Süddeutsche Zeitung

Ausstellung "Mit 17 ... Jung sein in Deutschland":Knappe Ressource Jugend

Treueschwüre an Elvis, der Traum vom eigenen Atombunker, Briefe an Dr. Sommer, Computerspiele. Eine Ausstellung in Leipzig zeigt Jugendkulturen und Generationskonflikte aus den vergangenen Jahrzehnten. Dabei wird klar: Die deutsche Jugend wandelt sich - und auch das Bild von ihr.

Jens Bisky

Zu den nervenden Begleiterscheinungen des Jungseins gehört die Frage, was man werden wolle und wie man sich die Zukunft vorstelle. Gern wird sie in aufmunterndem Tonfall gestellt, aber das ändert wenig an ihrer Kontrollfunktion. Geprüft wird, ob der junge Mensch vom Gewohnten abweiche, wie es sich für die Jugend gehört, und zugleich, ob er es nicht damit übertreibe, sich noch im Rahmen des Tolerierbaren bewege. Die erwachsenen Einwände liegen nahe: "Hast Du denn gar keine Träume?" oder "Das hast Du nicht von uns!"

Man soll sich festlegen, eben weil noch so viel möglich, unentschieden ist. Kühne, grenzüberschreitende Gedanken werden abgefragt in einer Lebenslage, in der man so gegängelt, fremdbestimmt wird, wie später kaum wieder. Der Rahmen der Träume steht fest: Schule, Ausbildung, Arbeit, Rente. Bedenkt man die paradoxe Situation, scheint die Antwort, die der 13-jährige Guido aus Hamburg 1983 in einem Preisausschreiben gab, ziemlich gewieft. Er träumte von Souveränität in den kulturell akzeptierten Formen: "In meiner Vorstellung besitze ich einen großen Betrieb, in dem ich schalten und walten kann, wie ich will, weil er mir gehört. Von dem Geld, das ich dadurch verdiene, habe ich mir einen Atombunker unter meinem Haus bauen lassen, denn man weiß ja nie, wann die erste Atombombe fallen wird. Vor der Haustür steht ein Lamborghini Espade und eine Mercedes-Benz Limousine mit Chaffer natürlich . . ."

Nachlesen kann man Guidos Lebenstraum jetzt in einer Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig. Sie heißt "Mit 17 . . . Jung sein in Deutschland", war zuvor im Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn zu sehen und versammelt Material zu Jugendkulturen und Generationskonflikten in Ost und West. Die bunte, abwechslungsreiche, liebevoll inszenierte Präsentation verzichtet auf eine These und zeigt mit sympathischer Unbefangenheit, zurückhaltend in den Kommentaren deutsche Geschichten aus den zurückliegenden sechs Jahrzehnten. Vor allem kommen die Jugendlichen dort selbst zu Wort und die regelmäßig recht hilflos wirkenden Journalisten, die über sie berichteten.

Dutschkes Lederjacke und ein Moped Zündapp Combinette

Man kann die Ergebnisse des Jugend-Preisausschreibens West von 1983 vergleichen mit den Antworten, die das Zentralorgan der FDJ, die Tageszeitung Junge Welt, erhielt, als es 1970 die sozialistische Jugend aufrief, sich den 6. Januar 2000 zu imaginieren. Die hier ausgewählten Beiträge wirken technoider, organisationsverliebter, aber sie spiegeln gewiss nur einen Teil der DDR-Jugend. Andere wurden, wie sich im Detail nachverfolgen lässt, bei jedem Zeichen von Aufmüpfigkeit beobachtet, schikaniert, oder sie fanden - etwa im mühsamen Versuch, alles über Depeche Mode zu sammeln - ein privates Reich der Freiheit und des Spaßes.

Die Lederjacke von Rudi Dutschke ist ebenso zu bewundern wie ein Moped Zündapp Combinette oder ein Rundfunksendegerät des "Radios Freies Wendland" und eine lebensgroße "Lara Croft". Man erfährt etwas über die kosmetischen Bemühungen der Teenager, über "das erste Mal" und Aufklärungskampagnen, über die Liebe zu Elvis Presley, Punks, Aktionen der Lehrlinge, die nicht länger billige Aushilfen sein wollten. Beinahe ist es zu viel, was hier auf engstem Raum rekapituliert wird: Krawalle, Proteste, Verweigerung und nebenher immer die Suche nach dem Platz in der Welt, der zu einem passt.

Der Besucher betritt die Ausstellung durch einen Foto-Vorhang: ein bärtiger Herr redet mit erhobenem Zeigefinger auf einen jungen Mann in sehr schmucker Lederjacke ein. Es geht um die Räumung der Hamburger Flora im Jahr 1990. Aus dem Off ertönen die Standardsätze des Missverstehens, "ich mach das so", "das hätte es früher nicht gegeben" und dergleichen mehr. Die deutsche Jugend wird seit langem gut beobachtet und studiert.

Die DDR unterhielt in Leipzig ein Zentralinstitut für Jugendforschung, bis heute gibt es das Deutsche Jugendinstitut e.V. in München. Man sollte meinen, dass ein gelassener Umgang mit Aufmüpfigen, Rebellen oder Experimentierfreudigen vorherrscht, zumal Frisur- und Modefragen so wenig wie der Musikgeschmack noch für erbitterten Streit taugen und die Erinnerungsindustrie uns an einen verklärenden Blick auf die Revolten von einst gewöhnt hat.

