Ausstellung: "Punk. No One is Innocent":Im schwarzen Loch

Nostalgiker sinnen den rebellischen Aufbrüchen der Vergangenheit nach - zumal wenn deren ästhetisches Repertoire heute so massentauglich ist wie die Mode-Accessoires von Tokio Hotel. Wie die Punk-Bewegung in der Wiener Kunsthalle historisiert wird. Eine Bildergalerie

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Sex Pistols

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Nur Nostalgiker sinnen den rebellischen Aufbrüchen der Vergangenheit nach - zumal wenn, wie im Fall der Punk-Bewegung der siebziger Jahre, deren ästhetisches Repertoire heute so massentauglich ist wie die Mode-Accessoires von Tokio Hotel. Punk im Museum? Ja, denn erst der eisgekühlte Blick des Historikers vermag die verstörende Kraft zu rekonstruieren, die einst in den Zentren New York, London und Berlin von der künstlerischen Radikalitätsbehauptung namens Punk ausging.

Anarchy in the UK Sex Pistols. No. 1, 1976.

Foto: Ray Stevenson/Rex Features

Text: Holger Liebs

(SZ vom 8.7.2008/mst)

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Insofern hat die spröde, fast ärmliche, in jedem Fall aber aschfahle Inszenierung der Bewegung in der Wiener Schau "Punk - no one is innocent" etwas angenehm Ernüchterndes. Kurator Thomas Mießgang will den Punk, dessen Höhepunkt allenfalls zwei Jahre, 1976-77, andauerte, jedenfalls nicht mit heißem Pathos als Orgie anarchistischer Zerstörungswut wiederaufbereiten, sondern betrachtet die künstlerischen Äußerungen jener Zeit von ihrer Wirkung her, als ästhetische "Rätselzeichen", als "Taumel der Embleme" im öffentlichen Raum - im Sinne ihrer popkulturellen Haltbarkeit. Und die ist, je nach Exponat, mal mehr, mal weniger gegeben.

Gudrun Gut, ca. 1977.

Foto: Anja Frejya

Sex Pistols

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Punk war eine Erfindung der Suburbs, inmitten urbaner Verwahrlosung und - in London - gegen die offizielle Kultur einer als hohl empfundenen Majestätshuldigung gerichtet: ein Symptom gesellschaftlicher Hoffnungslosigkeit. Es ging nicht nur um die rotzige musikalische Losung "Here's a chord, here's another, now form a band", sondern um eine handfeste Okkupation des Reichs der Zeichen durch Protest-Signets, wie sie der Grafiker Jamie Reid für die Sex Pistols schuf: das Bild der Queen, Mund und Augen mit Logo und Albumtitel der Band verklebt.

Grafik: Jamie Reid, God Save the Queen, 1976.

Linder

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Die Ausstellung breitet auch Ephemera und Meilensteine einer eng vernetzten Kultur aus, wie die Mode Vivienne Westwoods, grobe Collagen von der Sängerin Linder sowie Filme wie "Jubilee" von Derek Jarman oder Cerith Wyn Evans' Filmporträt des legendären Performers Leigh Bowery, einem Protagonisten der schwulen Subkultur.

Collage: Linder, Untitled, 1978.

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Dass, zumal bei den Sex Pistols, dagegen zu sein freilich schnell selbst zum Big Business werden konnte, begriff als erster Band-Impresario Malcolm McLaren, der den Aufstieg von Johnny Rotten & Co. bald medienwirksam als "Great Rock'n'Roll Swindle" entlarvte - der ästhetische Zerstörungsfuror musste, wollte er glaubhaft bleiben, am Ende konsequenterweise gegen sich selbst gerichtet werden - Punk durfte nicht überleben.

Salomé, Fuck 1, 1977.

Foto: Jochen Littkemann.

Shadow Man

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Die Wiener Schau, die sich zu großen Teilen aus dem Archiv von Jon Savage in der Universität Liverpool speist, widmet sich noch zwei weiteren Zentren der Bewegung, Berlin und New York. In Manhattan waren damals viele Musiker auch bildende Künstler, wie Alan Vega von Suicide, David Wojnarowicz oder Jean-Michel Basquiat.

Richard Hambleton, Shadow Man, New York City, East Village, 1982.

Foto: Hank O'Neal

"Fingered"

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Die Rimbaud-Verehrerin Patti Smith, die sich selbst anstelle von Christus als Erlöserin feierte, ist mit hinreißenden Fotografien Robert Mapplethorpes präsent; der junge Maler Robert Longo ließ damals auf seinen Bildern die Hautevolee in Spasmen erfrieren; die Musikerin Lydia Lunch schließlich trat als brutale Porno-Queen in Richard Kerns Film "Fingered" auf; ein Machwerk, das heute noch Russ Meyers Filme brav aussehen lässt.

Filmstill: Richard Kern, Fingered, 1986.

Mark Morrison

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In New York trieb es die Punk-Bewegung am nachhaltigsten in die Kunstwelt hinein, wo immer noch Anklänge an damalige popkulturelle Umbrüche zu spüren sind - dagegen wirken die Witzskulpturen der Berliner Gruppe "endart" oder die Malerei einer Elvira Bach heute einfach nur halbgar.

Foto: Mark Morrisroe, Untitled (La Môme Piaf), 1982.

Vivienne Westwood

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Doch auch ein Martin Kippenberger wirkte in der "Frontstadt", im Club SO36. Der Augenblicksfuror des "Verschwende deine Jugend" in der damals vibrierenden Szene ging ihm aber gegen den Strich: Er inszenierte sich schon 1979 lieber im edlen Zwirn unter der Überschrift: "This man is playing on luxus". Kein Zufall, dass er später ausgerechnet von einer Punkerin verprügelt wurde - und auch diesen "Dialog mit der Jugend" künstlerisch ausbeutete. Sentimentalität, wie sie der heutigen "Like punk never happened"-Attitüde eigen ist, war ihm halt fremd. Aber als Künstler hat er überlebt.

"Punk - no one is innocent", Kunsthalle Wien, bis 7. September. Info: www.kunsthallewien.at. Katalog (Verlag für moderne Kunst Nürnberg) im Museum 29 Euro.

Vivienne Westwood in "Sex", 1975.

Foto: William English

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