Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Immer der Nase nach

Der Künstler Darius Mikšys hat eine recht eigenwillige Ausstellung für den Münchner Kunstverein konzipiert - zusammen mit dem Museo Tamayo Arte Contemporáneo in Mexico City und der Londoner Hayward Gallery

Von Jürgen Moises

Wie wäre es, wenn Museen und Galerien ihre Kunstwerke in Zukunft selbst erschaffen, während der Künstler nur noch als Ideen- und Ratgeber fungiert? Für den litauischen Künstler Darius Mikšys wäre das, um einen Terminus aus der Geschäftswelt zu benutzen, eine klare Win-Win-Situation. Der Künstler würde mit den Kunstinstitutionen in Kontakt stehen und diesen Impulse, Ideen oder Erfahrungen liefern, auf deren Grundlage die Mitarbeiter dann die Objekte für die Ausstellungen kreieren. Er selbst wäre vom öffentlichen Distribution- und Ausstellungsbetrieb befreit und hätte nun mehr Zeit, sich im Sinne einer "Slow Art" auf das Eigentliche zu konzentrieren. Im Idealfall könnte dabei sogar eine neue, "ultimative Kunst" entstehen. Nämlich dann, wenn auf die Kulturinstitutions-Kunst gleich mehrere Künstlerpersönlichkeiten einwirken.

Soweit jedenfalls Darius Mikšys' Theorie für eine neue Kunst und Künstler-Rolle, die unter dem Namen "Pinocchio" firmiert. Wie deren Umsetzung aussehen könnte, davon gibt aktuell die Ausstellung "Hayward & Tamayo" im Kunstverein München eine erste Ahnung. Diese wurde, deswegen der Titel, in Zusammenarbeit mit der Londoner Hayward Gallery und dem Museo Tamayo Arte Contemporáneo in Mexico City erstellt. Oder genauer: Deren Mitarbeiter sollten, wie es "Pinocchio" vorsieht, innerhalb von sechs Monaten ein kollektives Kunstprojekt kreieren und das Ergebnis dann nach München schicken.

Die genaue Themenwahl und Vorgehensweise waren frei, und das ist den Ergebnissen auch anzusehen.

So entschied die Belegschaft des Museo Tamayo, dass alle Mitarbeiter Gegenstände aussuchen, die ihre eigene Arbeit repräsentieren oder die auf andere Weise ihre persönliche Beziehung zum Museum ausdrücken. Das alles mit dem Ziel, so etwas wie die "kollektive Identität" des Museums darzustellen. Und so kann man sich in den nächsten Tagen Visitenkarten, Fotografien und Geschäftsdokumente, selbstgebrannte CDs und selbstgemachte Kunstwerke oder eine Schachtel mit Keksen im Kunstverein ansehen. Das heißt vielleicht, denn bei der Ausstellungseröffnung steckte die Kiste mit den Objekten angeblich noch im Zoll fest.

Was es zumindest nach München geschafft hat, ist ein Video, das einen Ausstellungs-Abbau dokumentiert, sowie eine Kiste voller Nasen. Diese wurden in dem Fall von der Hayward Gallery geschickt, sind nach dem ausgeprägten Organ des Namenspatrons der Galerie Sir Isaac Hayward modelliert und dazu gedacht, dass die Kunstverein-Mitarbeiter sie tragen. Auch noch einen anderen Auftrag an den Kunstverein hat das Team der Hayward Gallery "mitgeliefert". Nämlich eine Anzeige in der ddeutschen Zeitung zu schalten, die zum Einsenden von persönlichen Nasen-Kunstwerken oder -Dokumenten aufruft. Insgesamt 45 gemalte, fotografierte oder modellierte Nasen wurden eingeschickt und die schönste davon - auch das war eine Vorgabe - am letzten Donnerstag prämiert.

Und während man nun im Kunstverein Nase für Nase abschreitet, fragt man sich ein kleines bisschen, ob hier nicht irgendjemand jemanden an selbiger herumführt. Der Künstler die beiden Galerien, diese sich gegenseitig oder alle zusammen den Besucher? Dass man sich in seiner Rolle als Künstler, Kurator oder Betrachter in Frage gestellt sieht, wäre bei Darius Mikšys jedenfalls nichts Neues. Für solche kritischen "Interventionen" oder Grenzüberschreitungen wird der Litauer seit Jahren vor allem in Kollegenkreisen geschätzt. Hierzu zählen zu einem gewissen Grad auch die für den November eingeplante "Computerspiel-Performance" im Kunstverein und das "Artists Parents Meeting" im Dezember. Dass sich die "Schöpfer der Schöpfer" gegenseitig über ihre Künstler-Kinder austauschen, kommt im professionellen Kunstbetrieb wohl auch eher selten vor.

Darius Miksys: Hayward & Tamayo, bis 20. Nov., Kunstverein München, Galeriestr. 4

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Quelle:
SZ vom 27.09.2016
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