Wohlwollen überall, möchte man denken und steht dann im letzten Raum vor Titelbildern und Schlagzeilen, in denen die Dämonisierung der Jugend wiederkehrt: Koma-Saufen, Porno-Konsum, die "bösen" Computerspiele befeuern heute Dekadenzphantasien. Und manchmal reicht es schon, dass die Jugendlichen zur Tanzschule gehen, fleißig lernen, auf ihre Manieren achten und vom Eigenheim träumen, um zu illustrieren, dass etwas falsch läuft. Sie scheinen nicht so jugendlich, wie ihre Eltern es von ihnen erwarten.

Da kann man vermuten, dass es weniger um die Jugend und deren Probleme, viel mehr um ein Unbehagen der Älteren geht. Und so ist es oft. Wenn über Jugendliche gesprochen wird, artikuliert die Gesellschaft gern ihr schlechtes Gewissen. Und genießt dabei den angenehmen Effekt, die eigene Normalität ein wenig heroischen Glanz zu verleihen: "Was waren wir doch für Rebellen", "Oh, wie kompliziert ist die Wirklichkeit geworden". Der Kult der Jugend hat eine besondere Tradition in Deutschland seit dem Aufbruch der Reformbewegungen im Wilhelminischen Kaiserreich, seit Fidus, Wandervogel und Jugendstil. Vielleicht schon, seit der rhetorisch brillante Historiker Heinrich von Treitschke die Deutschen zum "jungen Volk" deklarierte. Die amerikanische Teenagerkultur und die heilsame Wirkung des Pop haben den Glauben an die Jugend als Geschäftsführer der Zukunft und Agenten einer ganz anderen Welt nie ganz zum Verstummen gebracht.

Das 20. Jahrhundert war in Deutschland das Jahrhundert der Jugendbewegungen, deren Motive, Floskeln und Illusionen wirken bis heute, und es ist schade, dass die Ausstellung in Leipzig, die Geschichte vor 1945 kaum streift. Dadurch halbiert sie den Erkenntnisgewinn. Denn gerade in der Engführung von Jugend und Protest, den sie vorführt, lebt doch die alte Verbindung von Vitalismus und Ideologien fort. Wer nicht der ungebrochenen Strahlkraft des Wortes "Jugend" vertraut, müsste eigentlich eine Herabsetzung von Protestbewegungen darin sehen, wenn sie als bloß jugendliche verstanden werden. Das erspart dann, deren Interessen und Absichten zur Kenntnis zu nehmen.

Die Rede über die Jugend dient zur dramatisierenden Entlastung des schlechten Gewissens, zur Artikulation von Sehnsüchten, die sonst ortlos wären. Im Umgang mit ihr scheint die Paradoxie in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren noch größer geworden zu sein. Während man Jugend als Ressource beschwört, beschneidet man an den Bildungsanstalten die Freiräume, die es braucht, damit neue Ideen, etwas Ungewohntes, all das, was Jugend verspricht, sich entfalten können. Und man tut dies, um Schüler und Studenten, die deutlich länger leben werden als wir, früher dem Arbeitsmarkt zuzuführen.

Die Ressource Jugend wird intensiver bewirtschaftet, und wenn Studien und Berichte nicht täuschen, dann sind die Reaktionen dementsprechend. Der Generationenkonflikt als scharfe Auseinandersetzung mit dem Ziel, die älteren Generationen zu entmachten, hat ausgedient. Familie ist kein Kampfplatz mehr, kein Schauplatz für "Vatermord", in welcher Form auch immer. Stattdessen wird Jugend als knappes, nur vorübergehend zur Verfügung stehendes Gut taktisch genutzt, um sich an den Märkten zu behaupten. Die Familie dient dabei als Rückzugsort und Kraftquelle. Die geringer gewordenen Freiräume werden intensiver genutzt: Wenn schon trinken, dann richtig; wenn schon Freunde, dann mit täglichen Mitteilungen an diese.

Beide Varianten - der Generationenkonflikt und der kluge Einsatz der eigenen Jugend - dürften lange schon nebeneinander praktiziert worden sein; der scharfe Konflikt, Revolte und Protest aber haben unser Bild von der Jugend geprägt. Dieses wandelt sich, wie nicht zuletzt die Leipziger Ausstellung zeigt. Die vergangenen Ausdrucksformen der Aufmüpfigkeit existieren fast alle noch weiter, als Hobby der Eltern, als Punk in der Freizeit, beim Protest gegen Castor-Transporte. Der Fundus ist groß, aus dem man schöpfen kann. Nur die Rudi-Dutschke-Jacke zieht sich keiner an, das schiene wohl zu theatralisch. Aber mit Voraussagen über die Jugend hat sich noch jeder blamiert. Im Winter 1966/67 beschied eine Studie des Allensbacher Instituts die Studenten seien "konformistisch, apolitisch, vergnügungs- und karriereorientiert".

"Mit 17 . . . Jung sein in Deutschland" Zeitgeschichtliches Forum, Leipzig. Bis 4. November. Eintritt frei.

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Quelle:
SZ vom 06.08.2012/ihe
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