Ausstellung: Robert Capas berühmter Koffer:Kämpfer mit der Kamera

Beginn des modernen Fotojournalismus: Eine New Yorker Ausstellung zeigt erstmals, was auf den Bildern zu sehen ist, die in Robert Capas sagenumwobenem mexikanischen Koffer steckten.

Jörg Häntzschel

Als Cornell Capa sich 1999 auf die Suche nach dem "mexikanischen Koffer" machte, einem sagenumwobenen Konvolut verschollener Negative seines Bruders, des legendären Fotoreporters Robert Capa, ging es ihm vor allem darum, die Wahrheit zu finden. Er wollte beweisen, dass es sich bei Capas ikonischem Foto Falling Soldier aus dem spanischen Bürgerkrieg nicht um eine propagandistische Inszenierung handelt. Gelungen ist ihm das nicht. Das Negativ und die anderen Bilder des Films, die den Kontext dieser Szene hätten erhellen können, bleiben vermisst.

Capa - erlaubte Bildgroessen fuer online

Der Inhalt des mexikanischen Koffers von Robert Capa ist jetzt in einem New Yorker Museum zu bestaunen. Zu sehen sind Fotos die er, Gerda Taro und David Seymour im spanischen Bürgerkrieg schossen.

(Foto: © International Center of Photographie)

Umsonst waren seine jahrelangen Recherchen dennoch nicht: Der über Umwege nach Mexico City gelangte Koffer, in den Capa 1939, vor seiner Abreise in die USA, 4500 Negative aus dem spanischen Bürgerkrieg gepackt hatte, existierte tatsächlich. In den drei Pappschachteln, die 2007 in New York geöffnet wurden, fanden sich dann aber nicht nur Bilder von ihm selbst, sondern auch von seiner damaligen Freundin Gerda Taro und von David Seymour, der später mit Capa und Henri Cartier-Bresson die Agentur Magnum gründete. Die Bilder haben die 70 Jahre dank des trockenen Klimas ohne Schaden überstanden. Nun zeigt das New Yorker International Center of Photography sie erstmals öffentlich.

Die Ausstellung ist eine Offenbarung

Die Ausstellung ist eine Offenbarung, und das nicht nur der vielen bislang unbekannten Fotos wegen. An den Dutzenden Kontaktbögen, die dicht an dicht an den Wänden hängen, lässt sich auf einmalige Weise nachvollziehen, wie der moderne Fotojournalismus erfunden wurde.

Was die Ausstellung auch erzählt, ist die filmreife Geschichte der drei. Alle noch in ihren frühen Zwanzigern, trafen sie sich 1934 in Paris: Endre Friedman, der sich als Fotograf durchschlug, stammte aus Ungarn und nannte sich Robert Capa, weil der Name amerikanisch klang und an den des Regisseurs Frank Capra erinnerte. Die deutsche Jüdin Taro, die als Bildredakteurin arbeitete, hieß eigentlich Gerta Pohorylle. Ihren Nachnamen entlieh sie dem japanischen Künstler Taro Okamoto. Seymour wurde als Dawid Szymin in Polen geboren. In den Magazinen, die er mit seinen Bildern belieferte, war er einfach nur "Chim".

Statt über Entwurzelung und Entfremdung zu weinen wie viele Emigranten, kultivierten sie diese und erfanden sich mit der Absicht, mit ihren Bildern internationale Marken zu werden, neu. Illusionslos, unsentimental, überall so fremd wie zu Hause. Wie Werkzeuge konstruierten sie sich, um der Kriegsmaschinerie des 20. Jahrhunderts ins Auge zu sehen.

Sie waren keine Zyniker

Doch sie waren keine Zyniker. Im Gegenteil. Als sie 1936 nach Spanien aufbrachen, um den Kampf gegen Franco zu dokumentieren, verstanden sie sich als Propagandisten, als Kämpfer mit der Kamera. Aus all diesen Bildern spricht denn auch eine unübersehbare Sympathie, die Berichterstatter und Fotografierte verbindet.

Zumindest anfangs malen Taro, Capa und Chim ein fast pittoreskes Bild vom Krieg: Als habe es die Materialschlachten des Ersten Weltkriegs nicht gegeben, als würde nicht wenige Jahre später die industriell organisierte Totalzerstörung des Zweiten beginnen, zeigen sie ein folkloristisches Kämpfen, ein Heldentum der Gutmütigkeit und Bescheidenheit.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was den neuen Fotojournalismus ausmachte.

