Ausstellung in Hamburg:Ist Picasso eigentlich cool?

Ist Picasso ein ausgedientes Künstlermodell oder eine unterschätzte Ressource für die aktuelle Kunst? Dieser Frage geht eine Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen nach - und vollzieht quasi eine Heiligsprechung.

Von Till Briegleb

Ist Picasso eigentlich cool? Oder besser: Ist er wieder cool? Natürlich hat der spanische Universalkünstler das gestreifte Matrosen-Shirt berühmt gemacht. Geflügelte Picasso-Worte wie "Ich suche nicht, ich finde", oder "Man braucht sehr lange, um jung zu werden", bevölkern den allgemeinen Sprachschatz. Ein französisches Automodell mit Namen "Picasso" rühmt sich seines "asymmetrischen Armaturenbretts, das verschiedene Farben und Materialien miteinander mixt." Ja, Picasso hält es immer noch in unserem Alltag. Und seine bekanntesten Symbolbilder: die "Friedenstaube" und "Guernica" sind nur deshalb aus dem Straßenbild verschwunden, weil heute kaum noch jemand für den Frieden demonstriert. Aber ist irgendetwas davon "cool"?

Die Frage mag sich flapsig anhören, aber tatsächlich ist auch in der Kunstwelt wie in jedem Prominenten-Geschäft das Ranking von großer Bedeutung. Und wenn man es ehrlich betrachtet, dann ist Picasso hier schon lange so etwas, wie es Madonna im Pop ist, nur eben im Terpentin-Business und ziemlich wehrlos: Man erkennt seine früheren großen Leistungen neidlos an, aber jede Form offener Bewunderung gilt inzwischen als eher peinlich. Vermutlich gibt es auch kaum Menschen, die sich für zeitgenössische Kunst interessieren und einen "Citroën Picasso" fahren.

Von den rund 200 ausgestellten Werken stammt keines von Pablo Picasso

Aber nun hat der Maler, der sich selbst mit Gott verglich, seinen Apostel Paulus gefunden. Sein Name ist Dirk Luckow, er ist der Direktor der Hamburger Deichtorhallen, und zum 25. Jubiläum des Ausstellungshauses sowie nach erfolgreicher Generalsanierung der ehemaligen Gemüsemarkthalle zeigt er zur Wiedereröffnung die opulente Schau "Picasso in der Kunst der Gegenwart". Zwar ist von den rund 200 ausgestellten Werken keines vom Maler der tausend Meisterwerke. Aber bei einer richtigen Heiligsprechung sind ja auch nur Theologen anwesend, nicht der Heilige selbst. Und deswegen hat Apostel Luckow 89 Künstler-Zeugen versammelt, die für die Zeit von 1930 bis heute belegen sollen, dass Picasso cool ist. Und nach wie vor einflussreich.

Das ist nicht nur wegen des Fluchs der Kaffeetassen ein extrem schwieriges Unterfangen, sondern vor allem wegen der Genie-Konkurrenz. Im Gegensatz zu den intellektuellen Programmen von Marcel Duchamp, Andy Warhol und Joseph Beuys, die bis heute schöpferische Menschen zu Reaktionen reizen, ist das ästhetische Programm von Pablo Picasso ein Epochenphänomen. 42 Jahre nach seinem Tod provoziert Picassos Werk nicht mehr, es ist nicht mehr unbequem, und vermutlich gerade wegen seiner außerordentlichen stilistischen Breite wirkt es wie ein Schlussstrich hinter die Zeit der authentischen Malerfürsten.

Was kann also eine Ausstellung zeigen, die mit der These auftritt, dass "die Auswirkungen des Jahrhundertgenies auf die Gegenwartskunst" noch immer "unterschätzt" werden? Zunächst natürlich eine Menge "Lookalikes". Zeitgenossen wie Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee und Asger Jorn, deutsche Abstrakte wie Ernst Wilhelm Nay oder Karl Otto Götz oder auch Künstler, die im Sozialismus arbeiteten wie Georg Baselitz und A. R. Penck, haben mal augenzwinkernd, mal ernsthaft bis ehrfürchtig versucht, eine Stilsynthese aus Picasso und den eigenen Formen herzustellen. Zu intensiv durfte sich natürlich kein Maler mit den prägnanten Stilen des "Jahrhundertgenies" beschäftigen, wollte er nicht den Epigonentod sterben. Und deswegen sind diese hier zahlreich versammelten Beispiele auch eher Einzelwerke als Zeugnisse von echten Schaffensphasen.

