Ausstellung "Radical Beauty":Schönheit im Schrecken

Was ist Schönheit? Die Konzeptkünstlerin und Fotografin Almut Linde findet die Anmut nicht in etwas Nettem an der Wand, sondern gerade dort, wo wir sie nicht vermuten: im Schlachthof, im Kernkraftwerk oder in Einschusslöchern.

Von Paul Katzenberger

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Kunstpalais Erlangen Ausstellung "Radical Beauty"

Quelle: Almut Linde

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Was ist Schönheit? Almut Linde findet die Anmut nicht in etwas Nettem an der Wand, sondern gerade dort, wo wir sie nicht vermuten: im Schlachthof, im Kernkraftwerk oder in Einschusslöchern. In der Ausstellung "Radical Beauty" im Kunstpalais Erlangen kann der Betrachter die Konzeptkünstlerin nun dabei begleiten, wie sie das Schreckliche sucht, um das Schöne zu finden.

Wer die Schönheit sucht, erwartet nicht, sie ausgerechnet in der Massentierhaltung zu finden. Doch genau dort - in einem Großbetrieb für die Milchproduktion - ist die Künstlerin Almut Linde auf eine besonders edle Form der Schönheit gestoßen: der Zuneigung, staunenswerter Weise zwischen Mensch und Tier.

Denn wie Linde erfuhr, haben alle Arbeiter in dieser Stallanlage eine Lieblingskuh, sei es weil eine von ihnen besonders viel Milch gibt ("Milchproduktionseinheit Nr. 118", im Bild ), oder weil sich ein anderes Rind so etwas wie seinen Stolz bewahrt hat und besonders stur ist.

Kunstpalais Erlangen Ausstellung "Radical Beauty"

Quelle: Almut Linde

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Und so boten sich Linde Bilder mit unerwartetem Symbolgehalt, etwa wenn ein Arbeiter merkt, dass seine Lieblingskuh geschwächt am Boden liegt und er sich gleich dazu kniet. Ikonografisch drängt sich dem Betrachter ihrer Ausstellung im Kunstpalais in Erlangen dabei das "Ehepaar auf dem Sofa" der Wirtschaftswunderjahre auf.

Der Gang an Orte des Schreckens mit der Intention, dort das Schöne zu entdecken, gehört bei der Konzeptkünstlerin und Fotografin Linde zum Arbeitsprinzip. Sie will ein Bild von Schönheit erzeugen, wie wir es nicht erwarten. Sie begibt sich an jene Grenzen, die das Schreckliche ...

Kunstpalais Erlangen Ausstellung "Radical Beauty"

Quelle: Erich Malter

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... allzu sauber zu trennen scheinen vom Schönen. Die Sphären des Anziehenden und des Abstoßenden gehen bei ihren Arbeiten ineinander über. Wie etwa in dem kurzen Video, das Ferkel in einem Schlachthof zeigt, die soeben ihr Leben ließen. Nun hängen sie an einem Förderband und bewegen sich ihrer weiteren Verarbeitung zum Lebensmittel entgegen.

Als das Förderband einmal kurz anhält und die Tierleichen ausschwingen, fängt Linde diesen Moment mit der Kamera ein. Der Schrecken des Todes wird von den ruhigen Schwingungen konterkariert - der Szene haftet etwas Friedliches an, den weißen sauberen Ferkelleichen etwas Ästhetisches. Und doch ist es ein Totentanz.

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Quelle: Erich Malter

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Almut Linde versteht sich als Vertreterin der "Minimal Art", einer Kunstrichtung, die nach nicht-wertender Objektivität und Entpersönlichung strebt. Typisch für die "Minimal Art" ist die Reduktion auf einfache und meist geometrische Grundstrukturen.

In Erlangen lässt sich Lindes minimalistischer Ansatz leicht an der halben Tonne Steinkohle aus einem walisischen Bergwerk erkennen, die in einem Quadrat ausgelegt ist. Die strenge Geometrie hebt die Künstlerin in der räumlichen Dimension der Installation allerdings auf, indem sie die Kohlebrocken ungleichmäßig aufschütten lässt.

So wie die Kohle da liegt, kam sie direkt aus dem Berg, doch die Natur führt bei dem Arrangement nicht allein Regie. Die Kohleklumpen sind durch menschliche Hand nach Größe vorsortiert. "Dirty Minimal" nennt Linde diesen Ansatz: Überall da, wo das Leben mit hineinspielt, wird die reine Idee der Formgebung der "Minimal Art" gewissermaßen verunreinigt. Unter "Dirty Minimal" ordnet Linde fast alle ihre Arbeiten ein. Der von ihr hinzugefügte Dreck steht für das, was unserem Denken beim Blick auf die Realität entgeht, das Unbewusste, das Mehr, das entstehe, wenn nicht alles von vorne herein bestimmt sei, wie es Linde ausdrückt.

