Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Künstlervereinigung

Die Sammlung Gerlinger gilt als größtes Privatarchiv der "Brücke"-Maler. Jetzt ist sie als langfristige Leihgabe im Bernrieder Buchheim-Museum zu sehen - ein unheimlicher Glücksfall

Von Sabine Reithmaier

Du und Ich" hat Karl Schmidt-Rottluff das Gemälde genannt. Ein Paar, einander zugewandt, der Mann fasst mit einer scheuen Geste nach den Händen der Frau - "das Äußerste an Offenlegung von Zuneigung, die für den verschlossenen Maler darstellbar war", sagt Hermann Gerlinger. 1919 hatte Schmidt-Rottluff dieses Bild seiner Frau Emy Frisch zur Hochzeit geschenkt, weshalb der Würzburger Kunstsammler, der das Gemälde 1975 in der Wohnung des Malers entdeckte, anfangs wenig Hoffnung hatte, es zu erwerben. Aber plötzlich kam ein Brief: "Wenn Sie noch an dem Bild interessiert sind, ist es für Sie reserviert." Gerlinger setzte sich sofort ins Auto, durchquerte die DDR und holte das Bild. "Das war das letzte Mal, das ich Schmidt-Rottluff lebend gesehen haben", sagt er. Wenige Monate später starb der Maler. Die Erinnerung an diesen Abschied überwältigt den alten Herrn noch immer.

"Ich fühle mich hier gut aufgenommen", sagt Hermann Gerlinger

Der weltberühmte "Brücke"-Maler hätte ihm das Bild wohl kaum überlassen, wenn er Gerlinger nicht schon viele Jahre gekannt hätte. "Er stand meiner Sammelleidenschaft wohlwollend gegenüber, was selten bei ihm war. Einfach hingehen und ein Bild kaufen, das funktionierte bei ihm gar nicht." Gerlinger musste sich langsam herantasten. "Aber auf irgendeine Weise habe ich sein Vertrauen gewonnen und er verkaufte mir Werke, die er für sich reserviert hatte und die in seinem persönlichen Umfeld entstanden sind."

Jetzt hängt das Gemälde im Bernrieder Buchheim-Museum, gemeinsam mit vielen anderen aus der Sammlung Gerlinger, der größten Privatsammlung zum Thema "Brücke". Und es ist erstaunlich und ein unheimlicher Glücksfall für das Buchheim-Museum, wie schnell es dessen Leiter Daniel J. Schreiber gelungen ist, das Vertrauen des 86 Jahre alten Kunstsammlers zu gewinnen. "Ich fühle mich hier gut aufgenommen", sagte Gerlinger. Der Geist des Hauses, die großartigen Räume und natürlich die Sammlung Buchheim, die die seine hervorragend ergänze, habe ihn bewogen, dieses Museum zunächst für zehn Jahre, aber vielleicht auch als "hoffentlich endgültige Heimstatt" für seine Sammlung zu wählen. Bis 2016 stand letztere der Stiftung Moritzburg in Halle (Saale) als Dauerleihgabe zur Verfügung. Doch als dort eine der Leihgaben verloren ging, nutzte Gerlinger eine Ausstiegsklausel im Dauerleihvertrag, suchte nach neuen Möglichkeiten und wählte schließlich das Museum der Phantasie am Starnberger See.

Seine immer noch wachsende Sammlung umfasst knapp 1100 Werke der "Brücke"-Maler, darunter 43 Gemälde. Das Buchheim-Museum besitzt 33 Gemälde und 700 Grafiken der "Brücke"-Künstler, die Sammlung insgesamt ist natürlich größer. Die beiden Sammler verfolgten unterschiedliche Konzepte. Buchheim beschränkte sich auf die Hauptzeit der Künstlervereinigung von 1905 bis in die Zwanzigerjahre. Gerlinger, der als Student in München zu sammeln begann, konzentriert sich ausschließlich auf die Maler der Brücke, begnügt sich nicht nur mit den berühmten Gründern, sondern nahm auch später beigetretene Künstler wie Emil Nolde, Max Pechstein, Cuno Amiet oder Otto Mueller mit größeren Werkkomplexen auf und schaffte es dadurch, dass inzwischen auch das Früh- und Spätwerk der Brücke-Maler wissenschaftlich gewürdigt wurde.

Die erste Ausstellung mit dem symbolträchtigen Titel "Brückenschlag" zielt darauf ab, die Korrespondenzen zwischen den Sammlungen zu zeigen. Wer durch die frei im Raum stehenden Stellwände wandert, entdeckt ständig neue Konstellationen. Erich Heckels "Schlafender Pechstein" korrespondiert mit der neuen "Sitzenden im Grünen", beide 1910. Schmidt-Rottluffs kubistisch angehauchte "Lesende (Else Lasker-Schüler)" (1912) plaudert mit einem "Mädchenbildnis" (1915), das Emy Frisch zeigt. Und im Hintergrund leuchtet Ernst Ludwig Kirchners "Akt auf blauem Grund".

Gerlinger bleibt vor Erich Heckels "Zwei Männer" (1919) stehen. Zwei männliche Akte vor einer Landschaft, das ist an sich schon ungewöhnlich. Der gelbe links ist Heckel selbst. Der andere könnte der Kunsthistoriker Walter Kaesbach sein, ein Freund des Malers. Auch dieses Gemälde war eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, doch Siddi Heckel, die Witwe des Malers, vertraute es Gerlinger an. Und der ist sich sicher: "Genau diese Nähe macht doch die besondere Würde meiner Sammlung aus."

Brückenschlag. Gerlinger + Buchheim, bis 25. Februar, Buchheim Museum Bernried; Auftaktführung mit Hermann Gerlinger, Wolfgang Henze, Daniel J. Schreiber am Sonntag, 29. Oktober, 11 Uhr

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Quelle:
SZ vom 28.10.2017
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