Ausstellung:Interventionen gegen den Hass

Das Jüdische Museum in Augsburg ist das älteste in Deutschland - und seit Kurzem unter neuer Leitung

Von Sabine Reithmaier

Die Installation im Foyer des Jüdischen Museums Augsburg wirkt unscheinbar. Fast so wie die Postkarte, die am 22. März 1933 ein gewisser Herr Schliemann geschrieben hat. Er ärgerte sich darüber, dass trotz des politischen Umschwungs noch immer jüdische Namen in der deutschen Buchstabiertafel auftauchten. Die Beschwerde ging von Rostock über Schwerin ins Postministerium nach Berlin. Mit dem Ergebnis, dass nach ausgiebigen Beratungen die als jüdisch identifizierten Namen entfernt wurden. David wurde zu Dora, Nathan zu Nordpol, Samuel zu Siegfried, Zacharias zu Zeppelin.

Fast gleichzeitig verbrannten Mitglieder der Hitlerjugend die ersten Bücher jüdischer Autoren. An diese ersten Schritte einer "Entjudung" des öffentlichen Lebens, die in der Shoah endete, erinnert die Installation von Ramesch Daha auf eine sehr subtile Art. Neben den Feldtelefonen der Wehrmacht mit den Aufdrucken des "neuen" Alphabets züngelt in einem Monitor ein Feuer; an einer Ecke liegt ein verbranntes, mit flüssigem Glas überzogenes Buch; die zentrale Fläche bilden aber Kalenderblätter aus dem Jahr 1933, die die in Teheran geborene und in Wien lebende Künstlerin mit handschriftlichen Notaten und Zeichnungen in kleine Collagen verwandelt hat. Für Barbara Staudinger war der 80. Jahrestag der Novemberpogrome im Vorjahr der Anlass für die Installation. Als sie im September 2018 ihre Stelle als Museumsleiterin antrat, war dazu nichts geplant. "Mir war es wichtig zu zeigen, dass es schon vor dem Pogrom eine sukzessive Ausgrenzung der Juden gab", sagt sie. Inzwischen hat die neue Chefin auch den Namen des Hauses geändert. Es nennt sich nun schlicht "Jüdisches Museum Augsburg Schwaben", nicht mehr Kulturmuseum.

Das Haus, getragen von einer Stiftung, ist das älteste jüdische Museum Deutschlands. Als es 1985 direkt neben der Augsburger Synagoge eröffnet wurde, existierte keine vergleichbare Einrichtung. Inzwischen ist die Dauerausstellung, das letzte Mal 2006 überarbeitet, etwas in die Jahre gekommen. Aber da die Synagoge und der zugehörige Gebäudekomplex von Grund auf saniert werden müssen - angeblich geht es heuer los - wird diese Schau ein natürliches Ende finden. "Bis dahin versuchen wir, mit Interventionen Bewegung ins Haus zubringen", sagt Staudinger.

Ausstellung: Aus Kalenderblättern des Jahres 1933 hat die Künstlerin Ramesch Daha einen Teil ihrer Installation "1933" gestaltet.

Aus Kalenderblättern des Jahres 1933 hat die Künstlerin Ramesch Daha einen Teil ihrer Installation "1933" gestaltet.

(Foto: Jüdisches Museum Augsburg Schwaben)

Um die Hemmschwelle dem Museum gegenüber abzubauen, hat sie den eintrittsfreien Sonntag erfunden. "Er bietet die Möglichkeit, gratis reinzuschnuppern." Staudinger ist es gewohnt, dass Deutsche unsicher reagieren, wenn sie erfahren, dass sie sich mit jüdischer Geschichte beschäftigt. "Sie haben Angst, mich zu fragen, ob ich Jüdin bin." Sie ist es nicht, bezeichnet sich selbst als Atheistin. "Man muss nicht zugehörig sein, um etwas zu sagen zu haben", findet sie. "Mich interessiert die Minderheitenperspektive." Außerdem leite sie kein religiöses Haus, sondern ein kulturgeschichtliches Museum.

