Ausstellung: Larry Sultan:Subtiler Horror

Amerikanische Vorstädte dienen weltweit als Symbol für den trügerischen Wohlstand aus Langeweile und Angst. Fotograf Larry Sultan inszenierte darin Porno-Kulissen, Intimität - und seine Eltern.

Till Briegleb

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Larry Sultan - Bilder der Ausstellung

Quelle: The Estate of Larry Sultan, Courtesy Galerie Thomas Zander, Köln

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Amerikanische Vorstädte dienen weltweit als Symbol für den trügerischen Wohlstand aus Langeweile und Angst. Fotograf Larry Sultan inszeniert darin Porno-Kulissen, Intimität - und seine Eltern. Die Bilder

Die amerikanischen Vorstädte sind ein außerordentlich dressiertes Bild geworden. Comedy- und Horrorfilme benutzen die Holzhauskulisse mit Vorgarten und Satteldach als Potemkinsches Dorf der amerikanischen Moral, das dann von sexuellen Begierden, beißendem Spott oder blutigen Messern attackiert wird. Luftaufnahmen der säuberlich sortierten Serienarchitektur mit Pool und Carport dienen in Büchern der Illustration kommerzieller Gleichschaltung. Und die Kultur dieser Siedlungen, die auf Barbecue, Malls und Garagenverkauf reduziert wird, steht weltweit als Symbol für den trügerischen Wohlstand aus Langeweile und Angst.

Text: Till Briegleb/ SZ vom 18.8.2010/sueddeutsche.de/kar/rus

Larry Sultan - Bilder der Ausstellung

Quelle: © The Estate of Larry Sultan Courtesy Galerie Thomas Zander, Köln

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Doch diese Festung falscher Normalität hat inzwischen auch ihre Fürsprecher, denn mehrere Generationen Nachkriegsjugend haben aus dieser Welt ihre Kindheitserinnerungen und betrachten sie nicht nur mit Hass und Häme, sondern auch als Heimat. Larry Sultan hat diesen Zwiespalt in den drei großen Fotoserien, die sein Lebenswerk als Kunstfotograf ausmachen, und die jetzt in der Kestner-Gesellschaft in Hannover das erste Mal in Deutschland zusammen ausgestellt sind, zu einem Opus verdichtet, das gerade in der Beobachtung des Bigotten seine Zuneigung beweist. In Sultans großformatigen Bildern aus dem Kalifornien der Palmen, Shorts und Rasensprenganlagen verdient sich der Suburb sowohl Heimweh wie Spott.

Larry Sultan - Bilder der Ausstellung

Quelle: © The Estate of Larry Sultan, Courtesy Galerie Thomas Zander, Köln

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Ein wenig berühmt wurde Sultan, der letzten Dezember 63-jährig einem Krebsleiden erlag, durch seine Serie "The Valley", weil es darin um Pornographie geht. Zahlreiche Zahnärzte, Rechtsanwälte und andere Gutverdiener, die ihre Häuser in dem üppigen San Fernando Valley von Los Angeles haben, wo auch Larry Sultan aufgewachsen ist, vermieten in Abwesenheit ihre Domizile an Sexfilm-Produzenten. Sultan hatte nun über mehrere Jahre diese Sünden auf Zeit als künstlerischer Set-Fotograf begleitet, der die Wahrheit nicht im Zentrum der Stoßarbeit, sondern an deren Rändern suchte. Wie ein stiller Hausgeist verfolgte er mit seiner Kamera vor allem die Penetration der Atmosphäre durch die neue Nutzung.