Picasso in Feinrippunterhose

Dann gibt es die vielen Witzbolde, die entweder den Mythos Picasso oder seine Kunst-Innovationen zu ironischen Kommentaren benutzten. Martin Kippenberger, der von Geniegefühlen beseelt war, porträtierte sich in grotesk hässlichen Posen als Picasso in Feinrippunterhose. Otto Muehl und Terese Schulmeister drehten 1986 eine bizarre Komödie über die Genie-, Potenz- und Macho-Klischees, die der Künstler durchaus bewusst von sich verbreitete. Ein riesiger Phallus mit Maske von Thomas Houseago oder eine Koproduktion von Albert Oehlen und Jonathan Meese, die zwei Halbgötter mit riesigem Gemächt zeigt, spielen sowohl mit dem Bezug zur Kunst der "Primitiven" bei Picasso wie mit seiner ausgestellten Männlichkeit. Und schließlich kämpft in den Zeichnungen von Rachel Harrison eine suchtgezeichnete, aber selbstbewusste Amy Winehouse mit den fülligen nackten Formen von Picassos "pornografischen" Motiven.

Die meisten der wenigen Frauen, die es in diese Ausstellung geschafft haben, versammelt Dirk Luckow allerdings in einem Sonderareal zur Frage: "Was sehen Künstlerinnen in der schillernden Figur Picasso?" Die weiblichen Antworten heben diesen Geschlechtszusammenhang sofort wieder auf: Alles ist möglich, wie bei den Männern auch. Hanne Darboven würdigt Mann und Werk mit einer Zahlenreihe plus Büste und Plastik seiner Ziege "Esmeralda". Cindy Sherman inszeniert sich in einer "kubistischen" Modeshow als fragmentiertes Wesen. Rineke Dijkstra beobachtet in einer der rührendsten Arbeiten der Ausstellung ein Mädchen in Schuluniform, das in der Tate Liverpool Picassos "Weinende Frau" abzeichnet. Und auch die Arbeiten von Sophie Calle, Marlene Dumas oder Louise Lawler erzählen vor allem von deren eigenen künstlerischen Persönlichkeiten.

Doch es gibt auch die komplexe, dezidiert auf die Picasso-Rezeption zielende Installation von Goshka Macuga, die am Beispiel des "Guernica"-Wandteppichs, der im UN-Gebäude in New York hängt, über Gebrauch und Missbrauch von politischer Kunst reflektiert: Vom kraftvollen Symbol bis zur Gewissensdeko für Sekt-Empfänge reicht die historische Wahrnehmungsbreite dieser Textil-Kopie.

Überhaupt wirken jene Arbeiten, die sich nicht mit der Kunst, sondern mit der symbolischen Wirkung von Picasso beschäftigen, in dieser Rezeptions-Schau am aktuellsten. Maurizio Cattelans lebensgroßes und riesenköpfiges Picasso-Kostüm, das mit ausgebreiteten Armen sehr dekorativ in der Ausstellung steht, diente ursprünglich dazu, im MoMA in New York als herumspringende "Mickey-Mouse" auf die Disneyfizierung von Mainstream-Museen hinzuweisen. Der kongolesische Maler Chéri Samba thematisiert in seinen Gemälden mit der Figur Picassos die Konzentration des Kunstmarkts auf die reichen Länder. Und die Dokumentation des Projektes von Khaled Hourani, der sich als Direktor der International Art Academy Palestine erstmals erfolgreich darum bemühte, ein Picasso-Gemälde im Westjordanland auszustellen, ist eine präzise Lehrstunde über die Veränderung von Kunstinhalten bei sich wandelnden Kontexten.

Cattelans lustiges Picasso-Kostüm will auf die Disneyfizierung von Museen hinweisen

Material ist also zur Genüge vorhanden, um der Frage nachzugehen, ob Picasso nur ein ausgedientes Künstlermodell mit großem Merchandising-Potenzial ist oder tatsächlich eine unterschätzte Ressource für die aktuelle Kunst, in der man finden kann, ohne zu suchen. Vermutlich wird der vielstimmige Chor dieser Heiligsprechung keine eindeutige Antwort liefern. Außer vielleicht eine vom Meister selbst: "Eine Kunstrichtung hat sich erst dann durchgesetzt, wenn sie auch von den Schaufensterdekorateuren praktiziert wird."

Deichtorhallen Hamburg, bis 12. Juli 2015; ein umfangreicher und sehr hilfreicher Katalog ist erschienen beim Snoeck Verlag; 403 Seiten, 48 Euro.

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