Spürt sie den wachsenden Antisemitismus? "Ich weiß nicht, ob er sich gesteigert hat, ich finde es so schon beunruhigend genug." In Führungen wird sie regelmäßig mit antijüdischen Vorurteilen konfrontiert. So wird die prachtvolle, nie zerstörte Synagoge gern als Indiz für den angeblichen Reichtum der Juden gewertet. An derartigen Klischees müsse man immer arbeiten, das sei keine neue Entwicklung, sagt die 45 Jahre alte Historikerin. Im Augenblick recherchiert sie für die Ausstellung "Die Stadt ohne Juden Ausländer Muslime Flüchtlinge", die sie gemeinsam mit dem NS-Dokuzentrum kuratiert und die erst in München und dann im Augsburger Textil- und Industriemuseum laufen wird.

Der 1922 erschienene Roman "Die Stadt ohne Juden" des Wiener Schriftsteller Hugo Bettauer, damals ein utopisches Szenario einer Vertreibung der Juden aus Wien, wurde 1924 verfilmt. Kürzlich fand man in Paris eine ungekürzte Stummfilmversion. Anhand dieser Filmszenen werden die Stufen des Ausgrenzungsprozesses nacherzählt, die von der Polarisierung der Gesellschaft bis hin zum endgültigen Ausschluss reichen. "Wir thematisieren den Hass gegen Muslime, Ausländer, Flüchtlinge und, weiter, gegen die Juden." Mit universalistischeren Fragestellungen könne man nicht nur Aussagen zur jüdischen Geschichte und Kultur treffen, sondern auch für andere Religionen und Minderheiten.

Barbara Staudinger

Barbara Staudinger, 45, hat Geschichte, Theaterwissenschaften und Judaistik in Wien studiert und als Kuratorin gearbeitet. Seit September 2018 leitet sie das Augsburger Museum.

(Foto: Daniel Shaked)

Staudinger ist in Wien geboren und hat dort Geschichte, Theaterwissenschaften und, etwas später, auch Judaistik studiert. Ihre Spezialgebiete sind die jüdische Geschichte der Frühen Neuzeit und das Landjudentum im süddeutschen Raum und Niederösterreich. "Meine Expertise ist sicher ein Grund dafür, dass ich den Job erhielt." Bayern ist ihr nicht fremd, sie hat von 2005 bis 2007 am Jüdischen Museum München gearbeitet. In Wien zurück machte sie sich selbständig, kuratierte die neue österreichische Ausstellung "Entfernung. Österreich und Auschwitz" in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau mit. Doch sie wünschte sich schon länger, selbst ein Haus zu leiten, weshalb sie es in Kauf nimmt, zwischen Augsburg und Wien, wo sie mit ihrem zwölfjährigen Sohn lebt, zu pendeln.

Barbara Staudinger ist es wichtig, die jüdische Geschichte nicht aufs Museum zu beschränken. Sie arbeitet gern im öffentlichen Raum, stellt Bezüge zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen her. Juden nur aus der Perspektive der unterdrückten Minderheit darzustellen, hält sie für falsch. "Jüdisches Leben ist so vielfältig, das darf man nicht so begrenzen." Jetzt folgen die "Ersten Augsburger Desintegrationstage", die das Museum mit dem Kulturhaus Abraxas vom 26. bis 28. März veranstaltet. Wichtigster Gast dabei ist Max Czollek, Autor des heftig diskutierten Buchs "Desintegriert euch!" Eine Lesung wird am zweiten Museumsstandort stattfinden, der ehemaligen Synagoge Kriegshaber. Dort startet im Juli auch die Ausstellung "Über die Grenze", eine Erinnerung an die Kindertransporte nach England im Jahr 1939.

"1933", Installation, Finissage mit Führung, Sonntag, 24. Feb., 15 Uhr, Jüdisches Museum Augsburg

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