Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Sprung in die Abstraktion

Das Franz-Marc-Museum zeigt, wie der Blaue Reiter neue Formen fand

Von Sabine Reithmaier, Kochel am See

Karin Kneffels Gemälde im Foyer ist eine Überraschung. Sessel, Lampe, Fußboden, Arbeiten von Macke und Kandinsky - trotz aller Spiegelungen und Lichteffekte, trotz der zerfließenden Farben und Formen hat sie unverkennbar ein Interieur des Kochler Franz Marc-Museums gemalt. Das großformatige Werk entstand 2016 nach einem Besuch Kneffels in Kochel, für Museumsdirektorin Cathrin Klingsöhr-Leroy der Beleg dafür, dass die Kunst des Blauen Reiters ihre Wirkkraft noch immer entfaltet. Doch abgesehen von diesem zeitgenössischen Auftakt konzentriert sich die aktuelle Sonderausstellung ganz auf die Vertreter des Blauen Reiters und versucht, deren Weg in die Abstraktion nachvollziehbar zu machen.

Mit Ausnahme von Wassily Kandinsky entschieden sich die Maler nicht einfach kategorisch dafür, abstrakt zu arbeiten, sondern sie beschäftigten sich mit dem Thema während ihrer gemeinsamen Suche nach einer "Neuen Malerei" (Marc). Den Anstoß, sich in einer Ausstellung über diese Entwicklung Gedanken zu machen, lieferte der Museumsleiterin August Mackes Gemälde "Café am See", das als Dauerleihgabe ins Haus gekommen ist. Vergleicht man es mit der unmittelbar daneben hängenden Vorstudie, lässt sich in dem rhythmisch aufgeteilten Bild eine Vielzahl an Veränderungen erkennen: Nicht nur die Farbigkeit ist eine völlig andere - die Vorstudie suggeriert die Helligkeit eines Sommernachmittags, das Gemälde dagegen ist von nächtlichen Blautönen geprägt. Auch bemüht sich Macke, eine klarere Komposition zu schaffen, gestaltet die einzelnen Motive abstrakter, konzentriert sich ganz auf die Wirkung der Farbe.

Das Werk zählt zu seinen abstraktesten Darstellungen. Es entstand 1913, als er zum Blauen Reiter auf Distanz ging, auch weil er in deren Ausstellung "Der Blaue Reiter" nicht so vertreten gewesen war, wie er es sich vorgestellt hatte. "Meine Ansichten über Kunst sind verschieden von Kandinsky und Marc. Ich fühle mich jetzt für mich allein verantwortlich", schrieb er im Oktober 1913 an Bernhard Koehler, den großen Mäzen der Künstlergruppe, zugleich Onkel von Mackes Frau Elisabeth. Kandinsky sei für ihn sanft entschlafen, "indem die Bude von Delaunay daneben aufgeschlagen war, und indem man darin so recht sehen konnte, was lebendige Farbe ist im Gegensatz zu dieser unglaublich komplizierten, aber absolut seichten Farbflecken-Composition." Während Macke die großen Reklameschriftzüge, die er auf Bildern Robert Delaunays gesehen hatte, dazu inspirierten, mehr Modernität zu wagen - das knallrote Café-Schild zeugt davon - , lehnte Franz Marc selbige als zu naturalistisch ab. Von Delaunays "Formes circulaires" ließ er sich gleichwohl beeinflussen, die "Kleine Komposition IV" erzählt davon.

Gabriele Münter befreite sich ebenfalls allmählich vom "Naturabmalen", wie sie es nannte. Im Sommer 1908, den sie mit ihrem Lebensgefährten Kandinsky und den Freunden Marianne von Werefkin und Alexej Jawlensky in Murnau verbrachte, machte sie, wie sie später schrieb, "nach einer kurzen Zeit der Qual einen großen Sprung". Mit Hilfe der Farbe gelangte sie zu einer vereinfachten Formgebung und zu intensiv leuchtenden Bildern. Ein Beispiel dafür ist das berühmte "Gelbe Haus" (1911), ein ermutigendes Signal in einem trüben Murnauer Winter. Münter zeigte ihre Arbeiten gern Jawlensky - "einerseits lobte er gern ... andrerseits erklärte er mir manches". Vermutlich aber auch deshalb, weil Jawlensky wie sie die Farbe einsetzte, um Emotionen auszudrücken.

Auch wenn Macke es behauptet: Seicht wirken Kandinskys frühe Abstraktionen nicht. Im Gegenteil: Seine mit großer Überlegung komponierten Arbeiten wirken eher musikalisch. Franz Marc probierte das kurzzeitig auch aus, legte seine Rehe als weiche Linien über farbige Kompositionen, immer bemüht, den Wesenskern der Dinge freizulegen.

Blauer Reiter - Das Moment der Abstraktion, bis 16. Feb. 2020, Franz-Marc-Museum, Kochel am See

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Quelle:
SZ vom 14.10.2019
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