Es ist generell nicht ganz sicher, ob man heute besonders viel von den Designern wüsste, die einst Möbel für die Deutschen Werkstätten Hellerau entworfen haben, wenn nicht Männer wie Bruno Paul oder Richard Riemerschmid darunter gewesen wären - also reformerische Architekten, die sich um 1900 herum eben gelegentlich auch um formal entschlackte Inneneinrichtungen bemühten.
Sicher ist nur, dass man von den Designerinnen wenig bis gar nichts wüsste, die einst für die Deutschen Werkstätten Hellerau nicht nur Möbel entworfen haben, wenn diesen Frauen nicht Tulga Beyerle jetzt ihre letzte Ausstellung als Direktorin des Dresdner Kunstgewerbemuseums ausgerichtet hätte. Beyerle, die fortan das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg leiten wird, hat ihren Abschied Gestalterinnen wie Margarethe von Brauchitsch, Margarete Junge, Gertrud Kleinhempel, Bertha Senestréy und vielen anderen mehr gewidmet, auf dass diese Namen von sofort an wieder bekannt und im öffentlichen Bewusstsein seien.
"Gegen die Unsichtbarkeit" lautet denn auch programmatisch der Titel, und die Auseinandersetzung mit den widrigen Bedingungen, mit denen es Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch zu tun bekamen, die studieren, entwerfen, angemessen verdienen und gewürdigt werden wollten, nimmt sowohl in der Ausstellung als auch erst recht im Katalog breiten Raum ein.
In der Tat ist es immer wieder frappierend, mit welch offener Misogynie honorige Kunstsachverständige damals den Frauen aufgrund ihres Geschlechts die Fähigkeit zu wahrer Schöpferkraft und Genialität absprechen. Umso interessanter sind natürlich die Orte, wo sie genau die entfalten. An den Kunstgewerbeschulen studierten oft mehr Frauen als Männer, was zum Teil schon daran lag, dass Frauen der Weg auf eine Kunsthochschule bis 1919 meist verwehrt war. Als Alternative blieben private Kunst- und Zeichenschulen oder das Kunstgewerbe. Inwieweit der leicht abwertende Beiklang, den das Wort seit der Moderne hat, eine Reaktion auf die große Präsenz von Frauen in diesem Bereich war, wie der Katalog nahelegt, oder sich doch eher der purifizierenden "Ornament ist Verbrechen"-Haltung der tonangebenden Teile der klassischen Moderne verdankt, wäre wohl eine eigene Untersuchung wert.
Es gab jedenfalls progressive Nester auch schon in der Protomoderne, und eins davon befand sich ausgerechnet im damals schon als konservativ geltenden Dresden. Die Werkstätten des Dresdner Möbelfabrikanten Karl Schmidt verstanden sich als ein Betrieb im Einklang mit den reformerischen Strömungen der Zeit. Die Ästhetik der Möbel zielte auf das, was man damals Gediegenheit nannte, also materielle Wertigkeit, handwerkliche Güte und einfache Form als Alternative zu der verschnörkelten Surrogatkultur, die sich im fatalen Zusammenwirken von Historismus und Industrialisierung in die Wohnzimmer ergossen hatte. Als Schmidt seine Fabrik 1908 nach Hellerau an den nördlichen Stadtrand verlegte, entstand dort auf seine Initiative hin die erste deutsche Gartenstadt nach englischem Vorbild und in der Folge ein sächsischer Monte Veritá der Künstler und Lebensreformer.
In Schmidts Werkstätten wurden von Anfang an offenbar völlig selbstverständlich auch Frauen eingestellt, sie wurden wie die Männer bezahlt und mit prestigeträchtigen Aufgaben betraut. Gertrud Kleinhempel und Margarete Junge dürften mit ihren Möbelentwürfen entscheidend zum frühen Erfolg des Betriebes beigetragen haben; sie verlassen sich meist auf die massive Wirkung des Materials, hochwertiges Holz, und sind von schlicht und elegant gehaltener Monumentalität. Dass viele Frauen an den Deutschen Werkstätten Hellerau sich mit Textilien beschäftigt haben, wird im Katalog vielleicht ein bisschen zu einseitig als ein Abgedrängtwerden hingestellt, weil das diesem Gestaltungsbereich ein wenig die Würde abspricht. In Wirklichkeit ist gerade dort aber Herausragendes entstanden, etwa die Arbeiten von Margarethe von Brauchitsch, die man sofort mit Entwürfen von Koloman Moser kombinieren möchte.
Auch in der vor dem Ersten Weltkrieg für jede Raumwirkung noch absolut zentralen Tapetenproduktion waren in Hellerau Gestalterinnen am Werk, die dem Ornament beeindruckende Wege in die Moderne bahnten. Ab den Zwanzigerjahren ist Else Wenz-Viëtor die herausragende Gestalterin an den Werkstätten, ein Multitalent, das sich dem Design von Spielzeug genauso gewidmet hat wie dem von Glas und Möbeln. Und der gehobene Stil der Dreißigerjahre, in der Designgeschichte auch als Dampferstil bekannt, wurde ebenfalls ab den späten Zwanzigern in Hellerau mit geprägt, unter anderem von Lisl Bertsch-Kampferseck. Die Ausstattung der Salons von Passagierschiffen erforderte eine gewisse Festigkeit und Schwere der Formen, die gleichzeitig elegant und luxierend sein mussten - und eine Ornamentik, die festlich wirkt, einen aber nicht durch den bloßen Anblick schon seekrank macht.
In den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg war dann die nach Hellerau zurückgekehrte Niederländerin Liv Falkenberg eine entscheidende Figur für die ästhetische Ausstattung der Sowjetischen Besatzungszone. Die Möbel, die sie entworfen und für die Inneneinrichtung von neuen Verwaltungs- und Schulbauten genutzt hat, zeigen, dass es zwischen der Nazizeit und dem dann verordneten Traditionalismus stalinistischer Prägung ein paar erstaunliche Jahre dezenten Aufbruchs ins Leichte, Freundliche und Helle gegeben hat. Danach haben die Deutschen Werkstätten als volkseigener Betrieb die Wohnungen der DDR möbliert, heute leben sie als mittelständisches Unternehmen weiter, das sich auf hochwertige Inneneinrichtungen spezialisiert hat. Wie viele davon von Frauen entworfen werden, ist leider unbekannt.
Gegen die Unsichtbarkeit: Designerinnen der Deutschen Werkstätten Hellerau 1898-1938 . Japanisches Palais, Staatliche Kunstsammlung, Dresden, bis 3.März. Infos unter www.skd.museum