Süddeutsche Zeitung

Ausstellung im Jüdischen Museum Hohenems:Was Sie schon immer über Juden wissen wollten

Haben Juden große Nasen? In einer aktuellen Ausstellung wird den häufigsten Fragen zur jüdischen Kultur und Geschichte nachgegangen - auch jenen, die sich niemand zu fragen traut. Mit viel Ironie werden den Besuchern Antworten in Form von Kunstwerken oder Filmszenen gegeben.

Cathrin Kahlweit

Zbigniew Libera hat eine Vorliebe dafür, Gebrauchsgegenstände umzubauen, er nennt das "korrigieren". Vor mittlerweile 16 Jahren korrigierte der polnische Künstler ein Kinderspiel; er orderte eine Packung Legosteine und bastelte daraus ein Mini-Konzentrationslager - komplett mit Stacheldraht, Krematorium und Leichen. Das Kunstwerk machte Furore. Empörte Kritiker mahnten, der Pole mache den Holocaust lächerlich, wenn er seine kleinen Legomännchen Massenmord spielen lasse; jüngst hat das Museum für Moderne Kunst in Warschau das "Lego Concentration Camp Set" angekauft.

Eine von den drei Versionen, die Libera erstellte, ist jetzt auch im Jüdischen Museum der kleinen österreichischen Stadt Hohenems zu sehen. Das böse Spiel ist hier nicht mehr Streitpunkt, sondern beiläufiger Bestandteil einer Sonderausstellung mit dem Titel "Was Sie schon immer über Juden wissen wollten . . . aber nie zu fragen wagten" - und Museumsdirektor Hanno Loewy wundert sich über den Reflex, der bisher schon alle Ausstellungsmacher wunderte, seit Liberas Kunstwerk erstmals öffentlich gezeigt wurde: "Nicht wenige Menschen halten das Lego-Lager tatsächlich für echt. Glauben sie wirklich, dass Kinder damit gespielt haben?"

Was ist echt, was Kunst, was historisches Dokument? Was Vorurteil, was Fakt? Was gar nur ein Spaß? Mit diesen Fragen spielt die Ausstellung, die - durchaus programmatisch - mit dem Konterfei eines karikaturistisch verfremdeten Woody Allen wirbt: Was will ich über Juden erfahren, was ist gängiges, aber gern geglaubtes Klischee? Was geniert man sich immer zu fragen? Haben Juden wirklich große Nasen? Sind jüdische Witze besonders lustig und sind lustige Witze besonders jüdisch?

Soll es zwei Staaten geben, einen für Juden, einen für Palästinenser? Die kleine, unterhaltsame, bisweilen polemische, immer hochpolitische Schau wird sinnigerweise im Keller des Museums, unterhalb der Stockwerke mit der Dauerausstellung zur Geschichte der Hohenemser Juden gezeigt. 23 Stationen haben die Kuratoren, Loewy und Hannes Sulzenbacher, aufgebaut, 23 Fragen gestellt. Und sie mit Kunstwerken, Filmausschnitten, Sentenzen, Objekten, Texten beantwortet. Und mit Witzen natürlich auch.

Harley Swedler, ein kanadischer Künstler, kommentiert die Überlegung "Wo können Juden heimisch werden?", indem er in seinem Kurzfilm "Edelweiss" nackt auf einer wildromantischen Lichtung im hohen Gras sitzt und in verschiedenen Stimmlagen, süßlich singend, ein europäisches Volkslied verballhornt.

Weil er in Europa und doch überall und nirgends zuhause ist? Weil man sich die Kultur, die man lebt, zu eigen macht und sich damit Heimat schafft? Weil heimisch sein oder werden dürfen für viele Juden eine vergebliche Sehnsucht war, deren Verweigerung nur mit Selbstironie oder Überhöhung zu ertragen war?

Stefan Zweig antwortete auf die Frage danach, wo Juden heimisch sein könnten, sieben Jahre vor der Ausrufung des Staates Israel trocken: "Am Tage, da ich meinen Pass verlor, entdeckte ich mit 58 Jahren, dass man mit seiner Heimat mehr verliert als einen Fleck umgrenzter Erde."

"Darf man Jude sagen?"

Loewy hatte die Idee zur Schau auch deshalb, weil die Hohenemser Museumsführer so häufig so schwierige Fragen gestellt bekommen, deren Beantwortung sie bisweilen überfordert, und tatsächlich: Welcher Führer etwa in der Petersburger Eremitage könnte mühelos die Frage beantworten, warum die Rückgabe der Beutekunst sich so lange hinzieht? Welcher Führer in Hohenems, das mehr als 300 Jahre lang eine stetig wachsende, Arbeitsplätze und Schulen, Gesangsvereine und Armenhäuser, Frauen- und Lesevereine schaffende jüdische Gemeinde beherbergte, muss wissen, ob "alle Juden nach Israel gehören" oder "warum es so schwierig ist, mit Juden über Israel zu diskutieren"?

Fragen bezeugen Interesse, und Interesse ist der Beginn einer Auseinandersetzung, dachten sich die Kuratoren, also fragten sie die Vorarlberger und ihre Besucher, sie schauten sich im Internet um, und dann filterten sie, welche Fragen mehr über den aussagen, der sie stellt, als über den, der sie beantworten soll. Und wieso man durch Fragen verunsichert ist, die doch so harmlos daherkommen.

"Darf man Jude sagen?" heißt es da etwa, und als Antwort wird ein Mikrofon präsentiert, in welches der Besucher laut sagen soll: Du Jude! Oder: Sind Sie Jude? Oder: Jude, Jude, Jude. Erwischt, das fällt schwer. Warum? Ein Ziel ist erreicht: "Die Objekte verstören, und die Exponate eröffnen einen Raum aus Widersprüchen und Widerhaken, in denen man selbst denken muss", sagt Hanno Loewy.

Der größte Widerhaken allerdings ist all das, was in den zwei Stockwerken über "Was Sie schon immer über Juden wissen wollten" und draußen vor der Tür zu sehen ist: Einst gab es ein großes jüdisches Viertel in Hohenems, es gab eine Judenstraße und eine Christenstraße, einen jüdischen Bürgermeister und jüdische Industrielle, die so integriert und assimiliert waren, dass Ende des 19. Jahrhunderts wohl fast jeder Hohenemser Jude gesagt hätte: Hier bin ich heimisch.

Vierzig Jahre später waren von diesen noch acht Juden übrig, eine der letzten, die deportiert wurden - zuerst nach Wien und dann nach Theresienstadt -, war Clara Heimann-Rosenthal, in deren Villa sich jetzt das Museum befindet. Kurz vor ihrem Tod schreibt sie 1942 aus Wien eine Postkarte, in der sie zeigt, wie sie erträgt, was sie ertragen muss: mit unendlicher Würde und mit Selbstironie.

Sie schreibt von Frostbeulen und träumt von einer guten Mahlzeit und dann antwortet sie auf die wichtigste Frage, die in der Luft liegt: Ob und wie man sich wiedersehen werde nach dieser Zeit der Not und Verzweiflung? "Etwas schlanker hoffentlich, aber das macht ja nichts."

Bis 7. Oktober im Jüdischen Museum Hohenems (www.jm-hohenems.at)

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SZ vom 02.04.2012/mapo/pak
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