Ausstellung:Pionierin der Moderne

Das Buchheim-Museum zeigt Arbeiten der Avantgardistin Paula Modersohn-Becker

Von Sabine Reithmaier

Eine lachende Ausstellung soll es sein und die ganze Paula Modersohn-Becker zeigen. Der Anspruch, den Daniel J. Schreiber an seine Schau im Bernrieder Buchheim-Museum stellt, ist kein geringer. An Ausstellungen und Filmen über die Malerin mangelte es in den vergangenen fünf Jahren beileibe nicht. Doch der Museumschef beschreitet Neuland: Er konfrontiert die Malerin durch eine Gegenüberstellung der Werke direkt mit den Künstlern der "Brücke". Und man entdeckt inmitten der 60 Arbeiten angenehm beiläufig, was für eine Avantgardistin Paula Modersohn-Becker tatsächlich gewesen ist.

"Niemand vor ihr verdichtete derart konsequent Farben und Formen zu Sinnbildern für Gedanken, Gefühle und Lebenseinstellungen", sagt Schreiber. "Für mich hat sie den deutschen Expressionismus begründet." Das Museum besitzt nur zwei ihrer Gemälde: eine "Moorlandschaft mit Birkenstämmen", die Lothar-Günther Buchheim 1961 ersteigerte, und den "Birkenstamm vor Heide", eine Erwerbung von 2018. Für Buchheim war es keine Frage, dass die Künstlerin "geistig" zur "Brücke" gehörte. Sie habe sich wohl als erste dem neuen Geist unterworfen und ihre vor der Natur gesteigerten Empfindungen ohne Einschränkung durch schulmäßige Regeln ins Bild gebracht", schrieb er 1956 in seiner "Brücke"-Monografie. Das sieht Schreiber nicht anders. "Sie ist zwar nicht so laut und knallig wie die Dresdner Rebellen", sagt er. Aber sie habe den Expressionismus sowohl malerisch als auch in der Theorie - "nicht als Manifest, aber in Tagebüchern und Briefen" - entwickelt.

Ausstellung: "Sitzender Mädchenakt mit Blumenvasen" (1907).

"Sitzender Mädchenakt mit Blumenvasen" (1907).

(Foto: Von der Heydt Museum Wuppertal/ Nikolaus Steglich, Starnberg)

Freilich wirken ihre Farben im Vergleich zu den Bildern Ernst Ludwig Kirchners oder Karl Schmidt-Rottluffs viel toniger, die Übergänge gestaltet sie deutlich modulierter. Schreiber verzichtet auf eine chronologische Hängung, gliedert den Saal durch die künstlerischen Dialoge, in denen die Künstlerin ihre Entwicklung vorantrieb. Etwa mit der heute vergessenen Jeanna Bauck, einer Schwedin, die Becker an der Damenakademie des Vereins der Berliner Künstlerinnen unterrichtete. Mit der prachtvollen impressionistisch motivierten Landschaft "Sommerabend", mit der sie in Bernried vertreten ist, debütierte Bauck 1880 im Pariser Salon. Seinerzeit zählte sie zu den wenigen Künstlerinnen, denen es gelang, sich als professionelle Malerin zu etablieren. Die unabhängige Lebensweise allein machte sie zum Vorbild für die junge Paula Becker.

1897 besucht sie zum ersten Mal die Künstlerkolonie Worpswede. Ein Jahr später, als sie als Malschülerin Fritz Mackensens zurückkehrt, lernt sie den elf Jahre älteren Otto Modersohn näher kennen. "Neulich war Modersohn da. Der hat mir so viel Liebes über meine Sachen gesagt, daß ich fast gar nicht mehr glaubte, daß es meine Sachen waren", schreibt sie 1899 ihrer Schwester Milly. 1901 heiraten die beiden. Die Beziehung ist für beide Seiten schöpferisch befruchtend; oft wählen sie sogar ähnliche Sujets. Schreiber hat ihre Bilder nebeneinander gehängt. Oft ist es kaum zu erraten, welches Bild von Paula und welches von Otto stammt. Doch ist ihre ausgeprägte Fähigkeit zur Reduktion auf das Wesentliche und zum prägnanten Ausschnitt unübersehbar. Immer stellt sie die Farbstimmung in den Vordergrund, sucht nach einfachen Formen, die wie "Runenschrift" auf der Leinwand geschrieben stehen. Kirchner, Wortführer der Brücke, spricht wenige Jahre später von den "Hieroglyphen", die die Naturformen in einfache Flächenformen bringen.

Ausstellung: "Birkenstamm vor Heidelandschaft" (1901) ist ein Bild von Paula Modersohn-Becker, das im Buchheim-Museum zu sehen ist.

"Birkenstamm vor Heidelandschaft" (1901) ist ein Bild von Paula Modersohn-Becker, das im Buchheim-Museum zu sehen ist.

(Foto: Von der Heydt Museum Wuppertal/ Nikolaus Steglich, Starnberg)

Paula Modersohn-Becker setzt sich aber auch mit den aktuellen Zeitströmungen auseinander. Vier Mal reist sie nach Paris, geht in Museen, Galerien, Künstlerateliers. Gleich bei ihrem ersten Aufenthalt 1900 lernt sie Emil Nolde kennen. "Die eine, Paula Becker, Malerin, war klein, fragend, lebhaft, die andere, Clara Westhoff, war groß und zurückhaltend", notiert er danach. Becker kennt Nolde bereits von den witzigen Bergpostkarten aus der Zeitschrift "Jugend". Als "schlaues Bäuerlein" habe er sich damit "in einer Woche zehntausend Mark" verdient, schreibt sie Schwester Milly, jetzt habe er aber "die wahre Kunst auf seinem Banner".

Intensiv setzt sie sich mit den Franzosen auseinander, findet Camille Corot wundervoll, mag "dieses nicht Fertigdrehen". "Wir Deutschen malen pflichtgetreu unser Bild herunter und sind zu schwerfällig aus dem Stegreif eine kleine Farbenskizze zu machen, die oft mehr sagt als das Bild", schreibt sie an Otto. Und malt die Bäume ähnlich personifiziert wie Corot. Eine Schlüsselfunktion hat für sie Paul Cezanne, auch dies durch Gegenüberstellungen gut nachvollziehbar. Sie übernimmt den an geometrischen Formen orientierten Bildaufbau, strukturiert Landschaften ähnlich, nur die Farbigkeit ist völlig anders. Auguste Rodin hält sie früh für den Allergrößten. 1903 besucht sie ihn in Meudon, sieht, wie er nackt herumlaufende Modelle im natürlichen Bewegungsablauf skizziert, ein Vorgehen, das die Brücke-Künstler fünf Jahre später übernehmen.

Früh beendet der Tod Paulas künstlerische Karriere. Die Pionierin der Moderne stirbt 1907, kurz nach der Geburt ihrer Tochter, erst 31 Jahre alt.

Paula Modersohn-Becker: Aufbruch in die Moderne, 17.11 - 8.3. ,Buchheim-Museum der Phantasie, Bernried; Sonntag, 17.11., 14.30 Uhr, Führung mit Antje Modersohn-Noeres und Rainer Noeres

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