Ausstellung:Quellenstudium

Ein alter Brunnen vor der Wandelhalle des Bad Tölzer Kurparks ist Ausgangspunkt für die Arbeiten von sechs internationalen Künstlern. Ihre Forderung ist politisch brisant: Jeder soll Zugang zu dessen Wasser haben

Von Sabine Reithmaier

Der Parkplatz gesperrt, das Pflaster überwuchert, die Stufen brüchig, faulendes Laub überall. Nur die Wandelhalle selbst trotzt der morbiden Stimmung. Klassisch schlicht steht sie da, mitten im Bad Tölzer Kurviertel, 130 Meter lang, 15 Meter breit, angeblich die größte ihrer Art in Europa. 1929 wurde sie errichtet, um kurenden Menschen einen würdigen Rahmen zu bieten, während sie Jodwasser tranken und dabei flanierten. Die Zeiten der Trinkkur sind lang vorbei. Gäbe es nicht die Tölzer Dependance der Hamburger Galerie für Landschaftskunst (GFLK), die das denkmalgeschützte Gebäude in unregelmäßigen Abständen mit Kunstprojekten belebt, würde die griechische Göttin Hygieia in der Eingangsrotunde völlig vereinsamen.

Mit Schlange und Füllhorn wartet sie in einem ausgetrockneten Brunnenbecken. Dabei geht es in der Ausstellung, die an diesem Sonntag eröffnet wird, um Brunnen und eine vergessene Mineralwasserquelle im Park der Wandelhalle. "Das Wasser ist hochwertig", sagt GFLK-Leiter Florian Hüttner, stemmt die Abdeckplatte hoch und nimmt einen Schluck. Es gab Zeiten, in denen die Quelle für die Wasserversorgung im Viertel genutzt wurde. Auch das ist lang her. Trotzdem eignen sich die Quelle und ihre Umgebung gut, um darüber nachzudenken, wie man hierzulande mit Wasser, Grund, Boden und Besitztum umgeht - sowohl auf lokaler als auch auf übergeordneter Ebene. Sechs Künstler sind es, die sich darüber Gedanken machen mit dem Ziel, einen Brunnen für alle zu entwerfen. Hüttner ist einer von ihnen.

Vier Tage vor der Ausstellung ist nicht allzu viel fertig. In der Halle hängen bunte Fahnen; es dauert, bis man die Schrift darauf entziffert, die Buchstaben ähneln Symbolen. "Die Gelegenheit muss genutzt werden, zu fragen, welche freien Gründe jenseits von Gesetzgebung, Willkür und Religion es legitimieren, Land als Besitztum zu behandeln und Herrschaft darüber auszuüben." Obwohl Till Krause, der mit Hüttner das Konzept der Ausstellung entwickelt hat, schon die Gelegenheit hatte, dies mit Anton Hoefter zu erörtern, dem Chef der Jodquellen AG, der größten Grund- und Immobilienbesitzerin im Badeteil. Ihr gehört nicht nur die Wandelhalle, sondern auch das seit 2015 geschlossene Erlebnisbad Alpamare, seinerzeit das erste seiner Art in Deutschland, oder das Hotel Jodquellenhof, das den Betrieb 2014 einstellte. Hoefter streitet sich seit Jahren mit der Stadt darüber, was auf seinen Grundstücken passieren soll. Er würde gern Wohnungen und Büros bauen, die Stadt beharrt auf touristischer Weiternutzung. Lähmender Stillstand, entscheiden werden die Gerichte.

Kunstprojekt Brunnen Wandelhalle

130 Meter lang, hell und licht: Die Wandelhalle in Bad Tölz ist ein ausgezeichneter Ort für Kunst.

(Foto: Manfred Neubauer)

Seit 2012 stellt Hoefter den Künstlern die Wandelhalle zur Verfügung, seither firmiert sie als GFLK Halle Süd. Die Liste der Künstler, die Florian Hüttner während dieser Zeit nach Bad Tölz geholt hat, liest sich beeindruckend: Fotokünstlerin Katharina Sieverding war da, aber auch Objekt- und Installationskünstler Mark Dion aus New York oder Thomas Kilpper aus Berlin sowie die Hamburger Malte Struck und Mark Wehrmann. In Performances, Installationen oder Videoprojektionen setzten sie sich mit den historischen Nutzungen der Wandelhalle auseinander, um eine Diskussion über deren Zukunft anzustoßen. Mit dem neuen Projekt hat die GFLK Hoefter einen "künstlerischen Fehdehandschuh" (Krause) zugeworfen. "Mit unseren Entwürfen wollen wir ihn herausfordern, an der Quelle einen öffentlichen Brunnen zu errichten" erläutert Till Krause. Einen Ort, an dem privates Besitztum nicht gilt und sich alle ihr Mineralwasser holen können.