Erschöpft, zermürbt, allein

Zwischen den Bildern von Schlachten finden sich auf den Negativstreifen Aufnahmen von Kindern auf dem Weg zur Schule, von Palmen, von Bauern bei der Heuernte. Mit dem Kampf der Republikaner feierten die drei auch die Schönheit des Landes und die Würde ihrer Bewohner. Teils steckte dahinter bewusste Idealisierung. Teils gehörte dieser weitschweifende, ethnologisch interessierte und noch nicht ausschließlich auf die Nachrichtenherde fixierte Blick aber auch zu dem von den dreien damals mitentwickelten Genre der Fotoreportage.

Deren andere Qualität bestand im Erzählen. Der Anregung des Kinos folgend, dachten sie beim Fotografieren weniger an Einzelbilder denn an Sequenzen. Und so präsentierten die Magazine, vom französischen Regards über die Arbeiter Illustrierte Zeitung bis zu Life ihre Fotos auch. Statt nur die jüngsten Ereignisse zusammenzufassen, erzählen sie exemplarische und vor allem bewegende Episoden. Dass dem heutigen Betrachter einiges davon manipulativ und melodramatisch erscheint, kann man den Pionieren dieses Genres kaum vorwerfen.

Die Nähe, wenn nicht die direkte Beteiligung

Weil die New Yorker Ausstellung nicht nur die besten und für die Veröffentlichung ausgewählten Aufnahmen zeigt, sondern vergrößerte Kontaktbögen der Filme, lässt sich nachverfolgen, wie diese Geschichten entstanden und welche wechselnden Positionen die Fotografen dabei einnehmen: Wie oft etwa Taro vergeblich versuchte, der Menge, die sich nach dem Luftangriff auf Valencia 1937 vor dem Leichenschauhaus drängte, ein Gesicht zu geben, bis eine in bangen Gedanken verlorene Frau schließlich durch die Gitterstäbe sah. Und wie sich die Ereignisse für die Fotografen selbst entwickelten: Nach der Aufnahme dieser Frau geht auch Taro ins Leichenschauhaus und macht dort die schockierendsten Aufnahmen der Ausstellung.

Was diesen neuen Fotojournalismus ebenfalls ausmachte, war die Nähe, wenn nicht die direkte Beteiligung des Reporters am Geschehen. Auch hier sprechen die Kontaktbögen eine klarere Sprache als die publizierten Bilder: Viele Aufnahmen sind verwackelt und falsch belichtet; und die Gruppe von um ihr Leben rennenden Soldaten fotografierte Capa ganz offensichtlich, während er selbst um sein Leben rannte.

Capa besaß von den dreien das größte dramatische Talent. Viele seiner Bilder sehen aus wie Stills aus Actionfilmen. Chim hingegen bemüht sich selbst in den chaotischsten Momenten um Zurückhaltung und Disziplin. Taro, die erst kurz vor der Abreise nach Spanien zu fotografieren begonnen hatte, hat eine eher impressionistische Sensibilität. Wenn sie zerbombte Häuser fotografiert, dann auch mal ohne deren nun obdachlosen Bewohner.

Verzweiflung machte sich breit

Doch den Spitznamen "die kleine Blonde" hat diese ganz offensichtlich bewundernswerte Frau, wie ihre gnadenlosen Bilder der Toten von Valencia zeigen, nicht verdient. 1937, kaum ein Jahr nachdem die drei mit erstaunlich leichtem Herzen nach Spanien aufgebrochen waren, starb sie bei Madrid, zerquetscht von einem Panzer. Und weil sie die erste Fotoreporterin war, die in einem Krieg umkam, wurde ihr Tod selbst zu einer jener Geschichten, die Magazine in der ganzen Welt druckten.

Etwa um dieselbe Zeit machte sich auch unter den Kämpfern Verzweiflung breit. Was begann wie ein Aufstand listiger Bauern, wird zusehends grauenhafter: Da sitzt ein Toter in einem kahlen Baum, die kalten Hände um die Äste gekrallt; da rennt ein Vater mit seinem blutenden Sohn im Arm in ein 60 Kilometer entferntes Krankenhaus; da spielen traumatisierte Kinder in Ruinen. Und alles endet mit den Szenen aus der wüstenartigen Landschaft im französischen Argelès, wo Tausende über die Grenze geflüchtete Franco-Gegner interniert wurden. Erschöpft, zermürbt, allein kauern sie im Sand wie Nomaden. Der Zweite Weltkrieg hatte da noch nicht einmal begonnen.

The Mexican Suitcase, bis 9 Januar, International Center of Photography, New York. www.icp.org. Der Katalog kostet 98 Dollar.

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