Ausstellung:Kollektive Geistesübungen

Die Freimaurer waren schon immer Ziel aberwitziger Verschwörungstheorien. Nun beleuchtet eine Schau in Wien die Geschichte der Bruderschaft - und stellt ihre Gegner bloß.

Von Rudolf Neumaier

Das Internet-Organ kath.net hat Ende Juni eine Enthüllung über die Freimaurer ins Netz gestellt. Zusammenfassung: Die Freimaurer sind eine Sekte mit satanistischen Tendenzen. Sie mischten in der Französischen Revolution mit, auch im Ersten Weltkrieg hatten sie ihre Finger im Spiel und verhalfen Lenin zum Erfolg. Sie streben die Weltherrschaft an, sonst gäbe es die guten alten Monarchien noch. Urheber des Beitrages ist ein gewisser Michael Hesemann. Dieser Mann schrieb früher Bücher über Ufos.

Freimaurer, Ufos, Satan - großartige Themen für Menschen, die professionell fantasieren. Anders als die Ufos stehen die Freimaurer und Satan auf der Abschussliste des Vatikans. Der Kardinalpatron des Malteserordens sagte im Januar, Papst Franziskus lege Wert darauf, die Freimaurerei in jenem Orden zu bekämpfen. Die Freimaurer waren schon immer Gegenstand aberwitziger Verschwörungstheorien. Dass sie das dank frommer Katholiken heute noch sind, ist ein wahrer Segen für sie: Eine bessere Werbung gibt's nicht. Der Fachbegriff für die Gegnerschaft lautet "Antimasonismus".

Der Kulturwissenschaftler Christian Rapp leuchtet mit der Ausstellung "300 Jahre Freimaurer" in der Wiener Nationalbibliothek die Geschichte der Bruderschaft aus und stellt ihre Gegner bloß. Der Untertitel "Das wahre Geheimnis" ist als Augenzwinkern in alle Richtungen zu verstehen. Ein Geheimbund sei die Vereinigung keineswegs, heißt es im Ausstellungskatalog, sondern lediglich eine "diskrete Gesellschaft". Das Arkane wird ihr im wahrsten Sinne des Wortes angedichtet, von Schriftstellern wie Dan Brown und von katholischen Verschwörungsfantasten. "Es gibt kaum eine Bewegung, deren Regeln und Rituale so häufig öffentlich enthüllt worden sind", schreibt Rapp.

Die Freimaurer versprechen bei ihrer Aufnahme Verschwiegenheit, ihre Treffen finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, und ihre Rituale gleichen Kulthandlungen. Man könnte daher ins dämonisierende Raunen der Gegner einstimmen, nicht erst die Nationalsozialisten hielten die Freimaurerei für eine Verschwörung und verboten sie. Man könnte das Ganze aber auch als esoterischen Trip männlicher Selbsterfahrungsgruppen abhaken. "Die Freimaurerei ist eine diesseitige Lebenskunst der Selbstvervollkommnung", verkündet Georg Semler, Großmeister der Großloge von Österreich, in seinem Geleitwort zur Ausstellung. Freimaurer seien bestrebt, zum Wohl der Menschheit an sich zu arbeiten.

Lessing, Goethe, Haydn, Mozart, George Washington, Churchill, Chagall - alle waren Freimaurer

Immerhin verweist Semler auch darauf, dass Freimaurer "auf Basis humanistischer Grundwerte die Entwicklung der neuzeitlichen Gesellschaft prägend mitgestaltet" hätten. Woher dieses Selbstbewusstsein rührt, wird bei einem Blick auf die Galerie berühmter Brüder offensichtlich: Benjamin Franklin, Lessing, Goethe, Haydn, George Washington, Friedrich der Große, Simón Bolívar, Mozart, Puschkin, Churchill, Chagall. Sie verstehen sich nicht als politische Gruppierung und schon gar nicht als Künstlervereinigung - aber Künstler und Politiker gehörten schon immer dazu. Die erste Loge gründete sich im Jahr 1717 in England. Mit der Aufklärung verbreiteten sie sich schnell.

Die Welt verbessern - das wollen die Rotarier und der Lions Club auch, die einen verschreiben sich der Losung "Selbstloses Dienen", die anderen folgen dem Motto "Wir dienen". Anders als Rotarier und Lions bezeichnen die Freimaurer ihr Wirken als "königliche Kunst". Das heißt: Es geht nicht um gute Werke, es geht um kollektive Geistesübungen. Im Vergleich zu ihnen wirken Rotarier und Lions geradezu profan.

