Ausstellung: Not in Fashion:Frisch geschlüpft

Es gibt viel Nacktheit, Gewalt, Voyeurismus - anderes wirkt unerwartet sanft: Das Frankfurter Museum für Moderne Kunst zeigt Mode und Fotografie der 90er Jahre.

Catrin Lorch

9 Bilder

!!!ACHTUNG!!! NUR IM ZUSAMMENHANG MIT ARTIKEL VOM 01.10.2010 MMK Frankfurt NICHT VERWENDEN!!!!!

Quelle: Corinne Day, Kate Moss, The 3rd summer of Love, 1990/MMK Frankfurt

1 / 9

Es gibt viel Nacktheit, Gewalt, Voyeurismus - anderes wirkt unerwartet sanft: Das Frankfurter Museum für Moderne Kunst zeigt Mode und Fotografie der 90er Jahre. Die Bilder.

Das dünne Mädchen mit dem flachen Gesicht sieht glücklich aus in ihren Herrenunterhosen, übermütig, ungezwungen, strahlend. Posiert in T-Shirts, kurzen schwarzen Shorts. Irgendwann krönt ein Federschmuck ihr strähniges Blond, keine Kreation, sondern einer, wie ihn kleine Jungen tragen, eine schmale Kordel zerteilt ihren nackten Oberkörper, als läge er zum Filetieren bereit. Aber irgendwie wird die den Schlächtern entgehen, überhaupt allen, die an diesem Körper verdienen wollen, wird sogar die genau festgesetzte Lebenszeit als Covergirl überleben und bleiben. Der Moment, in dem Kate Moss das erste Mal auf einem Titelbild abgebildet wird, in der Juli-Ausgabe des Jahres 1990 des britischen Magazins The Face, die mit Corinne Days Schwarzweißfoto von Kate Moss mit Federkranz aufmacht, sei "einer der folgenreichsten der Modegeschichte überhaupt", sagt Susanne Gaensheimer, Direktorin des Frankfurter Museums für Moderne Kunst. Nicht nur, weil das Mädchen danach berühmt war, weil ihr Gesicht nicht mehr aus den Magazinen und Modestrecken wegzudenken war, sondern auch, weil unter der Überschrift "The 3rd Summer of Love" etwas neues triumphierte, nicht nur Jugend, die ja immer abgebildet wird, wo Mode verkauft werden soll, sondern eine Art von Jungsein, die echter wirkte, direkter, verspielter, realer. Ein erstes Bild der Anmut vom Grunge.

Text: Catrin Loch/ SZ vom 2.10.2010/Alle Bilder aus dem Katalog der Ausstellung/sueddeutsche.de/kar/ls

!!!ACHTUNG!!! NUR IM ZUSAMMENHANG MIT ARTIKEL VOM 01.10.2010 MMK Frankfurt NICHT VERWENDEN!!!!!

Quelle: Kostas Murkudis, backstage at Le Trianon in Paris, photography Mark Borthwick 1997/MKK Frankfurt

2 / 9

Nigel Shafran, David Sims, Corinne Day, Wolfgang Tillmans und Jürgen Teller etablierten in den neunziger Jahren das, was Antje Krause-Wahl im Katalog der Ausstellung "Not in Fashion - Mode und Fotografie der 90er Jahre" einen "neuen Realismus in der Modefotografie als Reaktion auf den glamourösen Stil der 1980" beschreibt. Die prägenden Magazine hießen i-D, The Face oder Purple. Aber war der neue Realismus eine Haltung oder nur eine ein Stil?

Auch Mark Borthwick wird ein Mädchen in hellem Strandlicht mit Federn krönen, Chloé Sevigny, eine andere Ikone der Zeit. Aber die Neugierde dieser Fotografen-Generation reicht bis zu den Jugendlichen, die keiner kennt, die in den Fußgängerzonen und Einkaufszentren Billigmode kaufen und die Nigel Shafran für eine Bildstrecke anspricht, die im Januar 1991 veröffentlicht wird. In den Bildunterschriften stehen die Namen, das Alter und die Berufe der Models. Hinweis auf die Kleidung gibt es nicht. Anerkennend fokussieren seine Schwarzweißbilder das Styling der Haare und machen so deutlich, dass da kein Stilwillen ist.

