Ausstellung: Krieg und Medizin:Ein Mann gießt sich selbst eine Nase

Diese Ausstellung zeigt das Böseste und das Beste, wozu Menschen fähig sind: Wie die Medizin im Krieg zum Helfershelfer wird. Die Bilder .

B. Müller

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Krieg und Medizin: Wer diesen Titel der Ausstellung im Dresdner Hygienemuseum liest, spürt sofort, dass es sich da um ein starkes und schwieriges "Und" handelt, kein "+", sondern ein "&". Gleichberechtigte Partner sind sie jedenfalls nicht, der Krieg hat Vortritt nicht nur aus rhythmischen Gründen. Sobald die Medizin sich mit ihm einlässt, unterliegt sie seinen Gesetzen, keinesfalls umgekehrt. Sollte sie, die doch heilen und nicht töten soll, es dann überhaupt tun? Tut sie es nicht, kommen die Opfer in noch größerer Zahl und noch jämmerlicher um. Tut sie es aber, ist sie schon zu seiner Komplizin geworden.

Eine Regelung der Genfer Konvention sieht vor, dass Bajonette mit einer Blutablaufrinne zu versehen sind; denn bei Stichwunden im Bauchraum führt eine innere Blutung, die nicht nach draußen kann, mit höherer Wahrscheinlichkeit zum Tod. Doch wer sich für die Blutablaufrinne einsetzt, muss zuvor das Prinzip des Bauchaufschlitzens bejaht haben. Er handelt auf humane Weise inhuman oder auf inhumane Weise human, da lässt sich streiten. (Ganz ähnliche Überlegungen konnte man dieser Tage auch hören, als es um die Rolle der Medizin bei den Folterungen in Guantanamo ging.)

Text: Burkhard Müller/SZ vom 14.04.09/irup

Foto: Portrait des US-Soldaten Bryan Anderson; Bryan Anderson wurde im Oktober 2005 durch eine Bombe schwer verletzt. Er verlor zwei Beine, einen Unterarm, eine Hand und drei Fingerspitzen./Foto: © Christopher Griffith

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Kaum erstaunlich, bekam es die Ausstellung, die von der britischen Wellcome-Stiftung unterstützt wird und in etwas schmalerer Form zuvor schon in London zu sehen war, bereits vor dem Beginn mit den zwei spiegelbildlichen Vorwürfen zu tun, sie treibe pazifistische Agitation und sie akzeptiere den Krieg als anthropologische Grundtatsache. Der Sprecher des Museums war bei der Pressekonferenz gut beraten, auf entsprechende Anfragen zu erwidern: Das Konzept enthalte sich des Urteils, jeder Besucher sei aufgerufen, selber zu schauen und dann zu entscheiden, was er aus dem Gesehenen folgern wolle.

Drei Abteilungen hat die Ausstellung mit ihren 480 Exponaten: Der Apparat - Der Körper - Die Psyche. Am wenigsten sieht man natürlich von der Psyche; hier wird man aufs Hören von Interviews und das Lesen von Lebensgeschichten verwiesen. Die Entstehung des Apparats wird im Wesentlichen ab dem Krimkrieg verfolgt, dem ersten Krieg, dem die Medien im Genick saßen. Florence Nightingale, berühmt als der Engel dieses Krieges, gelang es, tiefgreifende medizinische Reformen im britischen Heer durchzusetzen, indem sie in anschaulichen Graphiken darlegte, dass weit mehr Soldaten an Krankheiten wie Cholera und Typhus starben als an den Kampfhandlungen. Das Mitleid obsiegte dank kriegstechnischen Argumentierens.

Foto: Kampagne "Kriegsbeute", 2005/Foto: © Agentur kakoii Berlin. Fotos: Alexander Kohout. Courtesy medica mondiale

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Auch am Sieg Preußens über Frankreich hatte das bessere preußische Sanitätswesen seinen Anteil. Die französischen Generäle nahmen es zur Kenntnis und lernten. Als der Erste Weltkrieg begann, waren alle optimal vorbereitet. Eine Überraschung erlebten sie trotzdem.

