Wie viel, fragt man sich, sagt es über eine Sammlung und ein Museum aus, wenn die Arbeit mit dem vielleicht aktuellsten Bezug 30 Jahre alt ist? Cady Nolands Werk "Deep Social Space" von 1989 - im Untergeschoss des Museums Brandhorst zum zehnjährigen Bestehen des Hauses eingerichtet - ist eine Art Bestandsaufnahme der amerikanischen Gesellschaft. Nicht nur des Jahres 1989, sondern auch des Jahres 2019. Noland hat die Insignien des amerikanischen White Trash zu einer raumgreifenden Installation geformt: Barbecue, Reitsattel, US-Flagge, Burger, zerquetschte Bierdosen und vieles mehr. Eine Arbeit, in der die Bruchlinien der amerikanischen Gesellschaft deutlich werden. Eine Arbeit, die in den zurückliegenden 30 Jahren nie etwas von ihrer Aktualität verloren hat - und in ihrer Radikalität nur durch den amtierenden US-Präsidenten bestätigt wird.
"Forever Young" heißt die Jubiläumsschau, die die Kuratorin Patrizia Dander eingerichtet hat. Beim zehnten Geburtstag kann man mit der Jugendlichkeit auf jeden Fall noch ganz aufrecht spielen. Aber Dander, selbst kaum mehr als 40 Jahre alt, hätte "Really Old" auch gut gefallen. "Really Old" ist der Titel des Schriftbilds von Ed Ruscha, das am Abgang zwischen Hauptebene und Untergeschoss hängt und dort wie ein augenzwinkernder Kommentar zur Ausstellung wirkt.
Die Sammlung des Museums wächst rasant
Seit das Museum Brandhorst - erbaut vom Freistaat in unmittelbarer Nachbarschaft zur Pinakothek der Moderne, um die Sammlung von Udo und Anette Brandhorst aufzunehmen - eröffnet wurde, ist die Sammlung gewaltig gewachsen: von einst 700 auf 1200 Werke. Das ist ein satter Zuwachs von etwa 80 Prozent. Kaum ein anderes Museum verfügt über einen derart hohen Ankaufsetat. Was der großzügigen Schenkung und der 1993 gegründeten Stiftung zu verdanken ist.
Wenn man also aus einer solchen Fülle schöpfen kann, was zeigt man dann? Immerhin bald 250 Werke sind zu sehen. Natürlich kam man nicht drumherum, etliche Highlights aus der Sammlung in der Jubiläumsschau zu präsentieren. Doch man wollte auch die Neuerwerbungen gebührend feiern. Dennoch sollte dies alles nicht wie in einer Block-Buster-Show beziehungslos nebeneinandergestellt, sondern im Rundgang die Sammlungsstrategie deutlich werden. Das ist weitgehend gelungen. Bis hin zu Fehlstellen, die die Sammlung eben auch aufweist.
Die Ausstellung reicht von Warhol bis Tillmans
So beginnt man im Erdgeschoss mit Everybody's Darling: der Pop-Art und Andy Warhol und zeigt dessen Einfluss auf die zeitgenössische Kunst. Allein von ihm werden 45 Arbeiten gezeigt. Ikonen der Sechzigerjahre, Celebrities, Konsumwelt, Werbung. Daran an knüpfen sich Künstler, die sich mehr oder minder direkt auf Warhol bezogen. Beispielsweise Louis Lawler - sie war auch eine der ersten Neuankäufe, wie Patrizia Dander erzählt. Weiter geht's mit Fotografien der Sechziger- und Siebzigerjahre, wie die von Richard Avedon. Ein weiteres Mal Warhol-Konvolute, an Hand deren heute relevante gesellschaftliche Themen wie Queerness, alternative Lebensentwürfe und Identitäten weitererzählt werden. Dabei ist seine Serie "Ladies and Gentleman" im Wortsinn hoch gehängt. Sehr amüsant.
Mit neuerworbenen Fotografien von Arthur Jafa gelingt der Brückenschlag zu politischen Themen. Der amerikanische Filmemacher und Videokünstler wurde gerade für sein Video "The White Album" über das Thema Rassismus mit dem Goldenen Löwen der Venedig-Biennale ausgezeichnet und wird von Juli an in Zusammenarbeit mit dem Filmfest im Museum ausführlicher vorgestellt. Mit Arbeiten von Basquiat, Haring und Nauman zeigt die Ausstellung, wie die Straßenkunst ins Museum gelangt. Weiter hinten wird erstmals die 2017 erworbene, in den frühen Neunzigerjahren entstanden Rauminstallation von Wolfgang Tillmans gezeigt. Etliche Neuankäufe versammeln sich hinter dem Schlagwort "Spot on", hier unter anderem mit dabei Albert Oehlen und Jacqueline Humphries. Von der amerikanischen Malerin gibt es einen ganzen Raum mit Schwarzlicht-Bildern, der eine echte Schau ist.
