Ausstellung:Stühle zum Selbstbauen

Möbelstücke aus gebogenem Buchenholz, die Kunden selbst aufbauen können - darauf baut der Erfolg der Firma Thonet. Zum 200-jährigen Jubiläum zeigt die Pinakothek der Moderne die stilprägenden Stühle.

Von Evelyn Vogel

Es waren die ersten Möbelstücke, die der Käufer selbst zu Hause aufbauen konnte. Sie waren in Einzelteile zerlegt und platzsparend verpackt, alle notwendigen Schrauben lagen bei. Mit ein bisschen Geduld und Geschick stand das Ding in kurzer Zeit. Wer jetzt an Ikea denkt, liegt falsch. Denn lange vor den Schweden machte sich ein aus dem rheinischen Boppard stammender Handwerksmeister dieses Do-It-Yourself-Prinzip zu eigen. Damit und mit seiner ebenso revolutionären Erfindung des gebogenen massiven Buchenholzes begründete er den Erfolg einer Möbeldynastie, die nun schon seit 200 Jahre existiert: Thonet.

Aus Anlass des 200-jährigen Bestehens von Thonet hat die Neue Sammlung, das Designmuseum in der Münchner Pinakothek der Moderne, die eigenen Bestände nach Klassikern aus dem Hause Thonet durchforstet. Mit einem beeindruckenden Ergebnis: Etwa 400 Exemplare finden sich in der Neuen Sammlung. Sie ist damit eine der größten und bedeutendsten Sammlungen von Thonet-Möbeln weltweit. Dazu gehören zahlreiche Ausführungen des berühmten Wiener Kaffeehausstuhls Nr. 14, von dem bis 1910 mehr als 50 Millionen Exemplare hergestellt worden waren, ebenso wie Ikonen aus Stahlrohr, die von Bauhaus-Architekten wie Ludwig Mies van der Rohe und Marcel Breuer für Thonet entworfen wurden, bis hin zu zeitgenössischen Exemplaren von Designern wie Konstantin Grcic und Stefan Diez.

Für die Präsentation im Untergeschoss der Rotunde der Pinakothek der Moderne hat der Münchner Designer Steffen Kehrle das Ausstellungskonzept entwickelt. Wie in einem antiken Amphitheater stehen die ausgewählten Exemplare auf den Stufen, als ob sie Besuchern gleich auf den Beginn des Theaterstücks warten würden. Chronologisch geht es von oben nach unten und - nachdem man auf der Seitentreppe wieder nach oben gegangen ist - auf dem obersten Podest noch einmal zur Seite, wo die aktuellen Entwürfe für einen Stuhl und einen Hocker für das Museum aus dem Atelier Kehrle zu sehen sind. Von unten gesehen aber wirkt die Inszenierung, als ob die Hauptdarsteller auf den Besucherreihen im Halbrund Platz genommen hätten, um sich selbst zu bejubeln. Eine drollige Wechselwirkung, je nach Standpunkt des Betrachters.

Bevor Michael Thonet 1859 mit dem Stuhl Nr. 14 der Durchbruch gelang, experimentierte er jahrelang, um Buchenholzstäbe mit Hilfe von Dampf und Druck in geschwungene Formen zu biegen. Der sogenannte "Bopparder Stuhl" von 1838, der am Anfang des Münchner Parcours zu sehen ist, bestand denn auch noch nicht aus Vollholz, sondern war - wie etliche aus den folgenden Jahren - noch aus Schichtholz verleimt und furniert, aber schon geschraubt. Obwohl Thonet damit einer kostengünstigen industriellen Fertigung schon recht nahe kam, war ihm kein Erfolg beschieden. So war es sein Glück, dass der österreichische Staatskanzler Fürst von Metternich Michael Thonet 1841 nach Wien holte. Mit den Worten "in Boppard bleiben Sie immer ein armer Mann" soll er Thonet überzeugt haben.

In Wien entwarf und fertigte Michael Thonet farbig gefasste und vergoldete Stühle mit Sitzpolster für adlige Paläste, wie jene für das Palais Lichtenstein oder den 1849 für das Palais Schwarzenberg geschaffenen Stuhl, der später als Nr. 1 in Serie produziert wurde. Mit dem Stuhl Nr. 4, mit dem er 1851 das Café Daum am Wiener Kohlmarkt ausstattete, stieg Thonet ins große Geschäft ein.

Aus dem Handwerker wurde ein Unternehmer, der alsbald in ganz Europa Buchenholzwälder aufkaufte, dort weitere Fabriken errichtete und auch auf Weltausstellungen präsent war. Und als es ihm 1856 endlich gelang, Vollhölzer zu biegen, trat er seinen industriellen Siegeszug an. Von nun an wurden verschieden geformte Unter- und Oberteile mit diversen Sitzplatten aus Holz oder Korbgeflecht kombiniert und Stühle in Einzelteilen in alle Welt verschickt. Die Neue Sammlung zeigt diese Entwicklung an Hand von Beispielen, wenngleich man sich die Firmengeschichte der Thonets - bis heute ein Familienunternehmen, das seit 1889 im hessischen Frankenberg ansässig ist - im Katalog erlesen muss.

Auch die Vielfalt der von Thonet hergestellten Stühle - und nur um diese geht es in der Ausstellung - über 200 Jahre hinweg, lässt sich schön an der Präsentation erkennen. Deutlich wird das gute Gespür für den Zeitgeist, den die Thonets hatten. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs kamen mehr als 1400 verschiedene Modelle auf den Markt. Als Bugholz aus der Mode kam wandte man sich dem gebogenen Stahlrohr zu - welch ein Paradigmenwechsel - und konnte berühmte Designer für die Entwürfe gewinnen. Eine Tradition, die bis heute anhält.

In einer ein Kubikmeter großen Kiste wurden damals übrigens 16 Stühle des beliebten Nr. 14-Modells verschickt. Thonet hatte Ikea eindeutig in vielem etwas voraus - vor allem aber beim Design.

Thonet & Design, Die Neue Sammlung in der Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40, bis 2. Februar 2020, Di.-So. 10-18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, Katalog (Koenig Books, London) 29,80 Euro

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