Süddeutsche Zeitung

Ausstellung "Spain - Based on a True Story":Widersprüche des Alltags

Frau mit Baby-Trinkflasche und Zigarette, gelangweilte Prostituierte, monströse Architektur: Txema Salvans' Fotografien zeichnen sich durch einen sehr speziellen Blick auf das Leben in Spanien aus.

Eine junge Frau in schwarzen Netzstrümpfen, knappen Shorts und Stöckelschuhen sitzt auf einem billigen Plastikstuhl an einer Straße irgendwo im spanischen Nirgendwo. Die Prostituierte, die auf Kundschaft wartet, ist eine der zentralen Figuren in der Serie "The Waiting Game" (2014) des Fotografen Txema Salvans. Erstmals werden ausgewählte Exponate aus drei Bildserien des Fotografen in Deutschland gezeigt - in der Braunschweiger Ausstellung "Based on a True Story". Neben Bildern aus "The Waiting Game" sind dort auch Aufnahmen aus den Reihen "Perfect Day" (2016) und "My Kingdom" (2016) zu sehen.

Der erste Teil von "The Waiting Game" erschien in Form eines Buches und ging als Gewinner der Iberoamerican Photobook Competition 2012 hervor. Die Frauen auf Salvans Bildern, die sich als Prostituierte an Schotterwegen und Landstraßen sowie Kreuzungen und Autobahnen niederlassen, sind mit dem Warten, der Langeweile und dem Nichtstun konfrontiert. Doch für den Betrachter liegt in den tristen Szenarien eine Spannung, die zum Nachdenken anregt. Was bewegt diese Frauen zu ihrem Tun? Könnte das mit der spanischen Wirtschaftskrise und ihren Folgen zusammenhängen? Ohne Zweifel ist das eine der übergeordneten Fragen, die sich Salvans in seinen Arbeiten stellt.

Viel Augenmerk legt Salvan auf Eindrücke aus dem Privatleben seiner Landsleute. Etwa bei dieser Aufnahme aus der Serie "Perfect Day" (2016), die ein Paar mit seinen Kindern vor einer massiven Hotelanlage zeigt. Unter den Blicken der anderen pustet die Mutter angestrengt die hellblaue Luftmatratze auf. Bescheidenes Glück einer spanischen Kleinfamilie mit klarer Rollenverteilung.

Das Besondere im Alltäglichen entdecken - dadurch zeichnen sich Salvans Bilder aus. Auf dieser Aufnahme, ebenfalls aus der Serie "Perfect Day", zeigt Salvan, wie winzig der Mensch vor der monströsen Architektur erscheint, die er selbst geschaffen hat: Ein Besucher steht inmitten von Hotelanlagen auf einer Rutschbahn, die auf den ersten Blick an ein riesiges Bonbon erinnert.

Auch in der in diesem Jahr erschienenen Serie "My Kingdom" zeigt Salvans Menschen im Alltag und am Strand. Sie essen, spielen, schlagen die Zeit tot oder halten ein Mittagsschläfchen. Der Fotograf stellt die Aufnahmen in den Kontext von Auszügen aus Weihnachtsansprachen des ehemaligen Königs Juan Carlos I. (1975 - 2014), in denen der Monarch sein Volk lobt. Angesichts der profanen Alltäglichkeit, die den Handlungen der Gewürdigten innewohnt ...

... wirken die anerkennenden Worte des Königs plattitüdenhaft. Für den einen mag das zynisch wirken, für den anderen humorvoll.

Um die Widersprüche des Alltags ging es Salvans bereits in der Serie "Nice to meet you" aus dem Jahr 2004, die in Braunschweig nun nicht zu sehen ist: Eine Mutter hält mit der einen Hand die Trinkflasche des Kindes, mit der anderen ihre Zigarette. Durch die Darstellung in Schwarz-Weiß beschränkt sich das Bild in seiner Aussage auf das Wesentliche.

Salvans, der 1971 in Barcelona geboren wurde und als Waise aufwuchs, ging schon bei "Nice to meet you" unorthodox vor: Er bat fremde Menschen über Zeitungsanzeigen, ihn für einen Tag lang Teil ihrer Familie werden zu lassen.

Daraus entstand ein "Familienalbum" mit lustigen, peinlichen und sehr persönlichen Schwarz-Weiß-Fotografien. Salvans' Szenarien wirken mal humorvoll, mal zynisch oder tiefgründig. Es sind Fotografien, in denen sich der Alltag der spanischen Gesellschaft verdichtet und die so einen tiefgründigen Humanismus zum Ausdruck bringen. "Spain - Based on a True Story", Fotografien von Txema Salvans, 2. bis 25.09.2016, Museum für Photographie Braunschweig, Helmstedter Straße 1, 38102 Braunschweig

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