Freitag, 24. Mai
19 Uhr: "Brand New"-Nacht für Jugendliche und junge Erwachsene mit Workshops, Aktionen, Kurzfilmprogramm, Silent-Disco, DJ-Sets und Pop-up-Bar.
Samstag, 25. Mai
10-18 Uhr: "Meet Us" - das Team, Gespräche im Museum; 10-18 Uhr: "Schauen, Staunen, Buntes Bauen" - Familienaktion; 12-17 Uhr: "The Factory", Monotypie-Druckstation; 13-0 Uhr: Pop-up-Bar & DJs, Public Possession & Guests; 14 Uhr: Katja Eichinger meets Andy Warhol; 19 Uhr: "Zebra #1: Forever Young!?" Nan Mellinger im Gespräch mit Annekathrin Kohout, Jovana Reisinger und Barbara Vinken; 21 Uhr: "1/2 Way"-Party
Sonntag, 26. Mai
10-18 Uhr: "Meet Us" - das Team, Gespräche im Museum; 10-18 Uhr: "Schauen, Staunen, Buntes Bauen" - Familienaktion; 11 Uhr: "Ave Maria" aus "Otello", Intermezzo in Kooperation mit der Bayerischen Staatsoper; 12 Uhr, 14 Uhr und 16 Uhr: "Made Two Walking", Tanzperformance von Richard Siegal / Ballet of Difference mit Njamy Sitson; 12-17 Uhr: "The Factory", Monotypie-Druckstation; 13-18 Uhr: Pop-up-Bar & DJs, Public Possession & Guests; 17 Uhr: "Ich sitze mit meiner Handschrift in der Landschaft" - Lyriklesung zum Werk Cy Twomblys; 18 Uhr: "Really Old? 1/2 Way? Brand New?", Carla Schulz-Hoffmann und Armin Zweite im Gespräch mit Achim Hochdörfer; 10-18 Uhr: Familienaktion; 14.30-17 Uhr: "The Hi-Fly Orchestra", Livemusik
Freitag bis Sonntag: "Workout mit Warhol" in Kooperation mit dem Boxwerk; Führungen; Infos: www.museum-brandhorst.de
Kunst bleibt weiß und männlich
Im Untergeschoss werden neben der Installation von Noland zahlreiche herausragende Künstlerpersönlichkeiten auf der Suche nach Selbstbestimmung präsentiert. Dander wollte in diesem Selbstfindungsprozess den "prekären Status von Subjekten im Spätkapitalismus" zusammenbringen. Es entbehrt denn auch nicht einer feinen Ironie, dass hier erneut das Werk eines der größten Selbstvermarkter der Neuzeit zu sehen ist: das überdimensionale Pillenregal von Damian Hirst, dessen 27 639 Einzelteile in vierwöchiger Arbeit wieder eingerichtet wurde.
In den Kabinetten hinter dem großen Hauptraum ballen sich zahlreiche Neuwerberungen der Sammlung. Herausragend sind die malerischen Positionen der Achtziger- und Neunzigerjahre, von Polke über Immendorff bis Oehlen. Hier wollte man der Frage nachgehen: Wo steht die Malerei heute? Doch zum einen fehlt ein Aufschlag zur Post-Internet-Kunst. Wo bleiben die Millennials, die gerade aus den Akademien kommen? Und mit Jutta Koether, Kerstin Brätsch, Jacqueline Humphries und einigen anderen sind zwar auch weibliche Positionen vertreten, doch die Kunst sieht im Museum Brandhorst aus wie andernorts auch: weiß und männlich.
So dürfen die Kunstwerke eines weißen Mannes bei diesem Jubiläum im Museum Brandhorst natürlich nicht fehlen. Cy Twomblys "Rosensaal" ist wieder in seiner ursprünglichen, vom Künstler konzipierten Form zu sehen. Und neben dem "Lepanto"-Zyklus und vielen anderen seiner Werken zeigt das Museum im Obergeschoss eine Neuerwerbung aus Twomblys letzter Werkserie "Camino Real" von 2011.