Still, unaufdringlich und ungeheuer ästhetisch - das ist der erste Eindruck, den die Ausstellung "High & Slow" hinterlässt. In ihrer schwarz-weißen Schlichtheit passen die Werke von Hana Usui und Thilo Westermann gut in das Kunsthaus Kaufbeuren, dessen graue Betonwände nicht leicht zu bespielen sind. Kurator Jan T. Wilms ist es scheinbar spielerisch gelungen, zwei ganz unterschiedliche künstlerische Positionen in einen selbstverständlich anmutenden Dialog zu bringen.
Gemeinsamkeiten zwischen der Japanerin und dem Oberpfälzer gibt es durchaus: Beide verzichten auf Farbe, beide haben ihre jeweilige Technik unendlich verfeinert, der schöpferische Prozess erfordert bei beiden viel Zeit. Letztere sollte auch der Betrachter mitbringen, um die verschiedenen Bedeutungsebenen zu entschlüsseln.
Westermann widmet sich Blumenstillleben, malt ganz in der Tradition dieses Genres Rosen, Lilien, Orchideen und Päonien auf Hinterglas. Die hyperrealistischen Blüten arrangiert er in glitzernden Vasen, die in einem dunklen, undefinierbaren Raum schweben, sich darin spiegeln, gerade so als würden sie auf einer polierten Oberfläche stehen. Die perfekten kleinen Kompositionen - kein Bild ist größer als 30 Zentimeter - entstehen in einem langwierigen Prozess: Wochenlang setzt Westermann winzige schwarze Punkte von hinten auf eine Glasrückseite. Oder er kratzt in den neueren Bildern noch feinere Punkte aus der zuvor geschwärzten Glasscheibe heraus. Jeder Punkt hat, weil per Hand gesetzt, eine eigene Form. Aber nur wer ganz dicht an die Bilder herangeht - eine Lupe wäre praktisch - erkennt die Rasterung.
Wirklich sichtbar wird der Schöpfungsprozess erst in den Vergrößerungen. Seit einigen Jahren lässt Westermann von jedem Hinterglasbild einen Unikatdruck in sechsfacher Vergrößerung fertigen. Plötzlich zerfällt das Motiv wieder in seine Einzelpunkte, das Handwerk wird sichtbar, mancher "Fehler" auch. Die Illusion vom perfekten Bild zerbröselt.
Beide fanden ihre technischen Ursprünge in der asiatischen Tuschemalerei
Der 1980 in Weiden geborene Westermann, der parallel zur Nürnberger Kunstakademie Kunstgeschichte und Medienphilosophie studierte und seine Doktorarbeit über "Die Rezeption der Pan-Mythologie" schrieb, hat sich intensiv mit asiatischen Bildtraditionen auseinandergesetzt, ein Jahr lang chinesische Tuschemalerei in Singapur gelernt. Auch das ist ein Berührungspunkt mit der Kunst Hana Usuis. Bevor die 1974 in Tokio geborene Künstlerin vor 16 Jahren nach Europa zog, widmete sie sich zwei Jahrzehnte lang dem Studium der Kalligrafie. Bereits in ihrer Heimat löste sie sich vom strengen Regelwerk, entwickelte eine abstrakte Spielart dieser Kunst, die durchaus Parallelen zum europäischen Informel hat. Die Buchstaben sind verschwunden, geblieben sind die traditionellen Materialien wie Japanpapier und selbst hergestellte Tusche. Sie zeichnet allerdings nicht mit dem Pinsel, sondern mit dem Schraubenzieher, den sie indes wie einen Pinsel zu handhaben weiß. Neben ihrer Tusche verwendet sie auch Ölfarbe.
Geblieben ist ihr vom jahrelangen Kalligrafie-Training wohl auch der innere Rhythmus, mit dem sie klar, konzentriert und meditativ ihre Bilder zeichnet. Inspirieren lässt sie sich von der Natur, von Pflanzen und Tieren, Wachstums- und Verfallsprozessen. Ihre Arbeiten erschöpfen sich aber keinesfalls im Lyrischen. Hintergründig ist die neunteilige Arbeit "Haare", Linienbündel, die fallen oder sich verdrehen und durch die zwei Lagen Papier dreidimensional wirken. Haarausfall ist auch eine Folge nuklearer Verstrahlung. 2015 jährten sich die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zum 70. Mal. Hana Usui erinnert an das japanische Trauma mit ihrer Werkgruppe "Schwarzer Regen". Und "Pumpkin" ist nur vordergründig ein simpler Kürbis aus Linien; so nannten die Amerikaner die Bomben, mit denen sie im Vorfeld des Atombombenabwurfs übten. Neben solch beziehungsreichen Tiefe ist es aber auch ein ästhetischer Genuss, zu sehen wie sie mit Strichen Räume schafft und diese wieder aufbricht. Kurz wie sie Geschichten erzählt.
High & Slow , Hana Usui / Thilo Westermann, bis 11.12., Kunsthaus Kaufbeuren