Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin:Todesmetaphern aus Theresienstadt

Ausstellung Jüdisches Museum Berlin

Bedřich Fritta: "Verhaftung", 1943/44 

(Foto: Jens Ziehe / Dauerleihgabe von Thomas Fritta-Haas)

Augen voller Wut, ausgemergelte Körper und eine malerische Liebeserklärung an seinen dreijährigen Sohn Tommy: Mit ganzer Wucht trifft den Besucher die Ausstellung "Bedřich Fritta - Zeichnungen aus dem Ghetto Theresienstadt". Lange versteckt, offenbaren die Bilder die Lügen des Lagerlebens im Vorzeige-KZ.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Es ist das erste Bild, das den Besucher der Ausstellung "Bedřich Fritta - Zeichnungen aus dem Ghetto Theresienstadt" im Jüdischen Museum in Berlin empfängt. Und es haut ihn gleich um. Riesige Augen starren den Betrachter an, aus eingefallenen Gesichtern, in übergroßen Köpfen, auf halbverhungerten Körpern. Augen voller Ohnmacht, Angst und auch Wut.

Der Blick wirkt vorwurfsvoll, das ist selten für Bilder aus Konzentrationslagern, wo die Häftlinge meist eher resigniert, tragisch, hoffnungslos, gebrochen wirken. Das liegt unter anderem daran, dass wir Gesichtsausdrücke von KZ-Insassen meist von Fotos kennen. Hier aber ist es dem Künstler, einem Karikaturisten, gelungen, eine Haltung in seine Bilder einzuweben. Und die lautet: Wut und Unverständnis. Das ging natürlich nur heimlich.

"Arbeitsantritt" heißt die Tuschezeichnung, die Bedřich Fritta 1942/44 im Konzentrationslager Theresienstadt fertigte. Kurz darauf entdeckte die SS die im Geheimen gezeichneten Bilder über den Alltag im Ghetto und brachte den Künstler, seine direkten Arbeitskollegen und seine Familie wegen "Gräuelpropaganda" ins Gestapogefängnis, wo seine Frau Johanna verstarb. Fritta wurde daraufhin nach Auschwitz transportiert, wo auch er an Entkräftung starb. Einen Großteil seiner Bilder hatte er zuvor noch vor den Nazis verstecken können. Sie sind nun in Berlin zu sehen - und dokumentieren und kommentieren das Leben im Vorzeige-KZ Theresienstadt: beeindruckend, unheimlich, unmittelbar.

Der tschechisch-jüdische Grafiker und Karikaturist Bedřich Fritta, 1906 in Böhmisch Weigsdorf (heute Višňová) als Fritz Taussig geboren, ließ sich um 1930 in Paris zum Künstler ausbilden und arbeitete danach als technischer Zeichner, Werbegrafiker und Karikaturist in Prag. Unter anderem für die Exil-Ausgabe der Münchner Karikaturen-Zeitschrift Simplicissimus. Als er 35 Jahre alt ist und sein Sohn Tomáš noch nicht mal ein Jahr alt, wird die Kleinfamilie von der SS ins Ghetto Theresienstadt deportiert.

Anschein der Normalität

Theresienstadt ist ein Arbeitslager, das den Anschein der Normalität wahren soll. Hierhin werden viele Künstler und ältere Juden verschleppt, die als prominent galten - unter anderem die Mutter von Kurt Tucholsky, Doris Tucholsky, und der ehemalige Theaterdirektor von Karlsbad, Oscar Basch, kamen hier um. Die Nazis bauten in diesem Lager zu Propagandazwecken gezielt Strukturen auf, die der Weltöffentlichkeit vorgaukeln sollten, dass hier ein normales Leben geführt werde. Dazu wurde unter anderem ein Zeichenstudio eingerichtet; der Grafiker Fritta sollte es führen. Und zusammen mit weiteren Künstlern unter anderem Baupläne für die Nationalsozialisten und Propagandamaterial anfertigen.

Einige dieser Auftragsarbeiten sind in der Ausstellung nun ebenfalls zu sehen. Sie zeigen in romantischen Farben und mit den damals üblichen stilistischen Mitteln Männer mit kantigem Kinn, die zielgerichtet und fleißig ihr Handwerk ausüben. Die Bilder hingegen, die Fritta im Geheimen malte, zeigen das genaue Gegenteil - und sind auch stilistisch so entgegengesetzt, dass man kaum glauben mag, dass diese beiden Bildtypen tatsächlich vom selben Künstler stammen.

