Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Malerei mit Spielwitz

Der Belgier Raoul De Keyser war ein großer Fußball-Fan. Das sieht man zuweilen auch den Bildern an, die gerade in der Pinakothek der Moderne gezeigt werden. Eines trägt den Titel "Robben II"

Von Jürgen Moises

Gleich zu Beginn der Ausstellung in der Pinakothek der Moderne sind mit "z.T. (Rand)" und "Robben II" das erste und das letzte Bild von Raoul De Keyser zu sehen. Das erste stammt von 1964 und wurde von dem belgischen Künstler im Alter von 34 Jahren gemalt. Es misst etwa 20 mal 30 Zentimeter, auf denen sich abstrakt, das heißt in den wesentlichen Farben Grün und Weiß, eine Art Landschaft andeutet. Das letzte ist 2012 entstanden und etwa genauso groß. Es besteht aus einer rot umrandeten grünen Fläche, auf der man schemenhaft eine weiße Linie aufscheinen sieht. Dass sich zwischen diesen beiden Werken ein großes, vielgestaltiges und immer wieder überraschendes Œuvre entfaltet, ist nicht wirklich zu erahnen. Aber wie hat es Fußballtrainer Sepp Herberger gesagt: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Und alles andere ist offen.

"Raoul De Keyser. Oeuvre" heißt relativ nüchtern die Schau, mit der die Pinakothek der Moderne 111 Werke des belgischen Künstlers präsentiert, und das durchaus prominent in insgesamt sechs Räumen. Was schon mal zeigt, welche Bedeutung man dem in Deutschland eher unbekannten, 2012 verstorbenen Maler einräumt. Tatsächlich ist Raoul De Keyser vor allem in Süddeutschland noch zu entdecken. Von einigen Sammlern, Galeristen und vor allem Künstlerkollegen in der ganzen Welt wird der Maler zwar seit Jahrzehnten hoch geschätzt. Und 1992 war er auch auf der Documenta IX mit Werken vertreten. Aber abgesehen von einigen Museums- und Galerie-Ausstellungen in Deutschland, zu der 1993 auch eine Schau in der Münchner Galerie Schöttle gehörte, blieb seine Kunst doch eher unbemerkt.

Zu Unrecht, darf man nun sagen, wenn man das beeindruckende Œuvre von Raoul De Keyser sieht, die Originalität, den Witz und die Verspieltheit, mit denen der Belgier über gut 50 Jahre hinweg die Möglichkeiten der modernen Malerei ausgelotet hat. Dass er sein letztes Bild mit Arjen Robben einem Fußballer gewidmet hat, kommt dabei nicht von ungefähr. Denn der Autodidakt, der in der Stadt Deinze in der Nähe von Gent geboren wurde und seine Kunstkarriere erst mit 34 begann, arbeitete zuvor mehrere Jahre als Sportreporter. Seine Begeisterung speziell für den Fußball zieht sich motivisch durch sein ganzes Werk. So hat er etwa 1972 mit "Netwerk III" und "Lines" zwei Bilder gemalt, die sich als ein weißes Tornetz und als eine zickzackförmige, weiße Rasenlinie auf grünem Grund interpretieren lassen.

Eine weitere Leidenschaft, die De Keysers Malerei beeinflusst hat, ist die Fotografie. Sehr schön demonstrieren das die beiden mit "Tuin" betitelten Bilder und das Gemälde "Hoek", die alle drei von 1964 stammen und motivisch zusammengehören. Das erste Bild zeigt den Blick über das Fensterbrett hinweg aus dem Atelier raus auf den Garten. Das zweite wirkt wie ein "Zoom" auf den Garten hinaus, und das dritte wie eine Nahaufnahme der Fensterbrettecke. Dadurch, dass man das letzte Motiv dank der anderen Bilder identifizieren kann, bekommt man von De Keyser gleichzeitig auch den Abstraktionsprozess schrittweise mitgeliefert. Und man kann sehen, wie er seine Motive, die fast immer aus dem direkten Umfeld stammen, weiterentwickelt oder variiert. Auch das zeichnet sein Werk im Gesamten aus.

Stilistisch dockt De Keyser dabei an verschiedenen Stellen an. Ein Bild wie "Gampelaere-omgeving", das ein Stück Stacheldraht zeigt, erinnert in seinem plakativen Farbauftrag an die Pop-Art. Auf dem Gemälde "Baron in Al Held-veld", das den Familienhund zeigt, wird dieser zur Irritation in einer Farbfeldmalerei. Bezüge zum Expressionismus und zur seriellen Malerei sind ebenfalls vorhanden. Bei der bemalten, umgehbaren Holzkonstruktion "Camping II" geht es sogar in die dritte Dimension. Und dass der Belgier in den 90ern die Leinwand teilweise auch mit dem farbigen Pinsel beworfen hat, lässt an eine Sonderform des Action Painting denken.

Gegliedert ist die aus rund 40 öffentlichen und privaten Sammlungen sowie aus dem Nachlass zusammengetragene Ausstellung chronologisch. Zusätzlich ist im ersten, einführenden Raum ein "Durchschnitt" durch De Keysers Werk zu sehen. Schon hier lässt sich die stilistische Vielfalt erkennen, die vielleicht mitverantwortlich dafür war, dass der Belgier zu keiner dominanten Figur des Kunstmarkts wurde, der dann doch eher die plakativen Handschriften bevorzugt. Dass De Keyser in der Kleinstadt Deinze in Ostflandern nicht nur geboren wurde, sondern dort auch lebte und 2012 starb, mag ein weiterer Grund für den Geheimtipp-Status sein. Dafür hat er bis in Japan und China Verehrer. Und dank dieser wunderbaren Werkschau dürfte es bald auch in München ein paar neue De-Keyser-Fans geben.

Raoul De Keyser. Œuvre; Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40, bis 8. September

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Quelle:
SZ vom 05.04.2019
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