Hier nun hat der zweite Teil der Ausstellung - Der Körper - sein eindrückliches Zentrum. Eine verblüffte Medizin erfuhr eigentlich erst jetzt (wie ein zeitgenössischer Arzt es ausdrückte), an wie vielen Stellen der menschliche Leib getroffen werden kann. Die Zustände des Grabenkriegs, in dem neuartige Waffen wie Maschinengewehre, Handgranaten und Gas zum Einsatz kamen, die Soldaten aber doch mit dem Kopf aus ihrem Erdloch hervorkommen mussten, um sie abzufeuern, bewirkten, dass vor allem die grässlichsten, entstellendsten Verwundungen massenhaft auftraten, die des Gesichts nämlich.

Foto: Gesichtsprothese aus bemaltem Blech, 1918/Foto: Gillies Archives, Queen Mary's Hospital, Sidcup UK

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Man begreift einfach nicht, wie Menschen so etwas widerfahren konnte und sie trotzdem noch am Leben waren, Jahre später. Solchen Bildern standzuhalten, verlangt dem Besucher einiges ab. Die äußerste verstörende Schärfe und Brutalität ist ihnen gleichwohl genommen. Denn sie erscheinen eben nicht mehr unter dem Aspekt der rasenden wahllosen Zerfetzung, sondern insofern sie bereits medizinisches Objekt geworden sind. Das wüste Chaos aller dieser abgerissenen Nasen und Kiefer, über denen schmerz- und schamerfüllt noch ein einziges Auge wacht, ist zum konstruktiven Problem gewandelt, es hat irgendwie Fasson bekommen. Fotografie und Film (die nicht ausgespart werden) treten zurück hinter vermittelnden Darstellungsformen, bevorzugt der "Moulage", dem zu Lehrzwecken gefertigten Wachsabguss, und dem medizinischen Aquarell.

Besonders vor diesem stellt sich, fast wider Willen, eine Hochachtung ein, die auf den rechten Namen erst noch zu taufen wäre. Sie geht hinaus über alles, was man vor einem eigentlichen Kunstwerk empfindet; ja man sieht an den gleichfalls hier ausgestellten Blättern von George Grosz, Otto Dix und anderen, wie die Kunst vor diesem Gegenstand zu satirischer Enge und mattem Abklatsch resignieren muss.

Foto: Portrait von William Young, Henry Burland und John Connery, verwundet im Krimkrieg, um 1855/Foto: Robert Howlett und Joseph Cundall, im Auftrag von Queen Victoria, © Ihre Majestät Queen Elizabeth II. Courtesy the Royal Collection

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Solche Kunst klagt an; aber der Anklage fehlt es an Präzision. Die findet man im Aquarell von einer ausgebrannten Augenhöhle, wo beides festgehalten ist: die bestialische Gewalt wie die entsetzliche Empfindlichkeit der so entstandenen rosaroten Höhlungsfläche. Das Wasserfarbenbild erlegt sich zarte Kälte auf, weil es weiß, dass allein daraus die konkrete Hilfe einer lehrbaren Chirurgie erwachsen kann. Das Böseste und das Beste, wozu Menschen fähig sind, ist hier zugleich Anschauung geworden, das "&"-Zeichen zu einem untrennbaren Knoten geschlungen, in einer Eindringlichkeit, der ich nichts, was ich je sonst gesehen habe, zur Seite zu stellen wüsste. Allein schon um dieser Bilder willen lohnt sich der Weg nach Dresden.

Die begleitenden Lebensdokumente sind von bestürzender Traurigkeit. Eine Fibel mit dem schwer glaublichen Titel "Das Pediskript" belehrt den Invaliden, wie man sich mit den Füßen die Zähne putzen und selbst ein Gewehr handhaben kann. Ein Metallgebilde ist ausgestellt, dem man seinen Zweck zunächst beim besten Willen nicht ansieht. Dann lässt man sich informieren: Um eine Gussform für eine Nase handelt es sich, der betreffende Nasenlose hatte sie jeden Morgen aus einer Gelatine-Glyzerin-Verbindung neu zu gießen und sich ins Gesicht zu setzen wie eine Brille. Man stelle sich die Szene in der Wohnküche vor; und auch, wie die Nase am Abend aussah.

