Ausstellung:100 Jahre Frauenwahlrecht

Plakate zur ersten demokratischen Wahl in Deutschland
(Foto: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)

Von Till Briegleb

Harry Graf Kessler, der geniale Chonist der Weimarer Republik, beschreibt den entscheidenden Tag so: "Wahltag. Vormittags gewählt in der Kneipe in der Linkstraße. Polonäse von Wählern und Wählerinnen. Die Zettelverteiler der verschiedenen Parteien stehen um die Polonäse herum und schieben wortlos die Zettel den Leuten in die Hand. Das Ganze untheatralisch wie ein Naturereignis, wie ein Landregen." Ein untheatralischer Landregen? Die erste freie Wahl in Deutschland, bei der Frauen ihre Stimme abgeben durften? Das Ende von Kaiserreich, Drei-Klassen-Wahlrecht und Frauendiskriminierung mag am Wahltag in Berlin den Anschein souveräner Selbstverständlichkeit gehabt haben. Aber dieser Systemwechsel in Deutschland vor 100 Jahren war eine höchst aufgeheizte Angelegenheit. Das zeigt nichts besser als die "Zettel", die noch unmittelbar vor den Urnen verteilt wurden, und die jetzt in der Ausstellung "Darum wählt!" zur Wahl der Nationalversammlung am 19.1.1919 im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe versammelt sind.

Wie damals um die Gunst der Wähler gekämpft wurde, das wäre heute verboten. Gewalttätige Plakatmotive, in denen die politischen Gegner als Schlangen, Monster oder Meister Tod gezeigt und bekämpft werden, martialische Gesten und Texte diktiert von nacktem Hass. Etwa die Rechten über die Linken: "Vor'm Feind gewimmert! Das Reich uns zertrümmert! Vernichtet die Wehr! Geschändet die Ehr! Das sind die Taten der Demokraten!" Und die Gegenseite: "Not kennt EIN Gebot, Schlag tot! Arbeiter helft mit! Wählt Kommunisten!" Gedruckt auf billiges Lumpenpapier ist dieser erste freie Wahlkampf der deutschen Geschichte ein Krieg der Symbole, eine Textschlacht der Angsterzeugung. Und trotzdem entstand aus dem Grabenkrieg der Demagogie ein Parlament, das sechs Monate später eine demokratische Verfassung zustande brachte. Die Wähler fühlten und dachten wohl doch eher untheatralisch. Und wählten SPD. Lang ist's her.

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