Ausstellung: Neo Rauch:Keine Angst, es sind nur Bilder

Ursuppe einer deutschen Seele: Die Neo-Rauch-Doppelschau "Begleiter" in München und Leipzig zeigt, was Kritiker entzweit und das Publikum liebt.

Catrin Lorch

"Neo Rauch macht zur Malerei hin täglich eine Tagessuppe aus Terrinenfleisch, Entenbrust, Austern und Bohnen", schreibt Jonathan Meese dem Jubilar zur Würdigung. Meese kann das. Aus dem Geschmack der Gemälde die Worte fischen, die wie Fettaugen auf der Suppe schwimmen, das Erdige und Erhabene benennen und die ganze dunkel eingerahmte, feuchtglibberige Grellheit.

Wenn es einem letztlich aber nicht schmeckt, dann möchte man am liebsten klein weiterschreiben, knapp und klar, modern; bloß nicht durch dieselbe Suppe schlapfen, die jetzt, zum fünfzigsten Geburtstag des Malers, als breiter Strom durchs Land schwappt.

Die gemeinsame Retrospektive "Begleiter" verteilt sich in insgesamt 120 Bildern auf zwei Ausstellungsorte - die Münchner Pinakothek der Moderne und das Museum der bildenden Künste in Leipzig. Neo Rauch selbst darf sich erstaunt zurücklehnen - schon wieder eine Retrospektive . . .

Vor seinem Werk gibt der Künstler gern den am eigenen Erfolg Zweifelnden. Es ist an anderen, zu erklären, was an diesen Bildern ist, das die Kritik entzweit und Neo Rauch zum Liebling des Publikums macht.

Es gibt zwei Erklärungen: Er ist ein unwiderstehlicher Maler. Und: Er ist als Künstler so peinlich, ein Fossil.

Während sein Werk dem Mitte der Neunziger nicht mehr aktuellen Format "Tafelbild" den Weg zurück in die Museen und Galerien ebnete, und zwar als Siegeszug, ließ sich Neo Rauch bald als konservativ vereinnahmen. Das lag an seinen Motiven, die, bald nach seinem Durchbruch, immer "deutscher" wurden. Das kam vor allem im Ausland gut an.

Neo Rauch wird international hoch gehandelt, gilt seit seiner Einzelausstellung "para" im Jahr 2007 als der erste Zeitgenosse, dem das Metropolitan Museum in New York seine Tore öffnete, zumindest ein paar Räume unter dem Dach.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie Neo Rauch das Befremden eint.

Deutsche Malerei in Potenz

Dass beide "Begleiter"-Stationen Arbeiten seit den frühen Neunzigern ganz unchronologisch präsentieren, ist dem Verstehen erstaunlich zuträglich, aus der Jetztzeit lassen sich die Entwicklungen in diesem Œuvre besser erkennen.

Frühe Hochformate wie "Erl" (1993), "Grund" (1993) und "Taufe" (1994) begegnen einem in Leipzig ganz unvermittelt, in München eher zum Schluss. Es sind Bilder auf der Kippe zwischen Figuration und der Auflösung; flache Räume und abstrakte Zonen, in denen der Pinsel regiert.

Erzählen, ohne auszuformulieren

Sichtbar steht Neo Rauch in der Tradition von Künstlern wie Arno Rink und Bernhard Heisig, der Leipziger Schule, die erzählt, ohne auszuformulieren. "Die Küche" (1995), eine Arbeit auf Papier und Leinwand, zerfällt in konturierte Rückenansicht, Profile wie Scherenschnitte und viel eigensinniges Schwarz, das alles Gemalte wie auslaufende Tintenwolken umfließt.

Die Leinwand "Das Haus" aus dem Jahr 1996 lässt schwarz-weiße Pinselstreifen senkrecht auf eine winzig am unteren Bildrand kauernde Landschaft regnen, wo vor dunkelgrauen Wäldern verloren die Fabrikhalle steht. Dort müht sich ein einsames Männchen mit der Schubkarre ab. Der öden Nachtdunkelheit zieht allein die halbfertige Architektur ein paar Haltestangen ein - in lindem Grün, bräunlichem Rot, mattem Blau. Ungefähr an diesem Punkt, da Neo Rauchs Malerei zwischen dem Ostkünstler Hermann Glöckner und dem Westheroen Sigmar Polke angelangt ist, erhält er im Jahr 1997 den Kunstpreis der Leipziger Volkszeitung - und wird sofort berühmt.

