Ausstellung: Thomas Struth:Was du nicht siehst

Fotokünstler Thomas Struth ist ein virtuoser Interpret der Gegenwart. Eine Schau in Düsseldorf zeigt ihn diesmal auf den Spuren der klassischen Malerei. Die Bilder.

Kia Vahland

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Thomas Struth

Quelle: Thomas Struth/Kunstsammlung NRW

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Fotokünstler Thomas Struth ist ein virtuoser Interpret der Gegenwart. Eine Schau in Düsseldorf zeigt ihn diesmal auf den Spuren der klassischen Malerei. Die Bilder.

Wie viele Wörter gibt es für grün? Nicht genügend. Die Fotografie ist genauer als die Sprache. Sie kann noch die feinsten Schattierungen zwischen gelb- und olivgrün ausdrücken, kann einen sonnengefluteten Palmwedel im Gegenlicht strahlen lassen und im selben Bild den Betrachter ins finstere Unterholz schicken. "Paradises" nennt der Fotokünstler Thomas Struth seine wandfüllenden Waldbilder. Es sind Paradiese des Sehens.

Text: Kia Vahland/SZ vom 30.3.2011/sueddeutsche.de/tolu

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Die Schlange sagte zu Eva, vom Baum der Erkenntnis zu essen lohne sich, denn "so werden Eure Augen aufgetan". Wer verstehen will, muss schauen können. Diese alte Daseinsberechtigung der Kunst trieb Maler und Bildhauer schon im Mittelalter zu liebevollen Darstellungen der Eva, christliche Morallehre hin oder her. Struth radikalisiert diese visuelle Weltsicht: Er lässt den Betrachter mit den Augen einer Eva gucken, die sich schon klug gegessen hat, aber noch nicht vertrieben ist aus dem Paradies.

Im Düsseldorfer Museum K20 hängen die großen grüntonigen Bilder in einem eigentlich viel zu hohen Raum und füllen ihn doch. Man stolpert über die Schlingengewächse Brasiliens, wirft sich in das kleinblättrige Gewimmel Chinas und kommt vor der vertikalen Strenge des bayrischen Nadelwaldes zur Ruhe.

Thomas Struth

Quelle: Thomas Struth/Kunstsammlung NRW

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Dazwischen hat der Künstler sein Frühwerk gestreut: kleinformatige Schwarzweiß-Aufnahmen von Straßenzügen aus den siebziger Jahren, alle in strenger Zentralperspektive von der Straßenmitte aus fotografiert, früh morgens ohne Verkehr. Unverkennbar ist ein Schüler von Bernd und Hilla Becher am Werk, und doch: Die Düsseldorfer Retrospektive, um 100 Werke erweitert gegenüber der Zürcher Erstausgabe, etabliert den 1954 geborenen Thomas Struth vor allem als bedeutendsten Erben der klassischen Malerei.

Thomas Struth

Quelle: Thomas Struth/Kunstsammlung NRW

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Wo die Bechers in Serie arbeiten, konzentriert sich Struth wie ein Maler auf das Einzelwerk. Es geht ihm immer um das eine Bild, auch wenn bei einem Shooting mehrere Aufnahmen entstehen wie bei seinen Familienporträts. Die Mütter, Väter, Kinder lässt er oft eine Dreiviertelstunde lang gemeinsam stillsitzen und mutet ihnen Belichtungszeiten von einer vollen Sekunde zu. So entsteht die große Ernsthaftigkeit dieser Gruppenaufnahmen: Jeder ist hochkonzentriert, achtet auf sich selbst, hat genug Zeit, zur Ruhe zu kommen.

Es hilft, dass Struth gerne neben statt hinter der Kamera steht, wenn er auf den Auflöser drückt. Dadurch beziehen sich seine Modelle nicht auf ihn als Person, sondern auf das Bild, für das sie sich entschieden haben. Die merkwürdige Mischung aus Pose und Versunkenheit bringt den Kunsthistoriker Michael Fried dazu, in Struth einen Wahlverwandten der großen wirklichkeitsorientierten Malerei von Caravaggio bis Courbet zu sehen ("Why Photography matters as Art as never before", Yale University Press 2008).

Thomas Struth

Quelle: Thomas Struth/Kunstsammlung NRW

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Tatsächlich entpuppt sich Struth, je älter er wird, als immer virtuoserer Chronist und Interpret der Gegenwart. Er spielt mit dem Publikum Ich-sehe-was-Du-nicht-siehst, etwa im gut 2,8 mal 3,5 Meter großen Abbild einer tiefroten Halbtaucherbohrinsel vor Südkorea. Gar nicht becherisch nähert sich Struth dem Ungetüm nicht frontal, sondern über Eck und nutzt so die volle perspektivische Tiefenwirkung, als wäre es ein Renaissancegemälde.

Stahlseile verbinden die Bohrinsel mit dem Betrachter und sorgen gleichzeitig für nachdenkliche Distanz. Anstatt wie sein Kollege Andreas Gursky das Publikum zu überwältigen, platziert dieser Künstler böse kleine Widerhaken. Ein kleiner grauer Fleck unterbricht das Spiel der südkoreanischen Linien: Ein gebeugter Mann nestelt an seinem Fahrrad und schenkt dem technischen Monster hinter ihm keinen Blick.

Thomas Struth

Quelle: Thomas Struth/Kunstsammlung NRW

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Eine Sehschule wie dieses Bild der Bohrinsel funktioniert nur im Museum, es verlangt Größe und Muse. Schon ein Zeitungsfoto minimiert den Eindruck, den der Originalabzug hinterlässt. In letzter Zeit öffnen viele Museen ihre Säle und Archive bereitwillig für Kunstfotografie. Sie tun gut daran. Je mehr Bilder im Alltag der Leute in digitalen Wolken verschwinden, in nie ausgedruckten Fotoprogrammen oder im Internet, desto stärker wird das Bedürfnis nach einem gut verwahrten Bilderreservoir, das tatsächlich Auskunft geben kann.

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Quelle: Thomas Struth/Kunstsammlung NRW

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Thomas Struth hat früh auf seine eigene Musealisierung hingewirkt, ja er hat sogar die Museumswürdigkeit des gesamten Genres gezielt vorangetrieben: Einem größeren Publikum bekannt wurde er mit seinen Fotografien aus wichtigen Kunsthäusern. In Düsseldorf sind diese alten Bekannten noch einmal versammelt. Männer in Shorts und Sandalen, die den Nacken in den Kopf werfen, um Michelangelos David in Florenz zu erfassen. Die rotkarierte Frau, die in Chicago Anlauf zu nehmen scheint, um Caillebottes Pariser Straßenszene zu betreten. Und Struth selbst, von hinten, wie er auf Dürers Selbstporträt in München starrt.

Das Anschauen von Kunst ist sein Thema. Er hat es ausgeweitet ...

Thomas Struth

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... zu einer Betrachtung der Menschen, ihrer Häuser und Maschinen. Allem, den Staubhäusern von Lima wie dem Raketenkontrollraum der U.S. Air Force, nähert sich Struth als Museumsbesucher. Das macht ihn nicht nur den alten Malern, sondern auch uns verwandt.

© SZ vom 30.03.2011/tolu
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