In den Zeichnungen, die der Künstler freiwillig und unter größter Gefahr malte, wird das Lagerleben lebendig. Sie sind allesamt aus Tusche und sehr düster. Die unterschiedlichsten Lagerszenen werden gezeigt, von eingepferchten Insassen in überfüllten Kellergewölben über verlassene Gepäckstücke mit deutlich sichtbaren Nummern, deren Inhaber abtransportiert worden waren, bis zum Warten auf den Todeszug nach Auschwitz. Die Schau legt Wert darauf, zu zeigen, dass Frittas Bilder nicht nur als Zeitzeugen fungieren, sondern auch künstlerisch überaus wertvoll sind. Aufgeteilt in Kategorien wie "Todesmetaphern", "Überzeichnungen" oder "Phantasmagorien", zeigen die Bilder des Künstlers stark kommentierende und oft auch überzeichnende Haltung zum Geschehen in Theresienstadt.

Was vom Vater übrig blieb

Da werden die Häftlinge, die auf Dachböden ihr karges Dasein fristen, übergroß gezeichnet, um die Enge und die lebensfeindliche Umgebung darzustellen, unter denen die Menschen hausten. Die Häuser der Dächer haben Augen, die halbverhungerten Ghettobewohner ähneln stilisierten Skeletten, und die Köpfe der zum Tode Geweihten sind teils so riesig, dass sie kaum noch menschlichen Gestalten ähneln. Auf einem Bild scheint die Hure Babylons ein grausam vergnügtes Tänzchen mit dem Krieg aufs Parkett zu legen, auf einem anderen stützt ein Wagen voller Leichen die windschiefen Fassaden der Vorzeige-Kaufläden, die mit dem enteigneten Hab und Gut der jüdischen Gefangenen einen Vorzeige-Handel betrieben - für die Augen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, das sich hier einen Eindruck von der angeblichen Harmlosigkeit des Lagers verschaffen sollte.

Der Karikaturist hat mit seinen wütenden Tusche-Zeichnungen ganze Arbeit geleistet. In seiner Überzeichnung und Stilisierung wird das Ausmaß der Verlogenheit, Täuschung, Doppelmoral, Hinterlist, Brutalität und menschlichen Kälte sichtbar, die allein in diesem Ghetto beziehungsweise durch die Deportation nach Auschwitz mehr als 100.000 Menschen das Leben gekostet hat.

Zeichnungen voller Hoffnung

Ausstellung Jüdisches Museum Berlin

Bedřich Fritta, "Für Tommy zum dritten Geburtstag in Theresienstadt 22.1.1944".

(Foto: Jens Ziehe)

Ihm selbst konnten seine Zeichnungen nicht mehr helfen. Als sie entdeckt wurden, war Fritta dem Tode geweiht. Dem heutigen Betrachter allerdings können sie helfen, zu verstehen. Sich in die Lage eines Insassen zu versetzen, der mit all seinen Träumen und Hoffnungen und Werten vollkommen unverschuldet in die Hölle versetzt wurde.

Und sie können seinem Sohn helfen, Thomas (Tomáš) Fritta-Haas, den der Künstlerkollege und Freund seines Vaters, Leo Haas, später adoptierte. Haas' Frau Erna nahm sich nach dem Tod der Mutter des kleinen Tomáš an; Leo Haas überlebte Auschwitz.

"Für Tommy" heißt das Buch, das Bedřich Fritta seinem Sohn hinterlassen hat. Er hat es zu dessen dritten Geburtstag im Ghetto gezeichnet. Diese Bilder sind noch mal anders als die förmlichen Auftragsarbeiten für die Nazis oder die düsteren Karikaturen aus Theresienstadt: Sie zeigen Tommy als Baby, wie er sich selbst im Spiegel betrachtet, mit dem Löffel auf den Tisch haut oder aus dem Fenster auf den Hof schaut, die Beinchen nackt, die Bäckchen dick, am Hinterkopf stehen ein paar Haare drollig in die Luft. Unbeschwert, nahezu vergnügt wirken die sanft kolorierten Zeichnungen, die Fritta für seinen Sohn gefertigt hat und in denen er auch davon träumt, wie sie gemeinsam Reisen unternehmen in ferne Länder, weit weg von Theresienstadt.

Für den Vater blieb diese erträumte Welt ein Sehnsuchtsort. Es gibt wenig Traurigeres, wenig Existenzielleres und wenig Anrührenderes zu sehen in dem vor Exponaten und weiteren Ausstellungen fast berstenden Jüdischen Museum als dieses bunte Zeichenbuch voll unerfüllter Hoffnung. Es ist das Einzige, was dem Sohn vom Vater blieb.

Ausstellung "Bedřich Fritta - Zeichnungen aus dem Ghetto Theresienstadt", noch bis 25. August im Jüdischen Museum Berlin, Lindenstr. 9 - 14.

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