Die Freimaurer geben sich Titel und Grade, die klingen wie aus einem Ritterroman und den intellektuellen Impetus ins nahezu Lächerliche ziehen. Meister vom Stuhl zum Beispiel, Obermeister des Tempels oder Ritter der Ehernen Schlange. Ihr Vereinswesen steckt voller Symbolik, und sie pflegen ihre Korporations-Accessoires - die Schürze, die Bruderkette, Manschetten. Auf den Porträts von Freimaurern, die im Prunksaal der Nationalbibliothek zu sehen sind, wirken die Schurze mitunter karnevalesk. Als Originale exponiert, sehen diese Stücke wiederum elegant aus.

Einen Teil Exponate der Wiener Ausstellung hat die Großloge von Österreich bereitgestellt, schon dies beweist, dass sich die Freimaurer weniger klandestin geben als ihnen nachgesagt wird. Den Großteil der ausgestellten Stücke hat Christian Rapp aus den Beständen der Nationalbibliothek selbst geholt. Man stößt auf ein Mozart-Autograf, auf NS-Hetzplakate und auf sehr erfreuliche Überraschungen wie ein Bild aus der extrem skurrilen ORF-Fernsehserie "Kottan ermittelt". Es zeigt die Schauspieler Walter Davy und Curth A. Tichy, die Kottans hirnverbrannte Kollegen spielten. Davy und Tichy waren ebenso Freimaurer wie der Puppenspieler Arminio Rothstein, der in Kindersendungen als Clown Habakuk auftrat. Wer den Spielwitz dieser Künstler kennt, kann sich vorstellen, dass Freimaurer auch mal Spaß haben bei ihren Sitzungen - und das mit schwarzem Humor.

Die Pflicht zur Verschwiegenheit umfasst, dass die Brüder niemandem außerhalb ihrer Loge preisgeben, wer ihrem Männerbund angehört. Öffentliche Kollektivauftritte meiden sie. Wenn sie etwas zu feiern haben, öffnen sie vorsichtig die Pforten ihrer heil'gen Hallen. Jetzt, beim 300. Jubiläum, gewähren manche Logen Einblick.

Ein Phänomen: Die Bruderschaft wird von rechts und links gleichermaßen angefeindet

Bei seinen Recherchen erfuhr Rapp, dass sich die österreichischen Freimaurer immer noch reger Nachfrage von Interessenten erfreuten. "Allerdings haben sie darauf zu achten, dass sie sich nicht zu einer Berufsloge entwickeln." Gerade unter Ärzten und Juristen soll die Aufnahme in den Zirkel derzeit recht begehrt sein. Rapp sagt, er selbst sei kein Freimaurer. Ihn als Kulturwissenschaftler fasziniert ein Phänomen an dieser Bruderschaft: "Dass sie von rechts und von links gleichermaßen angefeindet wird."

Als einer der eifrigsten Antimasonisten tat sich vor hundert Jahren der deutschnationale Wiener Jurist Friedrich Wichtl hervor. In seiner Propaganda vereint sich der Hass auf Freimaurer mit Antisemitismus. Sein Traktat "Weltfreimaurerei, Weltrevolution, Weltrepublik" von 1919 kommt unter anderem zu dem Schluss, die Freimaurer hätten fünf Jahre zuvor das Attentat von Sarajevo in Auftrag gegeben und damit den Ersten Weltkrieg ausgelöst. Einige seiner antimasonistischen Motive haben sich bis heute erhalten und tauchen in modernen Verschwörungstheorien auf.

Ähnlich bizarr wirken Enthüllungen wie das Internet-Pamphlet des Ufo-Fachmannes Hesemann auf kath.net. Dort werden Freimaurer bezichtigt, zum 200. Jubiläum im Jahr 1917 in einer Prozession auf den Petersplatz von Rom marschiert zu sein. "Die Logenbrüder trugen ein Banner mit der Aufschrift ,Satan muss im Vatikan regieren und der Papst sein Sklave sein', das den Erzengel Michael in den Klauen des Dämons zeigte." Dazu hätten sie eine Satanshymne gesungen. Freimaurer? Ein Satanslied? In Wirklichkeit trafen sich die römischen Freimaurer am Denkmal des als Ketzer verbrannten Philosophen Giordano Bruno auf dem Campo dei Fiori. Bei den Burschen mit dem Satansbanner auf dem Petersplatz handelte es sich um Anarchisten.

300 Jahre Freimaurer. Das wahre Geheimnis. Prunksaal der österreichischen Nationalbibliothek, Wien. Bis 7. Januar. Katalog: 29,90 Euro.

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