!!!ACHTUNG!!! NUR IM ZUSAMMENHANG MIT ARTIKEL VOM 01.10.2010 MMK Frankfurt NICHT VERWENDEN!!!!!

Quelle: Cris Moor, Tal, 1997/MMK Frankfurt

3 / 9

Die Ausstellung begleitet die Neupräsentation der eigenen Sammlung, das Museum für Moderne Kunst besitzt so viele Fotografien, dass in den kommenden Monaten gleich zweimal vom Erdgeschoss bis unters Dach nur Fotografien gezeigt werden. In den Untergeschossen des Museums zeigt sich die erste Auswahl in Motiven von Araki, Clark und Tichy - freundlich formuliert - als unausgesetzte Figuration: Es gibt viel Nacktheit, Gewalt, Voyeurismus.

Die Moderebellion der Neunziger Jahre wirkt dagegen unerwartet sanft, ein Aufstand in dünnem T-Shirt-Jersey, Schafswolle, ausrangiertem Grün der Parkas und dicken Schuhen. Abseits von Paris und Mailand, vor allem in London, aber auch in Tokyo oder Antwerpen versuchte man schon einmal gern Schuhe nach dem Vorbild japanischer Sandalen als Hufe zu formen, ein Hemd konnte zwanzig Nummern zu groß sein, wattige Polster akzentuierten nicht die Brüste, sondern beulten Rückenlinien und Taillen.

!!!ACHTUNG!!! NUR IM ZUSAMMENHANG MIT ARTIKEL VOM 01.10.2010 MMK Frankfurt NICHT VERWENDEN!!!!!

Quelle: Cris Moor, Thu Sept. 22, 1994/MMK Frankfurt

4 / 9

Es war die Generation nach Punk, aufgewachsen mit den fiesen Sicherheitsnadeln, den stacheligen Frisuren, dem bunten und anarchischen dieser theatralischen Kaputtheit. Der radikale Chic einer Designerin wie Vivienne Westwood war die Reaktion der Mode auf die Bewegung gewesen.

!!!ACHTUNG!!! NUR IM ZUSAMMENHANG MIT ARTIKEL VOM 01.10.2010 MMK Frankfurt NICHT VERWENDEN!!!!!

Quelle: Anders Edström, Martin Margiela spring/summer 94/MMK Frankfurt

5 / 9

Die Generation danach kehrte den Claims einfach den Rücken. Mit anmutiger Selbstverständlichkeit veranstaltete etwa Martin Margiela Modenschauen in der Öffentlichkeit. Juergen Teller fotografierte hinter den Kulissen der Modenschauen von Helmut Lang. Die Blende wurde so weit aufgemacht, dass das Leben mit aufs Bild kam. Die Produktion von Schönheit zeigte sich halbfertig, war aber attraktiver als Sicherheitsnadeln, die Nähte zusammenhalten, weil sie für die schlanken Körper der Models zu weit geschnitten waren. Die Gesichter waren noch nicht unter Make-Up versteckt.

!!!ACHTUNG!!! NUR IM ZUSAMMENHANG MIT ARTIKEL VOM 01.10.2010 MMK Frankfurt NICHT VERWENDEN!!!!!

Quelle: Mark Borthwick, Helen, 1993/MMK Frankfurt

6 / 9

Nach all den Sehnsuchtsorten der vorangehenden Generationen, den Palmenstränden, römischen Nächten, amerikanischen Hotels war es jetzt die Aura vom Rand des Alltags, die verfing. Man posierte in engen Londoner Hauseingängen, im Vorgarten, vor dem Maschendrahtzaun eines Sportplatzes, vor den Ziegelsteinmauern der schlechten Wohnlagen und wenn es eine Strand sein musste, dann der eines englischen Badeortes.

Das teure Paradies hat keinen Platz mehr in dieser Welt, die Sehnsuchtsorte sind von der Landkarte radiert. Im Gegenteil: Der davon am weitesten entfernte Ort, das Kinderzimmer ist dieser Generation die liebste Kulisse, weil sie keine ist. Dort, wo sich hinter den Aschenbechern noch die Stofftiere türmen ist man Kindheit und Erwachsensein gleichermaßen nahe, es hatte wohl noch keiner Zeit, richtig aufzuräumen.

!!!ACHTUNG!!! NUR IM ZUSAMMENHANG MIT ARTIKEL VOM 01.10.2010 MMK Frankfurt NICHT VERWENDEN!!!!!

