Ausstellung: Matthew Barney:Unerträglich unterhaltsam

Niemand hat die Kunst mit so viel Glamour aus den Kammern der Aufklärung in die globale Medienaufmerksamkeit geführt. Die Ausstellung in Basel ist dennoch ein Missverständnis.

Catrin Lorch

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Quelle: Schaulager

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Niemand hat die Kunst mit so viel Glamour aus den Kammern der Aufklärung in die globale Medienaufmerksamkeit geführt. Die Ausstellung in Basel ist dennoch ein  Missverständnis.

Matthew Barney beharrt darauf, ein Bildhauer zu sein. Das macht den Umgang mit seinem Werk nicht einfacher. Ausgerechnet die dreidimensionalen Objekte aus seinen epischen Filmreihen sind in seiner aktuellen Ausstellung im Baseler Schaulager sind nicht mehr als Beiprodukte, Film-Stills und Fotografien sind nicht eigenständig, wirken wie Bruchstücke vom Filmset.

Matthew Barney, Drawing Restraint 15 2007, Dokumentationsfoto, Foto: Neville Wakefield.

Text: Catrin Lorch /SZ vom 29.6.2010/sueddeutsche.de/luc

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Die Schau konzentriert sich auf die Reihe Drawing Restraint, die in die Frühzeit seines Schaffens zurückreicht, und die er bis heute fortsetzt. Gerade zwanzig geworden, beschloss der Kunststudent Barney 1987, es mit dem Zeichnen zu versuchen. Dafür räumte er eine Ecke seines Ateliers auf dem Campus der Yale University frei und baute Rampen auf. Weil er seine Oberschenkel mit elastischen Bändern am Boden festgegurtet hatte, kostete es ihn einige Kraft, diese Rampen hinaufzusteigen, kurz unter der Decke war der genau berechnete Widerstand kaum auszuhalten, aber dort, an der höchsten Stelle, setzte der mit dem schwarzen Stift ein kleines Zeichen. Wieder und Wieder. Drawing Restraint 1 wurde schon ein Jahr später, fortgesetzt. Die Rampen waren noch steiler, manchmal trug Matthew Barney beim Zeichnen Hockeyschlittschuhe.

Matthew Barney, Drawing Restraint 10, 2005 Dokumentationsfoto, Foto: Reggie Shiobara.

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Danach goss Barney sich eine Langhantel aus Paraffinwachs und Vaseline, rieb seine Hände mit Kalziumkarbonat ein und wuchtete die Stange in die Luft, damit das Kalkweiß auf die darunter ausgelegten Platten rieselte. Auch dies ein "Drawing Restraint", ein Zeichnen, das gehemmt, gezügelt und beherrscht wird, die englische Vokabel "restraint" ist da vieldeutig. Die Kritzel auf der Wand, das Weiß auf dem Boden war Überrest dieser Aktion, genauso wie die Hanteln, die Riemen, die Rampen, die Filme und Fotografien. Später kamen Trampoline dazu, auf denen sich Matthew Barney abstieß, um mit der Zeichenkreide die Decke zu zielen oder Satyr-Kostüme, in die er Schauspieler steckte, die dann mit ihren Bockhufen die Decke bearbeiteten.

Matthew Barney, Drawing Restraint 9: Amphibious Landing, 2006, Papiercollage in selbstschmierendem Plastikrahmen, Foto: Martin P. Bühler.

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Die bekannteste Episode ist der Kinofilm Drawing Restraint 9. Die Handlung spielt auf einem Walfangschiff vor Japan, und für die Schlüsselszene der Teezeremonie im Bauch des Schiffes verpflichtete der Künstler seine Frau, die Sängerin Björk. In verlangsamten Szenen entwickelt sich eine krude Selbstentleibung, in der das Paar sich das eigene Fleisch abschält, um es mit dem Körper des abgeschlachteten Wals zu vermengen.

Matthew Barney, Drawing Restraint 7, 1993 Production Still Photo, Foto: Michael James O'Brien.

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Es gibt inzwischen 18 Folgen der Reihe, die den Körper im Extremum ins Bild rückt. In den Neunziger Jahren, als er mit seiner autobiografischen Filmreihe "Cremaster" bekannt wurde, war diese Konzentration auf den Körper befremdlich und wurde vor allem als effektvolles Kunstkino verstanden. Manche Folgen dieses Fünfteilers waren spröde, andere fast unerträglich unterhaltsam. Matthew Barneys Filmbilder setzten Sportereignisse in Szene, Squaredances in Cowboystiefeln oder den Entfesselungskünstler Harry Houdini und die Kunst tat sich zunächst schwer mit einem Visionär, der die Regeln der Unterhaltungsindustrie überreizte. Niemand hat die Kunst allerdings mit so viel Glamour herausgeführt aus den hellen Kammern der Aufklärung in die Reihen der globalen Medienaufmerksamkeit.

Matthew Barney, Drawing Restraint 15, 2007, Dokumentationsfoto, Foto: Kanoa Baysa.