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Quelle: The Estate of Larry Sultan, Courtesy Galerie Thomas Zander, Köln

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Sultans Konzentration auf die Erschöpfungspausen, das Mobiliar und die beiläufigen Momente dieser Pornodrehs nimmt dem vermeintlich skandalösen Stoff jede Öligkeit und entdeckt dabei viel Gemeinsames. Denn die Sexarbeiter wirken in dem Protz aus weißen Flügeln, blauen Pools und Plüschtierregalen bei aller Nacktheit doch nur wie eine andere Giraffenfamilie. Die fetten goldenen Ketten der dösenden Sex-Schauspieler korrespondieren ebenso perfekt mit den goldenen Prunkrahmen an der Wand wie die bunten Tatoos der Filmassistenten mit den billigen Kunstdrucken darin. Kitsch als Ornament des Wohlstands schafft eine passende Kulisse für den operativen Gleichklang von Anal, Oral, Vaginal, den der Fotograf hier mit subtilem Humor porträtiert. Fünf Frauen beim Sexturnen wirken da genauso absurd wie die Bilder von Bach und Wagner an der Wand.

Larry Sultan - Bilder der Ausstellung

Quelle: The Estate of Larry Sultan, Courtesy Galerie Thomas Zander, Köln

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Das Geborgensein im Geheimen, das Sultan als Kind gerade in den verwaisten und unwirtlichen Ecken seiner Siedlung fand, hat sich zu einem Motiv seiner Arbeit entwickelt, das sich auch in diesen unprätentiösen Beobachtungen an Porno-Sets erfüllt. In der Mischung aus Vertrautheit und Voyeurismus gärt eine Sehnsucht nach dem Fremden, die aber immer geschützt bleiben will in einem Gefühl von Heimat. Doch das Heimatland ist Niemandsland. Die Sehnsucht nach der Vergangenheit verliert immer wieder ihre Unschuld.

Larry Sultan

Quelle: © The Estate of Larry Sultan, Courtesy Galerie Thomas Zander, Köln

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Diese Spannung, die vermutlich die Intimität von Sultans Bildern ausmacht, bestimmt auch sein zweites großes Projekt, die Inszenierung seiner Eltern als klassische Mittelstandsehe. Als "melancholischer Einbrecher" in seine Kindheit hat Sultan über viele Jahre undramatische und stilisierte Szenen als distanzierte Liebeserklärungen fotografiert. In halbwegs glücklicher Langeweile bei günstigen klimatischen Bedingungen lebten die beiden Alten mit Golfschläger, Grillhandschuh und Palmolive wie die Erfüllung des goldenen Herbstes in L.A.

Larry Sultan - Bilder der Ausstellung

Quelle: The Estate of Larry Sultan, Courtesy Galerie Thomas Zander, Köln

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Doch Sultans Verbundenheit mit ihrem Milieu lässt kleine Beobachtungen sich einnisten, die aus einem Erlebnisstandard eine persönliche Erinnerung und letztlich eine Identität machen. Die sorgenvollen Falten seiner Mutter wie die stets ernste Miene seines Vaters, die Distanz zwischen Garten, wo er Unkraut rupft, und Küche, wo sie sich um den Truthahn kümmert, aber auch ihre inszenierten Posen als geschminktes Model oder seine beim Golfschwung im Wohnzimmer verdichten sich zu einer sehr intimen Erzählung.

Larry Sultan - Bilder der Ausstellung

Quelle: © The Estate of Larry Sultan, Courtesy Galerie Thomas Zander, Köln

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Schließlich hat Sultan, der hauptberuflich Fotostrecken für Vanity Fair, Wallpaper und andere Hochglanzmagazine produziert hat, in den letzten Jahren seines Lebens mexikanische Tagelöhner dafür bezahlt, dass sie seine Landschaftsfotografie verstören. In den fast romantischen Bildern von Flusslandschaften, Hügeln und eben wieder perfekten Suburbs stehen die fremden Menschen in ihren leuchtenden Armutsklamotten verlegen herum oder hantieren mit unerklärlichen Gegenständen. Die Sterilität der aufgeräumten Siedlungsidylle und die Traurigkeit der Eindringlinge ergeben auch hier die typische Ambivalenz aus Sicherheit und Störung, die Larry Sultan so subtil komponierte - und durch die er zu einem großen Fotoromancier der Vorstadt wurde.

Kestner-Gesellschaft Hannover, noch bis zum 22. August. Katalog mit zahlreichen zusätzlichen Abbildungen im Steidl Verlag, 134 Seiten, 48 Euro.

© SZ vom 18.8.2010/kar
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