Ausstellung: Japanische Kunst:Schluss mit Hello Kitty

Pokemon und Manga-Helden als Kulturinstanzen: In der New Yorker Ausstellung "Bye Bye Kitty!!!" sagen sich japanische Künstler von der fernöstlichen Niedlichkeitskultur los.

Jörg Häntzschel

Als General MacArthur, der Oberbefehlshaber der alliierten Besatzertruppen in Japan, 1951 vor dem amerikanischen Kongress aussagte, berichtete er auch von dem Eindruck, den die Japaner bei seiner Ankunft auf ihn gemacht hatten: "Sagen wir, der Angelsachse befand sich auf dem Stand eines 45-Jährigen. Die Deutschen waren ebenso reif. Der Japaner jedoch befand sich trotz des Alters seiner Kultur in einem sehr schülerhaften Stadium. Gemessen an den Standards der modernen Zivilisation war er wie ein zwölfjähriger Junge." Es war grausame Ironie, dass die Atombombe, die dieses vermeintlich unreife Reich auf die Umerziehung durch den Westen vorbereitete, ihrerseits "Little Boy" hieß.

Ausstellung: Japanische Kunst: Smogschwaden statt goldener Wolken, Terminals statt Tempel: Yamaguchi Akiras Narita International Airport aus dem Jahr 2005.

Smogschwaden statt goldener Wolken, Terminals statt Tempel: Yamaguchi Akiras Narita International Airport aus dem Jahr 2005.

(Foto: AP)

MacArthurs paternalistischer Befund, den er durch lobende Hinweise auf die vorbildlichen Lernerfolge des Schülers Japan ergänzte, steht in einer langen Tradition: Immer wieder meinten westliche Beobachter in Japans lange abgeschotteter Kultur und in der zweckfreien Schönheit ihrer Formen etwas wie kindliche Unschuld. Erstaunlich ist, dass die Japaner diese vermeintliche Kindlichkeit ihrer Kultur in den letzten Jahren mit einer Leidenschaft ausgelebt haben, die selbst ein MacArthur nicht für möglich gehalten hätte. Keine andere Nation der Welt hat sich als Utopie, Ideal und Fluchtort eine so elaborierte fiktive Kindeswelt zusammengeträumt wie die Japaner.

"Kawaii", die japanische Niedlichkeitskultur mit ihren quietschenden, telleräugigen Protagonisten - Hello Kitty, Pokemon und tausenderlei Manga-Helden - war anfangs nicht mehr als eine Mode unter Schülerinnen. Doch irgendetwas sprach die Massen auch weit jenseits der pubertierenden Zielgruppe an. Seit den achtziger Jahren ist das Kindchenschema das ästhetische Leitmotiv des Landes geworden. Und keine Darstellung der Welt, selbst in Gebrauchsanweisungen, auf Warnschildern oder in der Werbung kommt ohne die Verniedlichung aus. Das vom Westen einst so bewunderte "Reich der Zeichen" ist ein Reich stupsnasiger U-Bahnen und schmunzelnder Kleinwagen geworden.

Doch eine neue Generation von Künstlern, so demonstriert eine Ausstellung in der New Yorker Japan Society, hat es zunehmend satt, die Welt nur immer durch Bambiaugen zu sehen. Bye bye Kitty!!! lautet der Titel denn auch ("Bye Bye Kitty!!!", bis 12. Juni, Japan Society, New York, Info: www.japansociety.org): Es ist Zeit, sich vom ubiquitären Grüßkätzchen mit dem Schleifchen im Haar zu verabschieden - und von allem, für das es steht. Niemand konnte ahnen, dass die Eröffnung dieser Ausstellung mit einer epochalen Katastrophe zusammenfallen würde. Niemand weiß heute, wie deren kultureller Fallout aussehen wird. Doch ganz abwegig ist es wohl nicht zu behaupten, dass viele der Werke die neue, alles andere als niedliche Realität von Japans nun anbrechender Post-Fukushima-Ära schon vorwegnehmen.

Zunächst einmal müssen die alten Idole exorziert werden: Yoshitomo Nara tut das auf gutwillige Weise: Auf seinem Foto sind zwei "Hello Kitty"-Katzen zu Wächterinnen eines Tiergrabs abgestellt, doch das Grab könnte auch ihr eigenes sein. Makota Aida geht weiter. Ihre "Harakiri School Girls" in kurzen Karo-Röckchen locken auf den ersten Blick ganz dem Klischee entsprechend zwinkernd mit Lolita-Sex. Doch die anmutig-gestreckte Pose der einen rührt von dem Schwerthieb her, den sie sich selbst gerade beibringen will; die Schmachtschnute einer anderen davon, dass ein wirrer Haufen Gedärme aus ihrem aufgeschlitzten Unterleib hängt.

Damit geht Aida weit über die Behandlung hinaus, die Japans bekanntester zeitgenössischer Künstler, Takashi Murakami, dem Niedlichkeitskult angedeihen ließ. Murakami, der Japans infantile Subkultur mit dem Trauma des Zweiten Weltkriegs begründet, verfolgte mit seinem hochproduktiven Bilder- und Figurenkonzern in den letzten Jahren eine Doppelstrategie: Einerseits überführte er den Hunger nach unschuldigen jungen Körpern immer wieder als fiese Erwachsenenphantasie und ließ die Niedlichkeit seiner Protagonisten ins Nachtmarhafte umschlagen. Andererseits war er selbst ein cleverer Player der kawaii-Industrie.

Die nächste Generation japanischer Künstler, so jedenfalls muss man aus der Ausstellung schließen, ist dazu nicht mehr bereit. Man vergleiche nur Murakamis grinsende Pop-Gnome mit den ernsten Säuglingen von Kumi Machida, denen auch ihr lautloses Zen-Lächeln nicht aus den Schutzhelmen und Foltergeräten hilft, in denen sie feststecken. Oder die "Großmütter" auf den Fotos von Miwa Yanagi, verwöhnte Hexen in verhärmten Körpern: Sie, nicht ihre Enkelinnen, haben das Sagen.

Für viele der Künstler ist die Popkultur der letzten Jahrzehnte nicht einmal mehr Referenzpunkt. Sie bedienen sich lieber bei älteren künstlerischen Topoi wie dem Malstil des 17. Jahrhunderts, den Yamaguchi Akira für "Narita International Airport" ironisch aufnimmt: Die goldenen Wolken über Tempeln und Ideallandschaften sind hier gelbe Smogschwaden über einem ausweglosen Labyrinth der Banalität, durch die vier Flugzeuge kreuzen. Düster sind diese Werke. So düster wie Japans Gegenwart ist allerdings keine der Arbeiten.

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