nach Geld und Geltung, die Freude am Triumph. Diese Besessenheit wird deutlich in den panischen Versuchen, das Glück planbar zu machen. Ein "Traum- und Lotterie-Fächer" von 1800 ordnet typischen Traummotiven die Zahlen 1 bis 90 zu, auf dass der Träumende nach Erwachen die richtigen Zahlen ankreuze. Ein Buch von 1920 verspricht, "die Gesetze des Zufalls und die Magie der Zahlen" zu erläutern.

Gäbe es solche Gesetze, wäre nicht im 16. Jahrhundert in Genua die Lotterie als staatlich umhegter Sonderbezirk entstanden. Reglementierung und Technisierung, verbunden mit einem karitativen Überbau, sollten einerseits das Stadtsäckel füllen, andererseits die Deklassierung der Spielwütigen verhindern. "Jeder hat seine Sternstunde, nütze sie" warb Toto-Lotto Baden-Württemberg 1970 und bediente damit jene "Traumdeuterei und Traumbücherromantik", deretwegen Österreichs Sozialdemokraten 1912 das Lotto abschaffen wollten.

Beim Roulette waltet solches Marktschreiertum nicht, und dennoch hat es in allen Schichten seine Anhänger. Das bizarrste Fundstück stammt aus der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim. Aus einer Kunststoffscheibe haben Gefangene eine Rouletteschüssel nachgebaut. Als Jetons dienen Garderobenmarken mit eingestanzten Nummern. Ein handschriftlicher Spielplan ist überschrieben "Casino Stammheim". Zu derselben Zeit, da im hier nachgebauten Spielsaal zu Baden-Baden die Kugel rollte, gaben sich die Sträflinge also derselben Hoffnung hin: dass sie im Spiel Herr ihres Handelns sind.

Wäre also der Kern des Spieles seine Ermöglichung einer Freiheitserfahrung? Wer die Abgründe ahnt, in die der "Glaube an Fügung und Fatum" (Jochen Schicht) führen kann, wird da nicht folgen. Letztlich ist das Glücksspiel eine Vereinigung des Widerstreitenden, eine unwahrscheinliche Ehe von Fatalismus und Autonomie.

Volles Risiko! Glücksspiel von der Antike bis heute. Badisches Landesmuseum Karlsruhe, bis 17. August. Telefon 0721 / 926 2828. Der Katalog kostet 24,90 Euro.

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