Quelle: Corinne Day, Tania colouring her hair, 1995/MMK Frankfurt

7 / 9

 Das Private ist kein Schock, eher ein Wunder: Es zeigt sich im Sofapolster unter einer weiten Comme-des-Garcons-Hose oder den zerlesenen Heftchen, auf die ein Beirendonck-Schuh purzelt. Sogar Björk will jung bleiben und hockte sich für Nigel Shafran vor einen Couchtisch, wo sie versonnen mit einem kleinen Halloween-Skelett spielt.

Wer hier posiert, wirkt wie frisch geschlüpft, alles ist neu, nichts fest gefügt. Die Fotografen sind selbst nicht viel älter als ihre Modelle. Collier Shaw posiert abwechselnd mit ihrem Model im Park. Beide haben braune, nicht allzu kurzgeschnittene Haare, sie stopfen sich Unterhosen aus und quetschen damit die weiche Haut über ihren Rippen mit Nylonschläuchen zu Brüsten.

!!!ACHTUNG!!! NUR IM ZUSAMMENHANG MIT ARTIKEL VOM 01.10.2010 MMK Frankfurt NICHT VERWENDEN!!!!!

Quelle: Jason Evans, Strictly 6, 1991/ MMK Frankfurt

8 / 9

Mode war nicht länger Trend, sondern ein Raum, in dem sich Formen entwickeln konnten, heißt es im Katalog. Ihre Arbeit "kreiste um Begriffe wie Dekonstruktion, Authentizität und Initimität". Wie sehr die Produktion tatsächlich auf den Moment zielte, musste die Kuratorin Sophie von Olfers bemerken, als sie mit den Recherchen begann. Die meisten Fotografen mussten ihre Fotos erst einmal neu ausbelichten, sie waren mit den Magazinen gesammelt, aber schließlich weggeworfen worden, allein ein Künstler wie Wolfgang Tillmans hielt seine Motive als große Abzüge bereit. So präsentiert die Schau schöne Serien, auf bescheidene Formate gebracht, eingerahmt, in ruhiger, gleichmäßiger Hängung. Allein Mark Borthwick hat seinen Raum mit Originalmaterial eingerichtet: alte Anzeigenmotive, Polaroids, gerahmte Schwarzweißfotos, Bilder von seinen Kindern, Kampagnen, ein Allover aus Fotokiste und Weltruhm.

!!!ACHTUNG!!! NUR IM ZUSAMMENHANG MIT ARTIKEL VOM 01.10.2010 MMK Frankfurt NICHT VERWENDEN!!!!!

Quelle: Anders Edström, Martin Margiela spring/summer 94/MMK Frankfurt

9 / 9

Ist diese Dekade vorüber? Die Bilder dieser Rückschau wirken unverändert frisch. Purple ist als Magazin erfolgreicher denn je, ein Magazin wie Vice ist der gleichen Ästhetik verpflichtet, hat sie sogar noch radikalisiert. Und wenn man diesen Minimalismus als Gradmesser anlegt, lassen sich die ernsthaften Avantgardisten unter den Modehäusern rasch von denen scheiden, die auf Effekt und Glamour setzen. Dennoch ist der Einfluss der einst so stilbildenden Magazine und Modemacher der neunziger Jahre auf die Größe eines Marktsegments geschrumpft. Wer in der Mode heute Erfolg haben will, schneidert nach dem Geschmack der Neukundinnen aus Russland, den Emiraten oder China und muss sich nicht länger die radikale Verspieltheit einer Off-Szene aussetzen. Viele der in Frankfurt ausgestellten Fotografen betonen, dass sie nur noch für wenige Auftraggeber - und sehr frei - arbeiten. Wolfgang Tillmans ist Künstler geworden. Die bunte Zone zwischen den Disziplinen ist nicht länger Avantgarde, sondern behauptet Nischen. Kunst und Mode begegnen sich inzwischen auf offizielle Einladung. Takashi Murakami etwa entwirft Handtaschen für Louis Vuitton.

Not in Fashion. Mode und Fotografie der 90er Jahre, Museum für Moderne Kunst Frankfurt, bis 9.Januar 2011. Der gleichnamige Katalog kostet 35 Euro.

© sueddeutsche.de/kar
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: