Ausstellung in Berlin:Fleisch? Ja, genau: Fleisch!

Ausstellung Berlin Fleisch

Vanessa Beecrofts Strumpfhosen-Show in Berlin wurde 2005 oft als "Fleischbeschau" kritisiert.

(Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen)

Das Alte Museum in Berlin überrascht mit einer kleinen, feinen Kabinettsausstellung zu einem Thema, das mehr ist als nur ein Nahrungsmittel.

Von Peter Richter, Berlin

Einerseits ist es schon treffend, ausgerechnet am Tag von Fronleichnam eine Ausstellung zu eröffnen, über der in schreienden Buchstaben FLEISCH steht. Wenn das aber andererseits ausgerechnet in Berlin passiert: Wer bitte soll dabei dort als Erstes an die Realpräsenz des Leibes Christi in der Abendmahlhostie denken? Außer ein paar besonders frommen Diaspora-Katholiken vielleicht. Oder möglicherweise auch ein paar noch viel frommeren Protestanten, weil die das Fest mit lutherischem Ingrimm als unbiblisch und frivol verteufeln. Aber sonst?

Sonst denkt man in Berlin bei dem Wort Fleisch im allgemeinen eher ganz profan ans Essen. Oder an etwas, das man auf keinen Fall essen sollte. Denn die Stadt beherbergt zwar beeindruckend viele Wurstbuden - allerdings auch beeindruckend viele Vegetarier, deren Entschiedenheit, manchmal sogar Militanz auch nur als beeindruckend beschrieben werden können.

Ausgerechnet das Schwein erweist sich als große anthropologische Konstante

Oder an die sogenannte Fleischeslust. Berlin ist ja aus gewissen Gründen nicht nur ein Städtename, sondern auch eine pornografische Kategorie. Hierher reisen Leute für mehr oder weniger öffentlichen Sex. Hier leben Leute, die Werbeplakate, auf denen viel nackte Haut zu sehen ist, mit der sonderbar feststehenden Wendung "sexistische Kackscheiße" beschriften. Und andere wiederum, die sich selbst als "beefy" bezeichnen, als "beefy bears" zum Beispiel, was ein homosexuelles Submilieu ist, in dem neben dem Fleisch gewissermaßen auch das Fell in hohem Ansehen steht.

Es gibt in Berlin sicher auch noch viele, die bei dem Titel "Fleisch" an den gleichnamigen Film von 1979 denken müssen, an die panisch vor einem Krankenwagen fliehende Jutta Speidel, an den vielleicht besten Thriller Westdeutschlands, der aber auch in der DDR enormen Erfolg hatte. Vielleicht weil er mit seinem Thema, dem Organhandel, nicht nur eine für späte Industriegesellschaften typische Medizinskepsis befeuerte; viele Ärzte protestierten deswegen gegen den Film. Vielleicht auch, weil er zumindest subkutan die Sorge um das eigene, zuckende Fleisch im Angesicht einer als kühlraumhaft empfundenen Staatlichkeit bespielte.

"Fleisch" ist, mit anderen Worten, ein Titel, der an so viele verschiedene Dinge denken lässt, und gleichzeitig daran, was es dann doch wiederum für Zusammenhänge zwischen diesen Dingen geben mag, dass eine Ausstellung, die so heißt, eigentlich schon durch ihre schiere Überschrift Relevanz bekommt. Dass man in der englischen Übersetzung einerseits "meat" schreiben muss, gleichzeitig aber auch "flesh", dass also hier noch der kategoriale Unterschied zwischen totem und lebendigem Fleisch hinzukommt, macht die Sache nur noch reicher. Auf der großen Freitreppe fragt man sich deshalb fast, ob das Alte Museum in Berlin überhaupt groß genug ist für die Fülle des Themas. Und dann das: Nur ein einziger Raum, "Fleisch" ist tatsächlich eine Kabinettsausstellung.

Ausstellung Berlin Fleisch

In Sachsen wurde 1917 eine "Reichsfleischkarte" ausgegeben.

(Foto: Ute Franz-Scarciglia; Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen)

Mit der verhält es sich am Ende allerdings wie mit dem Rinderfilet, das auch immer kleiner aussieht als erwartet, dann aber erst einmal bewältigt werden will: Immerhin geht es auf den paar Quadratmetern um stolze 5000 Jahre Kulturgeschichte - von babylonischen Tontafeln mit 58 verschiedenen Bezeichnungen für das Schwein über ägyptische Phallus-Figuren bis zu der berühmten Videoarbeit von Christian Jankowski, der im Supermarkt mit Pfeil und Bogen Tiefkühlhähnchen schießt.

Es ist an dieser Stelle grundsätzlich ein Lob zu singen auf die Idee, den wissenschaftlichen Nachwuchs der Staatlichen Museen Berlins, SMB, regelmäßig solche interdisziplinären Themenausstellungen zusammenstellen zu lassen. Zuletzt, vor zwei Jahren, ging es um das grandios auf der Hand liegende, weltumspannende, sowohl uralte wie auch superaktuelle Thema "Bart". Jetzt sind die Volontäre der verschiedenen Museen bei ihrer Suche nach einem Thema, zu dem sich von allen etwas beitragen ließe, eben beim Fleisch gelandet. Bei diesem Verfahren können diese Lernausstellungen eigentlich kaum anders als bei Themen zu landen, die denkbar groß sind, und mit Artefakten beleuchtet werden, die wiederum denkbar klein sein können - und sehr überraschend.

Zum Fressen gehört auch Gefressenwerden

So zeigt sich ausgerechnet das Schwein als eine der großen anthropologischen Konstanten. Oder jedenfalls der widersprüchliche Umgang mit dem Tier, das allein um seines Fleisches willen gehalten wird und gleichermaßen als Glücksbringer wie als Schimpfwort gilt. Es ist wirklich erstaunlich, wo und wann überall kleine Schweinchen-Figuren angefertigt wurden. Hedwig Bollhagens Brandenburger Sparschwein von 1996 hat Vorläufer im Ägypten der Pharaonenzeit und in Troja. Selbst das Museum für Islamische Kunst konnte zum Thema Schwein etwas beisteuern, jedenfalls in der wilden Variante, dem Eber, der dann auch in anderen Kulturkreisen quer durch die Zeiten immer wieder auftaucht: als die besonders gefährliche Jagdbeute, deren Bezwingung schon deswegen für beträchtliche Manneskraft steht, weil man ihr so schnell selbst zum Opfer fallen konnte. Dass zum Fressen das Gefressenwerden gehört, liegt nicht nur in der Natur der Dinge, es spiegelt sich selbst in der Struktur der Ausstellung. Offensichtlich gibt es auch einen gegenseitigen Verzehr der Themen. Das fremde Fleisch als Nahrung ist das eine. Das andere aber ist das eigene Fleisch als Quelle von Stolz und Kümmernis.

Auf dem Fleischhof Lüneburger Straße in Moabit; Ausstellung Berlin Fleisch

Alexander Enger fotografierte 1967 auf dem Fleischhof in Moabit

(Foto: bpk / Alexander Enger)

Dass Schönheit, Gesundheit, sexuelle Attraktion nicht zuletzt eine Frage von genug Fleisch an den richtigen Stellen ist, davon erzählt die Kunst schon früh, und in Berlin zeigen sie unter anderem eine wundervolle antike Statuette von einem Mann, bei dem besonders das sehr prominent ist, was man das Sitzfleisch nennen könnte, wenn es in dieser Form denn wirklich beim Sitzen zu erwerben wäre und nicht vielmehr unter der Beinpresse im Gym. Aber der Verfall solcher Pracht hat die Leute immer schon beschäftigt - und dass der Geist so willig sein kann, wie er möchte, wenn das Fleisch nun einmal schwächelt.

