Ausstellung:Natternzungenkredenz

Ausstellung 'EDMUND DE WAAL TRIFFT ALBRECHT DÜRER -- During the Night' KHM Wien (nur zur aktuellen Berichterstattung)

Foto: KHM-Museumsverband Wien

Eine überraschende Präsentation, die der britische Autor Edmund de Waal im Kunsthistorischen Museum kuratiert hat.

Von Kia Vahland

Und was fehlt noch für das Silvesterdinner? Eine Natternzungenkredenz, unbedingt. So ein apartes, blütenartig geschwungenes glänzendes Ding, das man auf den Tisch stellt wie eine Blumenvase. Seine dunklen Spitzen sollen anzeigen, welche Speisen gefährlich sind, weswegen die vergoldeten Stücke in der Frühen Neuzeit auf fürstlichen Tafeln prangten. Erst Ende des 16. Jahrhunderts gerieten sie außer Mode. Die spitzen "Natternzungen" sind fossile Haifischzähne; es gibt nur noch zwei Kredenzen, eine in Dresden, eine in Wien im Kunsthistorischen Museum (KHM).

Dieses Exemplar aus dem mittleren 15. Jahrhundert (unsere Abbildung) hat es dem englischen Künstler und Schriftsteller Edmund de Waal angetan. Er bespielt im KHM einen dunklen Saal mit Fundstücken aus dem Museum, der Kunstkammer und dem Depot (During the Night, bis 29. Januar im KHM Wien, Info: www.khm.at). De Waal kombiniert alles, was aus unterschiedlichen Gründen alten Zauber verströmt: eine brüchige Platon-Ausgabe, kleine Reliquiare, Magensteine von Lamas, also unverdaute, später kunstvoll umschalte Brocken von Irgendwas.

Dazwischen lauert Albrecht Dürers "Traumgesicht". Höchst beunruhigt warf der Maler im Jahr 1525 das beinahe abstrakte Aquarell einer Landschaft auf Papier, nachdem er von Wassermassen geträumt hatte. Dürers schlaftrunkene Verunsicherung fasziniert Kurator de Waal. "In der Nacht bist Du ausgesetzt", schreibt er dazu. "Im Kunsthistorischen Museum fühle ich mich ausgesetzt."

Nun kann man sich zwischen all den nicht sich selbst erklärenden Werken im KHM so fühlen. Bei de Waal aber schwingt noch etwas anderes mit. Seine Vorfahren, jüdische Bankiers aus Wien, waren von den Nazis enteignet und vertrieben worden. Einige ihrer Kunstschätze waren ins KHM verschleppt worden, wo sie in den Gewölben verschwanden. Das Museum muss de Waal gefräßig erscheinen; seine kleine, in Schwarz getauchte Ausstellung ist eine liebevolle späte Inbesitznahme. Und eine Entgiftung. Dafür braucht es die Haifischkredenz.

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