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Doch die Ausstellung verlässt sich nicht auf den Ruhm der "Cremaster"-Serie. "Instrument of Surrender" (2006) ist eine Installation, die aussieht, als seien die Ketten eines Militärfahrzeugs in schneehaufenhoher, weißer Schmiere stecken geblieben. Herunter kommen Fußstapfen, marschieren vom Eingang geradewegs in die Ausstellung hinein. Der Auftritt bezieht sich auf Drawing Restraint 13, in dem Barney in der Rolle von US-General Douglas MacArthur auftrat, der die Kapitulation der Philippinen und Japans mit seiner Unterschrift entgegennimmt. Nur vorübergehend verfestigt wirkt auch das in drei grünen Fässern in einer Ecke abgestellte Super White Protopet Petrolatum, ein Fass trägt eine Heiz-Manschette um den Bauch, offensichtlich ist man hier nur ein paar Grad von einer künstlerischen Aktion entfernt.

Matthew Barney, Drawing Restraint 13, 2006 Dokumentationsfoto, Foto: Chris Winget.

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Doch da ist noch ein Farbfleck, ein helles Bild voll bunter Figuren, Die Kreuztragung Christi, eine Szene, mit der Pieter Coeke van Aelst der Ältere im Jahr 1530 die Erniedrigung als figurenreiches Tableau ausmalt. Dass es im Schaulager hängt, hat der Londoner Kurator Neville Wakefield angeordnet. Auch in den anschließenden Räumen trifft man auf Stiche und Holzschnitte, kolorierte Blätter, Zeichnungen und veritable Gemälde - Cranach, Dürer, Schongauer und Goltzius. "So wie die Kunst des Mittelalters aus dem Leib Christi ein ganzes Panorama spiritueller Rückschlüsse zog, hat auch Matthew Barney seinen eigenen Leib und die Körper anderer dazu verwendet, um eine säkulare Theologie künstlerischen Schaffens zu entwickeln", schreibt Wakefield in seiner Einführung zu Matthew Barney. Prayer Sheet with the Wound and the Nail.

Lucas Cranach d.Ä. (1472-1553), Kopf des dornengekrönten Christus, um 1520/1525, Foto: Brian Watt.

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Mehr als siebzig Kunstwerke der nördlichen Renaissance hat man zur Illustration dieser merkwürdigen These ins Schaulager bemüht, ausgeliehen vor allem von Baseler Institutionen. Eingefügt in eine Ausstellungsarchitektur, die, laut Wakefield, eine Basilika abstrahiert. Dass die engen, wabenförmigen Kammern, die Barney zwischen den Sälen eingezogen hat, vieldeutiger und unangenehmer sind, als Krypta oder Konche, ignoriert dieser Ansatz.

Matthew  Barney, "Heap of earth of Drawing Restraint 17", 2010, Foto: Keystone/Georgios Kefalas.

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Es ist eine bodenlose kuratorische Klitterung, die Wakefield dem Publikum zumutet, das Matthew Barney sehen will. Denn es ist tautologisch, dass da, wo es um Körper geht, um Erzählen und Bilden, ein in der Nachkriegszeit geborener amerikanischer Künstler nicht unberührt ist von der Erzähltradition und Motivik des christlichen Abendlandes, vor allem wenn er mit Vorsatz die Mythen der Popkultur aufgreift. Aber der Künstler spielt mit dieser Sprache nur, wie mit anderen, jüngeren Motiven wie dem American Football, oder älteren, wie der griechischen Mythologie.

Matthew Barney, Drawing Restraint 9, 2005, Production StillPhoto, Foto: Chris Wingets.

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Barney, der als Triebfeder menschlicher Anstrengung sehr zeitgemäß nicht die Angst vor dem Jenseits, sondern die Aphanisis zitiert, die "Furcht vor dem Verlust des sexuellen Begehrens", der berichtet, er habe als Junge nicht Gott gesucht, sondern Schönheitschirurg werden wollen, interessiert sich nicht unbedingt für die Glaubensqualen und Martyrium. Zudem betont der Künstler, dass er "ohne religiöse Rituale" aufwuchs, der Glaube in seinem Leben derzeit "völlig abwesend" sei, auch wenn er das Ausstellungsvorhaben insgesamt nicht unüberzeugend fände.

Matthew Barney, Drawing Restraint 7 (Guillotine), 1993 (detail), Color photo in Nylon frame.

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So ist das Missverständnis der Ausstellung gigantisch. Und es ist überraschend, dass sich die Kunst dennoch behauptet. Das spricht für die Reihe "Drawing Restraint", die für Basel noch um zwei Werke erweitert wurde. Für Nummer 18 verwendet Matthew Barney noch einmal das Trampolin, für Nummer 17 dagegen erstmals einen fremden Körper: Eine rosagoldblonde Frauenfigur in Schläppchen und Trikot klettert da an Haltegriffen die hohe Wand des Schaulagers hinauf, und weil der Film über die riesige Anzeigentafel auf der Fassade zieht, wird ihr Sturz übergroß, in Zeitlupe, sanft geschnitten. Das Flache und das Vorsätzliche verbindet "Drawing Restraint 17" zu einem weichen, endlosen Flow. Dass Neville Wakefield nicht jeder Wunsch erfüllt wurde, dass Hans Holbeins Meisterwerk, der "Leichnam Christi im Grabe", nicht das Baseler Museum verlassen durfte, erspart der verunglückenden Amazone die Konfrontation mit einem Kunstwerk, das sie nicht so leicht geschultert hätte.

"Matthew Barney. Prayer Sheet with the Wound and the Nail", Schaulager Basel, bis 3. Oktober. Katalog: 35 Franken.

Matthew Barney, Drawing Restraint 17, 2010 Production Still Photo, Foto: Hugo Glendinning.

© sueddeutsche.de/luc
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