Foto: Kinderzeichnungen aus Afghanistan, 2006-2007/Foto: Prof. Catherine Panter-Brick, Durham University, Well-come Library, London

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Die Ausstellung erspart sich die Gegenwart nicht. Der Krieg hat sein Gesicht geändert und geht nicht mehr nebenbei, sondern hauptsächlich auf jene Personen los, die einmal Zivilisten hießen. Sachlich hält der Katalog fest, dass die Wahrscheinlichkeit, kriegsbedingten Schaden zu nehmen, heute für die Soldaten im engeren Sinn relativ am geringsten sei. Trifft es sie doch, wie die Amerikaner im Irak, so dürfen sie einer höchst komplexen Prothese-Technik sicher sein, die ihnen daheim auf den verstümmelten Leib geschneidert wird. Eine solche Prothese auszustellen, kann sich das Museum vermutlich aus Kostengründen gar nicht leisten; das Lichtbild des betreffenden Soldaten - zwei künstliche Beine, ein künstlicher halber Arm, ein Lächeln - muss genügen.

Immerhin langt es für ein Original des vergleichsweise billigen Puppenbeins, das einem Iraker im gleichen Fall bewilligt wird (wenn er Glück hat). Auf einem Gruppenfoto lässt sich die "AABR&R" verewigen, das heißt "Afghan Amputee Bicyclists for Rehabilitation & Recreation". Man sieht die Beinlosen, wie sie auf ihren Fahrrädern sitzen, voll Hoffnung, dass man sie demnächst als Kuriere brauchen wird, und so übers ganze Gesicht in die Welt hinaus strahlen, dass man heulen möchte.

Foto: David Cotterrell: Künstlertagebuch, J4MED, Op Herrick 7, 3.11.07-26.11.07/Foto: © David Cotterrell, 2009

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Wenn man gegen die Ausstellung eines einwenden könnte, dann ihre gewissermaßen natürliche Schlagseite zugunsten der nachbereitenden Medizin. Schmerzhaft sinnliche Präsenz gewinnen die Verletzungen und die Versuche, ihnen abzuhelfen. Insofern Medizin den Krieg jedoch vorzubereiten und unterstützend zu begleiten hat, lässt sie nur schwächere Bilder zu, wie es bei bürokratischen und organisatorischen Entitäten eben der Fall zu sein pflegt. Was sich zeigen lässt, ist das sachkundige Anlegen eines Verbands; unsichtbar bleibt, dass man den Soldaten dank dieser Sachkunde vier Wochen später schon wieder ins Feuer schicken kann. Es war darum ein kluger Einfall, Bildern von der Rekruten-Musterung eine besondere Stellung anzuweisen, Fotos und Filmstreifen aus hundert Jahren und von verschiedenen Armeen: Wie hier die nackten Körper als Rohstoff behandelt und ihre Besitzer sozusagen industriell gedemütigt werden, um sie auf die radikal andere Welt des Kriegs einzustimmen : das gehört zu den anschaulichsten Seiten des "Apparats".

Foto: Ausladung Verwundeter aus dem Vereins-Lazarettzug L in Heidelberg, 1914-1918/Foto: Universitäts- und Landesbibliothek Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

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Der Begleittext fällt hinter solche Einsicht zurück; er spricht vom "Dilemma" des Musterungsarztes in Kriegszeiten zwischen patriotischer Pflicht und Sorge für das Individuum. Das heißt die ethischen Implikationen der Musterungsmedizin dann doch etwas zu flach angehen. Da müsste man schon tiefer bohren und käme wohl beim Gewaltcharakter des Staates heraus, seiner Gewaltkonkurrenz im Umgang mit seinesgleichen einerseits, andererseits seiner absoluten Verfügungsgewalt über die eigenen Bürger, die er zwingen kann, zu töten und sich töten zu lassen, Wunden zu erleiden wie zu heilen. Es so zu betrachten, öffnet den Weg zu einer genaueren Bestimmung jenes "Und" zwischen den beiden Substantiven: Der Krieg ist dem Staat Mittel und die Medizin Mittel zum Mittel. Diesen Schluss zu ziehen, überlässt die Ausstellung freilich, wie gesagt, jedem ihrer Besucher selbst.

Krieg und Medizin, Deutsches Hygiene-Museum Dresden, bis 9. August. Weitere Informationen: www.dhmd.de

Foto: Alonso Earl Forringer: The Greatest Mother in the World, 1918; bekanntes Plakat aus dem Ersten Weltkrieg /Foto: Collection Imperial War Museum/British Red Cross Society

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