Seine Bilder sind frisch und präsent, als in den Nachwendejahren ein Deutschland das andere entdeckt: Im Farbklang ausgeblichener Reklamewände, tüchtiger Figuration und einer aufgehellten Ruinenromantik, die mal abgewickelt, mal halbfertig erscheint, finden sie ihre Sujets. Die Stimmung ist schon deprimiert, aber von Aufgeben keine Spur.

Ist das nun deutsch?

Man kann von beiden Seiten Deutschlands auf diese Malerei schauen wie in einen gemeinsamen Spiegel, und vielleicht hat Neo Rauch nicht unbedingt zum Verstehen beigetragen, dafür aber das gegenseitige Befremden geeint. Neo Rauch, der nach seinem Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst dort auch Assistent und, bis 2009, Professor ist, schließt die Leipziger Schule ans Zeitgenössische an, "neue" Bilder aus Leipzig gelten vor allem international als deutsche Malerei in Potenz.

Es ist erhellend, dass der Kurator Bernhart Schwenk in München die Ausstellung in unmittelbare Nachbarschaft zu Baselitz und Immendorff auslaufen lässt, sie sind gewissermaßen die Exportschlager der Vorsaison, der Achtziger. Neo Rauch schließt fugenlos an, wirkt nur noch etwas deutscher, eher wie Markus Lüpertz oder Anselm Kiefer.

Sein Ensemble, dem zunächst Figuren des sozialistischen Realismus wie "Arbeiter" angehörten, wurde nach der Jahrtausendwende urtümlicher umbesetzt: Es gibt noch die kräftigen Stiefelfrauen und die einfachen Jungs im Kittel, ihre Einsamkeit verdrängt jedoch ein buntes Völkchen spitzbärtiger Herren und gehörnter Monster, Väter, Freunde, menschenköpfige Tiere, Amphibien und Zwerge. Die Farben sind nachgedunkelt, zitieren in Braun und Gelb und Mittelblau die guten Stuben.

Nachtspaziergänge und das Eismeer der Romantik, das ganze Raunen und Sehnen ist da, das Ideal, das immer schon kontaminiert ist - und seine Banalisierung. Ist das nun deutsch? Oder nicht vielmehr eine Behauptung in der Sprache der Kunstgeschichte? Die Behaupter sind allerdings die Erfolgreichen: Immer werden sie zitiert und ausgestellt, wenn nach "deutsch" gefragt wird - und nie Zeitgenossen wie Rosemarie Trockel, Isa Genzken oder Gerhard Richter, der mit einiger Verbindlichkeit Historienbilder zur Zeitgeschichte malt.

Doch sollte Neo Rauch diese Geister gerufen haben, er wird es nicht zugeben. Lieber verweist er auf die Pop Art, die ihn geprägt habe. Doch wo es um sein eigenes Werk geht, verschließt sich Neo Rauch allem Experiment. Das Wesen der Pop Art ist der handgemachten, wie versiegelten Oberfläche seiner Malerei fremd. Neo Rauch malt eigenhändig, nicht mehr als zwölf Bilder im Jahr, in seinem Atelier gibt es weder die fabrikmäßige Produktion noch die ironische Inflation. Und auch wo Arbeitsalltag, Fabrikation, Warenwirtschaft thematisiert werden, bleiben seine Bilder allgemein und überzeitlich.

Instistieren auf klassischen Verhältnissen

Ja, "Kalimuna" (2010) verbindet die Schriftzüge des Kali-Bergwerks mit dem unter Wimpeln aufscheinenden Firmenschild der Munitionsfabrik - aber Neo Rauch würde keine Namen nennen, weder Campbell noch Brillo in Haftung nehmen für ihren Anteil am Kapitalismus und an der Alltagsästhetik. Und auch wenn Gemälde wie "Kalimuna" mit fünf Metern so breit wie eine kleine Kinoleinwand sind, dürfen sie nie aufgeblasen wirken wie Warhols Mao-Kopf oder die Großformate von Tom Wesselmann.

