Wenn ein bestimmtes Detail einer Fotografie den Betrachter tief berührt, fesselt oder sogar verwundet, dann sprechen Fachleute von einem "Punctum". Mit dem Terminus, den der französische Philosoph Roland Barthes prägte, ist nun eine aktuelle Foto-Ausstellung im Salzburger Kunstverein überschrieben. Es ist die erste Schau unter der Regie von Séamus Kealy, dem seit Jahresbeginn neu amtierenden Direktor des Hauses.
Für die Ausstellung bat Kealy 50 verschiedene Kulturschaffende - Künstler, Fotografen, Kuratoren und Schriftsteller - ein Foto auszusuchen, das für sie ein "Punctum" im Sinne von Barthes beinhaltet. Der Tod sei die wohl am häufigsten auftauchende Kategorie, die in der Ausstellung den Stich des "Punctums" setze, erklärt Kealy.
In kaum erträglicher Weise kommt es auf einer Aufnahme des japanischen Fotografen Seiichi Furuya zum Ausdruck. Der hatte immer wieder seine österreichische Frau Christine fotografiert - in allen Lebenslagen, einschließlich ihres tragischen Todes: Am 7. Oktober 1985, dem Nationalfeiertag der DDR - das Paar wohnte zu der Zeit in Ost-Berlin -, sprang die von einer Schizophrenie geplagte und schwer Depressive aus dem Fenster im achten Stock eines Plattenbaus. Und was machte Furuya? Er fotografierte von oben die Leiche.
Die "Punctum"-Ausstellung erspart dem Besucher das Bild, doch der Fotograf Tobias Zielony wählte ein anderes Furuya-Bild aus. Es zeigt Christine in Graz 1983 auf einem Pferd. Im Nachhinnein, so Zielony, erschienen die vielen Aufnahmen, die Furuya von seiner Frau gemacht hat, als der Versuch, "einen Sinn zu finden, in dem, was passiert ist."
Seiichi Furuya, Graz 1983