Die Schlange war kilometerlang. Als Anfang April die Deutsche Bank dazu aufgerufen hatte, Berliner Künstler sollten je ein Bild für eine Werkschau zu Berliner Kunst in ihre neue Ausstellungshalle bringen, alles werde ausgestellt und dem besten auserwählten Künstler werde ein Stipendium zur Verfügung gestellt, da war der Andrang unerwartet groß. Die Kunst unterm Arm, standen die Berliner auf der Prachtstraße Unter den Linden stundenlang an, um ihr Bild abzuliefern. So groß war das Interesse, dass der ursprünglich geplanten Ausstellung in der neu eröffneten DB KunstHalle nun sogar eine zweite folgte.
In der "Alten Münze" am Molkenmarkt nähe Alexanderplatz wurden von Sonntagmittag bis Montagmittag die Bilder gezeigt, die in der ersten Ausstellung keinen Platz fanden, fast 1800 an der Zahl. Obwohl die Ausstellungsräume zahlreich sind, hängt hier Bild an Bild; der Besucher fühlt sich regelrecht erschlagen.
Doch es ist gerade diese Petersburger Hängung unter Federführung des renommierten Kurators René Block, die den Charme ausmacht. Hier finden sich die schlimmsten Ergüsse von Hobbymalern neben ernstzunehmender Kunst, hier paart sich der röhrende Hirsch mit dem Abschlussbild aus der Fotoklasse, hier wird das, was normalerweise im Keller hängt, einfach neben die Bilder von Künstlern platziert, die schon erfolgreich internationale Ausstellungen hinter sich gebracht haben. Das ist frech und es ist ein Armutszeugnis für den Geschmack der meisten Teilnehmenden, aber es ist sexy. Auf eine frivole Art.
Um das mal zu verdeutlichen: Diese Ausstellung, zu der eigentlich Berliner Künstler aufgerufen waren, bei der sich aber zum großen Teil Laien aufgerufen fühlten - der Andrang hat die Veranstalter selbst überrascht -, bringt Unglaubliches zutage. Sie zeigt nicht nur, womit sich zahllose Berliner in ihrer offenbar großzügig bemessenen Freizeit beschäftigen, was ihnen so lange durch den Kopf geht, dass sie es auf Leinwand bannen, und was ihnen nachhaltig wichtig ist. Sondern sie bildet auch ein Kaleidoskop des ästhetischen Unvermögens ab. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Hobbymaler hat seine Bilder in der irrigen Annahme abgegeben, sie seien gut. Wohl auch der- oder diejenige, die ein Manga-artiges Mädchenwesen mit Dolch im Po leise weinend in einem Seerosenteich versinken lässt.
So zeigt sich dem Betrachter ein Panoptikum aus Liebespaaren in Hellblau, Rehkitzen auf grünem Gras, barbusigen Pseudo-Beautys, Landschaftsmalerei ohne Hintergrund, Aktfotografie bis zum Erbrechen, Comicfiguren, die sich über nackte Frauen beugen, überdimensionierten Fanportraits in Öl, rassigen Tänzerinnen in feurigen Farben, und so mancher malt einfach ein berühmtes Kunstwerk nach, nur in schlecht, bildet sein Traumauto ab oder fotografiert seine Freundin.
Wer aber sucht und sich von dem schreiend bunten Kitsch in den übelsten Ausprägungen nicht abhalten lässt, der findet mittenmang ein paar echte Perlen. Feinsinnige Fotografie, politische Statements zum Zustand von Kunst und Gesellschaft, überzeugende Malerei, und auch in so manchem Laienbild ist echtes Talent zu entdecken. Die Ausstellung reiht alles aneinander, es geht drunter und drüber, sie bewertet nicht. Was gut und was schlecht ist, darf der Besucher selbst herausfinden, und es ist echte Arbeit, weil es so erdrückend viel ist, und vieles auch schreiend komisch.
Christos Installation "Big Air Package":Aufgeblasene Kunst
Weiße Stoffbahnen im wuchtigen Industriedenkmal. Typisch Christo eben, alles braucht eine Hülle. Nur ist die Hülle, das "Big Air Package", diesmal im Gasometer in Oberhausen. Christos erster Besuch in der Ruhr-Stadt ist es nicht.
Trotzdem liefen von Sonntagmittag bis Montagmittag genau 24 Stunden lang rund 6000 Besucher staunenden Blicks durch die Ausstellung und mussten - wie eingangs die Künstler - Schlange stehen, weil auch hier der Andrang so groß war. Teilweise sah man die Bilder vor lauter Besuchern nicht - und selbst nachts um zwei Uhr irrten Gäste durch die Räumlichkeiten.
Den Ausstellungsmachern ist damit ein Coup gelungen. Ästhetisch fragwürdig, aber soziologisch höchst interessant, für viele Besucher und auch viele Teilnehmer obendrauf ein großer Spaß.
Denn es sind ja nicht nur Familienangehörige und Freunde, die hier Opas Bild hängen sehen wollen, sondern auch unzählige Berliner, die wissen wollen, was ihre Mitmenschen umtreibt, ob der Künstler von nebenan auch dabei ist, was sich der Laie unter Kunst vorstellt und ob nicht diese doch die bessere, weil zugänglichere Kunst sei als die, die normalerweise im Museum hängt. Rund 30.000 Bild-Künstler soll es mittlerweile in Berlin geben, die von ihren Bildern gerne leben würden, und es kommen Jahr für Jahr immer mehr hinzu - auf der Suche nach der Inspiration und mit dem Traum von Unabhängigkeit und Künstlerglück. "Jeder Mensch ist ein Künstler", gab Joseph Beuys einst die Parole aus - hier zeigt sich, dass das doch nicht ganz richtig sein kann.
So viele Menschen allerdings in so kurzer Zeit für - wie auch immer geartete - Kunst zu begeistern und zu mobilisieren, ist eine Seltenheit. Und die Laienkünstler, die als Hauptgewinne von einem Stipendium träumen dürfen, können sich ein bisschen fühlen wie bei einer Castingshow: Die anderen kochen auch nur mit Wasser - und man könnte ja das Glück haben, unschlagbar zu sein. Die Deutsche Bank sucht den Berliner Superkünstler - nur auf Dieter Bohlen wird dabei gottseidank verzichtet.
Wohl mit dieser Möhre vor der Nase, und weil sich die Chance auf 24 Stunden vermeintlichen Ruhms und einen Ausstellungsplatz manchen ansonsten niemals böte, haben so viele Künstler und Laien ihre Bilder abgegeben - und damit den zahlreichen Galerien und teils hochdotierten Künstlern am Galerienwochenende in Berlin, das parallel dazu am Samstag und Sonntag lief, glatt den Rang abgelaufen.
Soviel Aufmerksamkeit für eine Eintagsfliege - zumindest in quantitativer Hinsicht ist das Experiment geglückt. Und ganz nebenbei der Bank ein PR-Gag erstaunlichen Ausmaßes gelungen, die mit der Aktion eigentlich nur ihre neue Ausstellungshalle bewerben wollte.