Schönheit ist nicht zuletzt eine Frage von Fleisch an der richtigen Stelle

Dass man sich selber stärkt, in dem man andere verzehrt, bringt die beiden Themen ins Gemenge - und dass an der Schnittstelle von Körper und Nahrung der Kult auftaucht, ist kein Zufall, denn diese Zone ist heikel und von starken Emotionen besetzt. Hier beginnen die Tabus. Warum darf im Orient irgendwann kein Fleisch vom Schwein mehr gegessen werden? Warum bei uns keins vom Hund? (Dabei zeigen sie in Berlin so einen appetitlich genährten "Masthund" aus dem vorspanischen Mexiko ...) Und warum eigentlich keins vom Menschen?

Wer nämlich meint, dass das Tabu des Kannibalismus das stärkste sei, hat nur noch nicht von dem lettischen Künstler Arthur Berzinsh gehört, der in diesem Jahr in Riga zwei Assistenten je einen Streifen Fleisch aus dem Rücken schnitt, anbriet und noch während der Performance wieder an die Spender verfütterte, ohne dass die Polizei eine Handhabe finden konnte. Man muss die Menschenfresserei gar nicht an ferne Völker delegieren. Es ist zum Beispiel gar nicht gesagt, dass die "Gabel zum Verzehr von Leichenfleisch" aus Fidschi, die man in Berlin zu sehen bekommt, sich einer Bezeichnung der Ureinwohner jener Inseln verdankt oder der Fantasie westlicher Sammler. Caliban war genauso ein europäisches Kulturprodukt wie Shylock; in Lateinamerika haben sie den Vorwurf der Anthropophagie nur zu selbstbewussten Konzepten kultureller Einverleibung umgemodelt. Echte Fälle von Kannibalismus geschahen zuletzt eher in so exotischen Gegenden wie Hessen und Sachsen.

In diesem Zusammenhang taucht nun auch die prächtige Monstranz von 1629 auf, in der zu Fronleichnam die Hostie als verzehrbereites Fleisch Christi durch die Gegend getragen wurde. Um nachvollziehen zu können, was einst Protestanten dazu brachte, in gemischtkonfessionellen Gebieten gerade an diesem Tag den Mist auf die Felder zu bringen, um gegen die Prozessionen anzustänkern, muss man sich vielleicht nur vor Augen halten, was los ist, wenn in deutschen Städten das Thema Schächten von Tieren aufkommt. Oder wenn es Schwein gibt im Kindergarten. Oder wenn es kein Schwein gibt.

Fleisch ist offensichtlich ein erstrangiger Streitfall in und zwischen Kulturen. Es sieht auch ganz so aus, als ob das Museum generell der angemessene Ort dafür ist, je mehr es außerhalb davon zum moralischen Problem wird. (Innerhalb ja sogar auch, wenn man dazu nimmt, wie alles, was mit Fleisch im Sinne von Nacktheit, Inkarnat, Sex und/oder Gewalt zu tun hat, auf den Prüfstand der ethischen Zumutbarkeit gerät.) Kann schon sein, dass die meisten Speisekarten, Supermarktregale und Volksfeste heute noch nicht zwingend den Eindruck machen, dass Fleisch schon morgen oder übermorgen "das neue Rauchen" sein wird - aber für Überübermorgen möchte man seine Hände jetzt auch nicht über den Grill halten. Die Murmel ist in der Bahn; die sogenannten Antispezizisten, die in der Folge von Richard Ryder, Peter Singer oder Tom Regan gegen ungleiche Rechte von Menschen und Tieren argumentieren, dürften den Lauf der Dinge auf ihrer Seite haben, um in der Hegel-Stadt Berlin nicht gleich vom Weltgeist zu reden.

Aber es kann natürlich sein, dass, den Gesetzen der Dialektik folgend, eine kluge, kleine Ausstellung zum Thema Fleisch auch nur ein entschlossener Schritt zur Überwindung all dieser irgendwie unfeinen Fleischlichkeiten ist.

Fleisch. Altes Museum, Berlin, bis 31. August. Katalog (Wienand Verlag Köln) 24,80 Euro.

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