Neo Rauch insistiert auf klassischen Verhältnissen, seine Bilder sind Bühnen, auf denen Figuren auftreten, die nur etwas größer sind als ihre Betrachter. Zerfiel die Fläche seiner Leinwände in den Neunzigern noch in unterschiedliche Zonen, Raumzellen, zu Passagen gereihte Kammern, in denen eine vielfach unterbrochene Erzählung unterkam, wie der Kunstwissenschaftler Werner Hofmann schreibt, entwickelt sich seit dem Jahr 2000 eine dysfunktionale Dreidimensionalität. Figuren und Kulissen sind plastisch und raumfüllend.

Gleichzeitig wirkt es, als habe Neo Rauch der gedeckten Tafel das Tischtuch weggezogen, die Motive verfalten sich zu einem Geknäuel aus vielen Perspektiven, mit den Figuren schieben sich ihre Bildräume ineinander. Das hat Schwung, auch weil Neo Rauch so wieder Platz schafft, für den Himmel beispielsweise, der einfach nur noch ungestörte Farbfläche sein kann. Doch bringt die Dynamik die Körper einander nicht wirklich näher, es bleibt beim Stimmengewirr, das laut "mehrdeutig" ruft.

Neo Rauch selbst legt sich nicht fest, betont, dass es häufig die Nachtwelt ist, die auf seine Staffelei hinüberragt. Das klingt aufrichtig, auch wenn der Maler sich so mit der Vernunft auch der Verantwortung für seine Schöpfungen entzieht. Was bei anderen - wie Goya, der seine Traumgespenster mit der Feder zu Phantasmen und Caprichos bannte - zum Moment größter Intimität wird, behauptet im Format des Historienschinkens nicht mehr als das eigene Auftreten.

Gegen Archetypen hilft kein Argumentieren

Mit der Dramatik der "Erschießung der Aufständischen" lädt Neo Rauch fette Alpwesen auf den Exerzierplatz; nicht zur historischen Konfrontation, sondern als anachronistische Versammlung, die keinen über den Effekt hinausreichenden Sinn behauptet. Das naturhaft Auftrumpfende, so lehrt der Strukturalismus, das Ewige, das der Mythos einkleidet und tarnt, macht ihn gefährlich: Gegen Archetypen hilft kein Argumentieren.

Auf drei Metern Höhe buchstabiert sich "Demos" (2004) als Schlüsselbild durch eine Szenerie, die an einem nackt an einen Baum Gefesselten aufgehängt ist. Dem schiebt sie eine Demonstration in den Rücken (ohne zu zeigen, was auf den Transparenten steht), einen zwergigen Selbstmordattentäter, einen uniformierten Ordnungshüter, gierende Hundefratzen. Alles in Gelbtönen. Ist das eine Revolution? Eine Epiphanie? Oder nur das Heute?

Vor so viel motivischer Autorität steht der Betrachter - wie auch der Kritiker - erst mal stramm, kann dem Reichtum der Zitate und Anspielungen von "Demos" gar nichts entgegnen, nur, dass er diese ganzen Traumgeburten, die da als Ursuppe einer prototypisch deutschen Seele aufgetischt werden, nicht haben will. Nein, diese Suppe ess' ich nicht.

Meisterlich und in aller künstlerischen Subjektivität ist die Malerei von Neo Rauch groß geworden, besetzt Museen, malt Kirchenfenster im Naumburger Dom aus, lässt sich in Magazinen und auf Messen präsentieren - da kann sie sich nicht länger nostalgisch und privat geben, sie ist konservativ, bleibt fabulierend, politisch vieldeutig oder auch: nichtssagend.

Die Doppelschau "Begleiter" bietet zwei Lesarten - die Leipziger Hängung malt den Kosmos von Neo Rauch noch einmal aus, während man in München den Besucher im ersten Raum mit den drei in Rot, Gelb und Blau durchfärbten Großformaten umfängt, als wolle man sagen: keine Angst, es sind nur Bilder.

Das Zitat aus den Zwanzigern, das ihm Luc Tuymans ins Katalog-Poesiealbum schreibt - vor seinen Bildern wirkt es treffend: Die Deutschen, so habe Paul van Ostaijen, Belgiens berühmtester dadaistischer Dichter, nach einem Treffen mit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht bemerkt, seien Menschen, die einen Weihnachtsbaum greifen, einstürzen und krampfhaft den Baum festhalten.

"Begleiter" in der Münchner Pinakothek der Moderne und im Museum der bildenden Künste, Leipzig, bis zum 15. August. Der Katalog zu beiden Stationen kostet 38 Euro. www.neo-rauch-ausstellung.de

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