Kunstpalais Erlangen Ausstellung "Radical Beauty"

Quelle: Erich Malter

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Diesen doppelten Blick auf die Realität zeigt die Künstlerin auch bei Ihrer Fotoserie "Dirty Minimal #95.1 - History and Presence" für die sie Begegnungen heutiger und früherer Bewohner eines polnischen Dorfes dokumentiert und so die Beziehungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart offen legt.

Für die Serie, die Linde für die Ausstellung in Erlangen neu schuf, begleitete sie eine Seniorin auf ihrer Reise nach Mostkowo, aus dem die alte Dame nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben wurde, und das sie noch einmal sehen wollte.

Ein nicht ganz leichter Gang, wie sich am Gesicht der Rückkehrerin auf einer Aufnahme Lindes ablesen lässt. Doch sie fängt auch andere Momente ein, die über den Schmerz der Erinnerung hinausweisen, etwa wenn die Deutsche auf die alte Polin trifft, die mittlerweile in ihrem Elternhaus lebt. Da sind die zwei Frauen zu einer versöhnlichen Geste fähig. Auch die Polin weiß schließlich, was es bedeutet, vertrieben zu werden, musste sie als junge Frau doch ihre Heimat in der heutigen Ukraine verlassen, um sich zwangsweise in Westpolen anzusiedeln.

Kunstpalais Erlangen Ausstellung "Radical Beauty"

Quelle: Almut Linde

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Viele ihrer Sujets findet Almut Linde in dem, was sie als "Container" bezeichnet. Eine Metapher für geschlossene Systeme, die ihrem eigenen ganz speziellen Auftrag nachgehen und von außen niemanden hineinblicken lassen wollen, wie eben Massentierhaltungsbetriebe oder Schlachthöfe. "Wenn ein Unternehmen ein Container ist, dann ist die Außenwahrnehmung in den seltensten Fällen wohlwollend", sagt Claudia Emmert, die Kuratorin der Ausstellung, aber genau das öffne Räume für positive Überraschungen.

In diesem Sinne ist die Bundeswehr ein klassischer Container, ein System, das für Außenstehende in seiner ganzen Wirkungsweise kaum zu begreifen ist. Almut Linde durchbricht die Grenzen zwischen offener Gesellschaft und verschlossenem Militär mit ihren Mitteln: Sie organisiert einen Kunstvortrag in der Reichspräsident-Ebert-Kaserne in Hamburg mit anschließender Ausstellung. Der Besuch beider Veranstaltungen ist befohlen, ganz getreu den Mechanismen und der Logik einer Armee. Die militärische Prozedur kollidiert so mit der Idee des Selbstauftrags der Kunst - doch genau dieses Spannungsfeld ermöglicht neue Ergebnisse. In der Folge des Kunstvortrags entstehen eine ganze Reihe von Arbeiten, etwa auch ...

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Quelle: Almut Linde

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... das Werk "Dirty Minimal #33.2 Bullet Action-Painting", bei dem Soldaten auf Befehl Aluminiumplatten beschießen. Was einerseits eine Übung mit Kanonen ist, ergibt andererseits ein Relief mit durchaus ästhetischer Wirkung. Die physische Gewalt der Riesenprojektile lässt sich an den geborstenen Rändern der Durchschüsse ebenso schnell auf einen Blick erfassen, wie die geometrische Ebenmäßigkeit des gesamten Gebildes. Der Titel der Ausstellung - "Radikale Schönheit" - ist hier besonders gut auf den Punkt gebracht.

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Quelle: Erich Malter

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Radikal ist auch Almut Lindes Erlanger Installation "Dirty Minimal 86.1", obwohl das auf den ersten Blick nicht zu vermuten ist. Von dünnen Nylonfäden gehalten, schweben vier Meter lange und superleichte Röhren durch den Raum. Doch dieses federleichte Gebilde, das - so scheint es - allein durch einen Lufthauch zum Schwingen gebracht werden kann, setzt sich aus 35 Hüllrohren zusammen, die üblicherweise zur Herstellung von Brennstäben in Kernkraftwerken verwendet werden. Sie sind aus einer Metalllegierung mit extrem hoher Neutronendurchlässigkeit gefertigt - ideal für den Einsatz in Kernkraftwerken, die mit ihren tiefblauen Abklingbecken ja schon immer ein Ort von so unheimlicher Schönheit waren, wie er dieser Künstlerin imponiert.

Im Bild: Almut Linde in ihrer Installation "Dirty Minimal 86.1"

Almut Linde: "Radical Beauty", Kunstpalais Stadt Erlangen, Palais Stutterheim, Marktplatz 1, 91054 Erlangen vom 18.1. bis 16.3.2014.

© SZ.de/mkoh/dd
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