Die Frau ist halb nackt - aber sie steht selbstbewusst da, blickt zur Seite und liefert ihren Körper dem Maler nicht aus. Ihre Schönheit wirkt einerseits exotisch, andererseits ist sie praktisch genug, sich die dichten schwarzen Haare im Pferdeschwanz zusammenzubinden. Außergewöhnlich an der Leinwand in dunklen, strahlenden Tönen ist aber vor allem, dass sie von einer Frau gemalt wurde: als Selbstbildnis. Amrita Sher-Gils "Selbstporträt als Tahitianerin", das in der aktuellen Ausstellung "Museum Global" in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf zu sehen ist, wirft ein Schlaglicht auf ein bemerkenswertes Werk. Dieses Selbstporträt ist in den Dreißigerjahren vollkommen singulär, es gibt kein vergleichbares Werk der Kunstgeschichte.
Schon weil das so schlichte, sanfte Frauenbild voller Anspielungen ist - auf die Kunstgeschichte, auf Politik und - durchaus auch - auf die Frage nach weiblicher Gleichberechtigung. Denn nicht nur Stil und Komposition, auch der Titel weisen auf Paul Gauguins Bilder aus der Südsee hin, es klingt die ganze künstlerische Suche der Moderne nach einem unverdorbenen Paradies jenseits der Zivilisation mit. Aber was wird aus einem Idyll, das junge Mädchen dem Blick männlicher Betrachter ausliefert, wenn eine Frau den Platz der exotischen Schönheit einnimmt und selbst nach dem Pinsel greift?
Schon mit acht Jahren erhält das Mädchen Unterricht im Malen
Amrita Sher-Gil wurde als Kind eines Sikh-Vaters, der indische Geschichte und Religion erforschte, und einer ungarisch-jüdischen Opernsängerin im Jahr 1913 in Budapest geboren, wuchs dann aber in Shimla in Nordindien auf, wo sie zunächst Geige und Klavier erlernte. Schon im Alter von neun Jahren gab sie mit ihrer jüngeren Schwester Indira Konzerte. Mit fünf Jahren hatte sie zu malen begonnen, im Alter von acht erhielt sie Unterricht. Als das selbstbewusste Mädchen im Konvent verkündete, sie werde Künstlerin, flog sie aus der Schule und wurde zunächst Atheistin.
Um der hochbegabten Tochter eine angemessene Ausbildung zu ermöglichen, zog die Mutter mit der 17-Jährigen nach Paris, wo Amrita Sher-Gil nach dem Studium nicht nur eine Goldmedaille vom Salon de Paris erhielt, sondern auch als jüngstes Mitglied in den Salon aufgenommen wurde. Doch obwohl ihre Malerei in Paris viel Beachtung fand, so schrieb sie zu der Zeit, fühlte sie sich unerfüllt und sehnte sich zurück nach Indien, "wo mein Schicksal als Malerin liegt". 1935 machte Amrita Sher-Gil sich auf die Heimreise, die zu einer Tour durch den Subkontinent wurde, bei der die Künstlerin archäologische Stätten und Höhlen erkundete, Mogul-Malerei studierte, Kunsthandwerk, Textilien, Kulturdenkmäler erforschte. Vor allem der Norden Indiens faszinierte sie, schon weil er "frei von Europäern" war. "Meinen Sie nicht, dass ich insgesamt etwas von der indischen Malerei und Skulptur gelernt habe?", fragt sie in einem Brief im Jahr 1937.
In ihren Betrachtungen sucht sie nach einem indischen Rubens, Matisse, Renoir oder Ingres und ist in ihrem weltumspannenden Denken der Zeit voraus, die nicht-westliche Kunst als dekorativ und flach diffamiert. Ihr bis dahin der Moderne verpflichteter Stil hat da schon die wellenförmigen Rhythmen indischer Vorbilder aufgenommen, in klaren Farben malt sie - ganz im Einklang mit der von Gandhi geforderten Hinwendung zum Dorf - das Alltagsleben, vor allem Frauen. "The Bath", entstanden 1940, ist wieder ein Akt, das Bild erinnert in seinen klaren Umrissen nicht nur an die Malerei von Matisse, es entzieht dem Betrachter den Körper der Abgebildeten, liefert die intime Szene nicht aus. In Biografien wird heute häufig darauf hingewiesen, dass Sher-Gil wohl bisexuell war. Verheiratet war sie mit ihrem Cousin, einem ungarischen Arzt, der für sie wahrscheinlich Abtreibungen organisierte. Engagierte sie sich auch als Frauenrechtlerin? Immerhin war sie auch mit Politikern wie Nehru bekannt und sympathisierte mit dem Nationalkongress, dem antikolonialen Aufbruch der indischen Gesellschaft.
Amrita Sher-Gil diffamierte viele ihrer Kolleginnen als "sentimentale Schwärmerinnen". Manche ihrer Motive sind durchaus feministisch zu deuten: "Drei Mädchen" etwa zeigt Frauen, die trotz ihrer farbenfrohen Kleidung passiv wirken. Ob sich ihr Warten lohnt, scheint fragwürdig zu sein. "Meine künstlerische Mission ist die malerische Interpretation des Lebens der Inder und vor allem der armen Inder", schrieb sie, "diese stillen Bilder unendlicher Unterwerfung und Geduld zu malen, ihre kantigen, braunen Körper."
Sher-Gils fundamentalistische und programmatische Neuerfindung der Malerei blieb in Indien nicht unbemerkt, allerdings erfuhr sie auch Ablehnung: "Typisch für die modernen französischen Malereischulen", hieß es in The Illustrated Weekly im Jahr 1935, diese Kunst habe "nichts mit der indischen Tradition zu tun". Nachdem Amrita Sher-Gil während der Vorbereitungen zu einer Einzelausstellung im Alter von nur 28 Jahren - womöglich an den Folgen einer Abtreibung - früh verstarb, wurde sie weder von der indischen noch von der internationalen Kunstgeschichte aufgenommen.
Dabei ist ihre eigenständige Position, die der Avantgarde zutiefst verpflichtet blieb, beispielhaft für eine Kunst, die womöglich erst jetzt wirklich verstanden wird. Das Jahr 2013 wurde von der Unesco aus Anlass ihres 100. Geburtstages zum internationalen Jahr von Amrita Sher-Gil erklärt. Und die Szene steht nun bereit, solche ehemaligen Randfiguren zu würdigen: Die Documenta 14 hängte Amrita Sher-Gil in einen eigenen Raum, der nicht nur ihre Verwurzelung in Stil und Mythen des Subkontinents belegte, sondern auch sichtbar machte, wie sehr Sher-Gil sich als Malerin von folkloristischer Rückschrittlichkeit distanzierte. Während ein Gandhi sich mit Baumwollhosen und Handspindel fotografieren ließ, bestand sie - gerade weil sie den gleichen politischen Zielen verpflichtet war - auf der Experimentierfreude und Freiheit der Moderne.