Die poetischen Fahnen tauchen die kühle Halle in warmes Licht. "Schablone" nennt Till Krause seine Arbeit. Das man sie nur langsam entziffern kann, passt gut zu seinem Ansatz, geschichtliche oder gesellschaftliche Gegebenheiten als Text zu betrachten, den es zu entziffern gilt. Krause hat 1992 in Hamburg die "Galerie für Landschaftskunst" gegründet, einen Künstlerprojektraum, damals in einem offenen Schuppen, aber selbstbestimmt und selbst finanziert. 1994 stieg Hüttner dort ein. Er hatte eben sein Studium an der Akademie in München abgeschlossen und das Gefühl, er müsse jetzt dringend weg. Er wechselte an die Kunsthochschule Hamburg, fand den Ansatz dort konzeptioneller und verlegte seinen Schwerpunkt von der Malerei auf Zeichnen, Videokunst und Fotografie. Inzwischen ist Hüttner zurück in Bayern. Gemeinsam mit Stephan Dillemuth nutzt er den dritten Abschnitt der Halle, der früher Bühne und Konzertsaal beherbergte, als Atelier und Lagerraum.

Hüttner beschäftigte sich für die Ausstellung mit dem Kanalsystem der Stadt, studierte im Tiefbauamt Pläne, erkundete zwei Kanalbauwerke auch vor Ort. Auf dem Tisch in seinem Atelier liegen Fotos, die er dort unten gemacht hat, Aufnahmen, die dokumentieren, wie aufwendig früher gebaut wurde. Eines dieser Bauwerke - es wirkt fast wie eine kleine Kathedrale - dient als Vorbild für sein Modell. Im Idealfall sollte es später draußen über der Quelle aufgesetzt werden. In den Wasseradern würde Hüttner gern Frösche einsetzen, frei nach den Metamorphosen Ovids, in denen die Göttin Latona die lykischen Bauern in Frösche verwandelt, weil sie ihr das Trinken aus einem See verweigerten. Wasser gehört schließlich allen.

Kunstprojekt Brunnen Wandelhalle

Florian Hüttner (links) und Till Krause an der Herder-Quelle, die den Anlass für die aktuelle Ausstellung liefert.

(Foto: Manfred Neubauer)

Die Moskauer Künstlerin Anna Schapiro sitzt währenddessen an einem Tisch und entwickelt einen Vertrag, der es Erben künftig erleichtert, Ererbtes an die Allgemeinheit zu verschenken. Vor ihr liegen Zeichnungen mit Brunnenentwürfen. Sehr zart, sehr ästhetisch, trotzdem ist eines völlig klar: Die Kunst, die hier in der Wandelhalle entsteht, möchte in die Gesellschaft hineinwirken. Auch der New Yorker David Brooks ist ein ökologisch engagierter Künstler, ebenso wie die in Berlin lebende Tschechin Klara Hobza, die sich während ihres Langzeitprojekts "Durchtauchung Europas" bereits mit Brunnen als "vulkanischen Orten" beschäftigt hat. Der sechste ist Stephan Dillemuth, Münchner Maler und Professor für Kunstpädagogik an der Akademie. Er machte sich jüngst in einer Werkschau des Lenbachhauses Gedanken über Rollen, die Künstler in der Gesellschaft innehaben und -hatten.

Das ist alles gewiss keine leichte Kost, aber auf jeden Fall anregend und heilsam, fast wie ein Schluck Jodwasser.

Ein Brunnen für (Bad Tölz) alle! 29. Okt. bis 11. Nov. geöffnet Mi. bis So. 16 bis 19 Uhr, 12. Nov. bis 20. Jan. nach Vereinbarung, Tel. 0176-80446538, Wandelhalle im Kurviertel von Bad Tölz

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