Ausstellung:Mann mit vielen Gesichtern

Die Villa Stuck entdeckt in einer umfassenden Schau den niederländischen Maler Jan Toorop, der als bedeutender Vertreter des Symbolismus gilt - und doch so viel mehr war

Von Evelyn Vogel

Das überraschendste Moment in dieser an Überraschungen wahrlich reichen Ausstellung des niederländischen Symbolisten Jan Toorop erlebt man am Ende des Rundgangs in der Villa Stuck. Hier im Alten Atelier wirken die tief religiösen, in den letzten Lebensjahren entstandenen Bildwerke Toorops, der 1905 zum Katholizismus konvertierte, beinahe sakral inszeniert. Doch kaum ist man an der Kreuzwegreihe, den Monumentalporträts "Der Gläubige" und "Der Ungläubige" sowie dem großformatigen "Pilger" vorbeigezogen, steht man vor Franz von Stucks "Altar der Sünde". Von hier aus fällt der Blick der hocherotischen Darstellung der "Sünde" aus dem Halbdunkel, das das Bild kennzeichnet, auf die von harten Linien und klaren Farben geprägten Bilder des Kreuzwegs und wirkt wie ein spöttischer Kommentar Stucks auf das Alterswerk Toorops. Was für ein Gegensatz!

Aber es ist nicht der einzige in der Ausstellung, die den ungeheuer wandlungsfähigen niederländischen Maler Jan Toorop in all seinen Facetten dem Münchner Publikum vorstellt. Einen Maler, der zwar als herausragender Vertreter des Symbolismus gilt, der aber auf der Suche nach einer individuellen Ausdrucksform auch Werke geschaffen hat, die dem Impressionismus, dem Pointillismus und dem Jugendstil zuzuordnen sind. Und wer seine frühen Arbeiten betrachtet, in denen bäuerliche Sujets in oft dunklen Farben dargestellt sind, fühlt sich unweigerlich an das Frühwerk van Goghs erinnert.

Außerhalb seiner Heimat ist Toorop nur wenig bekannt, was zu Lebzeiten durchaus anders war. Mitte 1893 wurden seine Werke erstmals in München gezeigt und hymnisch gefeiert. Wenige Monate später waren sie in einer Gruppenausstellung in der Berliner Galerie Gurlitt zu sehen - und wurden von der Kritik verrissen. Doch schon 1897 erhielt er in der Kunstausstellung der Münchener Künstlergenossenschaft im Glaspalast einen eigenen Raum und stellte 17 Werke aus, darunter eines seiner berühmtesten, die "Sphinx".

Selbst in Holland sah man jetzt die Zeit gekommen, Toorop und sein Werk erneut ins Gedächtnis zu rufen. Das Gemeentemuseum Den Haag war die erste Station dieser Schau, die im Anschluss an München im Bröhan-Museum in Berlin gezeigt wird. In der Villa Stuck sind mehr als 200 Werke in den historischen Räumen zu sehen: neben oft großformatigen Gemälden und vielen Zeichnungen auch eine ganze Reihe von Buchillustrationen und Plakaten.

Gezielt wird man zum Auftakt ins oberste Stockwerk geleitet und damit zu den Anfängen des 1858 als Kind eines Kolonialbeamten in der damaligen niederländischen Kolonie Java geborenen Künstlers. Im Alter von elf Jahren kommt er nach Europa, studiert später an den Akademien in Amsterdam und Brüssel. 1884 ist er Mitbegründer einer Künstlergruppe um James Ensor, einem Maler, dem er sich ebenso eng verbunden fühlt wie Vincent van Gogh. Ensors Werk gilt als Vorbild für Toorops mitunter beklemmende Kompositionen durchaus sozialkritischer Szenen mit traumähnlicher Atmosphäre. Zur gleichen Zeit malt Toorop aber auch die Damen in Weiß oder das "Trio fleuri", bei dessen Anblick man sich an Monet oder Manet erinnert fühlt, die er ebenfalls kennt. Und als ob diese Wendung nicht überraschend genug wäre, steht man plötzlich vor Werken, die im reinsten Pointillismus ausgeführt sind und hell strahlen, auch wenn noch immer sozialkritische Motive wie die Armut bäuerlichen Lebens eine Rolle spielen.

Im weiteren Verlauf der Ausstellung begegnet man einem Maler mit vielen Gesichtern, einem Künstler, der mehrere Künstler in sich zu vereinen scheint. Über eine impressionistische Bildsprache findet er zum Symbolismus und zum Mystizismus. Seine Handschrift verändert sich permanent, er gestaltet die Linienführung mal hart und kantig, mal weich und geschwungen. Aus dicht und parallel geführten Linienverläufen entstehen die Formen und Figuren. Er kann alles, er probiert alles, er lässt sich nicht festlegen. Als er Auftragsarbeiten bekommt für Buchillustrationen und Plakate, malt er auch die - in feinster Jugendstilmanier. Etliche der Porträts, es sind ungewöhnlich schmalformatige, lebenshohe Werke, scheinen im Widerspruch zu seiner eigenen Bildsprache zu stehen. Aber da die so vielfältig ist, fragt man sich, ob sich hier wirklich ein Widerspruch manifestiert oder eher Neugierde auf das eigenen Vermögen.

Die vielleicht faszinierendste Arbeit stammt aus dem Jahr 1892. Sie zeigt ein leuchtendes Tableau in Grün und Rosa. Im Zentrum des Bildes sitzt ein Kind in einem Kinderstühlchen. Gesicht und Arme sind mit Stift konturiert, Haar und Kleidung formen sich aus Wellen pastoser Farbaufträge. Die Wurzeln eines Baumes ohne Krone, dessen obere Äste wie hilflose Arme abstehen, scheinen das Stühlchen in der Balance zu halten. Es soll sich um den Vater handeln. In der rechten Bildhälfte (die Vergangenheit symbolisierend) sitzt ein Buddha zwischen diversen Tieren und Pflanzen. In der linken Bildhälfte - sie steht für die Zukunft - öffnet sich inmitten der grünen Waldkulisse ein Spaltbreit eine Tür. Eine schemenhaft dargestellte Frau, die verkümmernde Tulpen hält, blickt hervor. Eine Familienaufstellung von großer Symbolkraft. Ein Jahr zuvor war Tochter Charley geboren worden. Um die Ehe von Jan Toorop stand es wohl nicht zum Besten.

Ob mit Pinsel oder Stift, in Tusche oder Kreide: Toorops Suche nach Abstraktion und nach spiritueller Realität macht ihn ein Leben lang zu einem Suchenden - am Ende nach den "Hieroglyphen des inneren Friedens", die er, mittlerweile durch eine Krankheit halb gelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen, in mystischen und zunehmend religiösen Themen findet.

Jan Toorop; Museum Villa Stuck, Prinzregentenstraße 60, Di-So 11-18 Uhr; bis 29. Januar 2017

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