Ausstellung:Im Fadenkreuz

Ausstellung: Mit Kreuzstich bestickt, mit Fäden bedeckt: Die Arbeit von Ronit Agassi zur fünften Jahreszeit bleibt rätselhaft.

Mit Kreuzstich bestickt, mit Fäden bedeckt: Die Arbeit von Ronit Agassi zur fünften Jahreszeit bleibt rätselhaft.

(Foto: Jens Weber, München)

Die israelische Künstlerin Ronit Agassi mit "The Fifth Season" im NS-Dokumentationszentrum

Von Evelyn Vogel

Man sollte sich von dem Titel "Die fünfte Jahreszeit" nicht in die Irre führen lassen. Weder handelt es sich um den vorgezogenen Auftakt zur Faschingssaison, noch um eine verfrüht ausgerufene Starkbierzeit. Bei der zeitgenössischen Ausstellung "The Fifth Season" im Münchner NS-Dokumentationszentrum geht es dem Ort angemessen um etwas ganz anderes und sehr viel ernsteres. Obwohl viele der Objekte der israelischen Künstlerin Ronit Agassi auf den ersten Blick durchaus etwas Leichtes und Heiteres ausstrahlen. Beim zweiten Blick gefriert einem dann aber mitunter das Lächeln auf den Lippen.

Mithin am deutlichsten geschieht dies beim Herbstlaub. Schnell erkennt man, dass die mit Kreuzstichen auf echte Blätter gestickten Porträts Hitler, Himmler und andere Nazi-Größen - umgeben von angedeuteten Hakenkreuzen - darstellen. Dass Agassi die Blätter in Grunewald gesammelt hat, jenem Stadtteil Berlins, von dem aus während der NS-Zeit Tausende Berliner Juden in die Vernichtungslager deportiert wurden, bindet die Arbeiten noch enger an die Zeitgeschichte an. Überhaupt stehen historische Ereignisse vielfach im Mittelpunkt von Agassis künstlerischer Arbeit. Das reicht von persönlichen Ängsten und Erlebnissen über Erinnerungen an Einzelschicksale bis hin zu allgemeingültigen Themen wie Krieg und Frieden.

Ronit Agassi, 1948 im Kibbuz Merhavia im Norden Israels geboren, wurde geprägt vom Trauma des Holocaust, vom Überlebenskampf des neu gegründeten Staates Israel, von Krieg und Militär, vom Mythos einer kollektiven, landwirtschaftlichen Utopie, aber auch vom oft strengen Leben in den Kibbuzim in Israel. Ähnlich wie bei der Künstlerin Efrat Natan, die vor gut einem Jahr in der Villa Stuck ausstellte und die Teile ihrer Kindheitserinnerungen künstlerisch verarbeitete, hinterließ die Distanz zu den Eltern - die Kinder schliefen im Kibbuz getrennt von ihnen - offensichtlich traumatische Erfahrungen.

Die Ausstellung "The Fifth Season" ist in fünf Kapitel gegliedert und beginnt - dem jüdischen Kalender gemäß - im Herbst. Die Laubarbeiten in verschiedenen Variationen (in Leuchtkästen, einem Kinder-Betstuhl und in Vitrinen) stehen im Mittelpunkt. Von ihnen und den Gesichtern der Männer des Todes ragt ein roter Faden zu einer auf einem Münchner Flohmarkt gefundenen Spinnerin. Agassi, die schon zweimal als Stipendiatin in der Villa Waldberta zu Gast war, nennt sie liebevoll "Gretchen". Womit sie an die Schicksalsfrage erinnert: Wer entscheidet darüber, wer lebt und wer stirbt.

Im Mittelpunkt des "Winters" stehen mit Perforationen, Zeichnungen und Stickereien gestaltete Blätterreihen an der Wand, die bei Luftbewegung wie trockenes Laub auf dem Waldboden aufwirbeln. Ein Regenschirm vereint Motive von Kampf und Tod, von Familie, Kindheit und engelhaften Wesen. In einem Glaskubus hat sie mit Zinnsoldaten der Erinnerung an Krieg und Grausamkeit ein Denkmal gesetzt. Ein großes Tableau mit Steinen - zum Teil zerschnitten, zum Teil mit Fäden umwickelt, zusammengehalten, geheilt - bildet den "Frühling". Es ist das am meisten rätselhafte Objekt in der Ausstellung mit Bezügen zu Strawinskys "Sacre" und heidnischen Ritualen. "Sommer" mit Paneelen, Sonnenrändern, Spielzeug und Plattenspieler im Mittelpunkt ist eine Hommage an den koranisch-amerikanischen Komponisten Donald Sur, dessen Oratorium "The Slavery Documents" auch in einer Videoinstallation in der fünften Jahreszeit anklingt.

In deren Mittelpunkt steht das vielleicht grausamste, vielleicht aber auch hoffnungsvollste Objekt der Ausstellung. Einer Ausstellung, die sich diametral zwischen den beiden Polen Angst, Hass, Kampf, Vernichtung einerseits und Freude, Friede, Überleben, Zuversicht andererseits aufspannt. Das Kinderbettchen auf einem Notenständer ist mit dem hebräischen Schriftzug "der müde Soldat" bestickt. Die Fäden ziehen sich bis ans Kopfende, wo ein Soldatenfigürchen sich in einem eingelassenen Spiegel wie in einem Sonnenkranz spiegelt, so dass der Effekt des Eingangs in die Unendlichkeit hervorgerufen wird. Offen bleibt die Frage, ob der Soldat nur noch einmal ruht, bevor er in den nächsten Kampf zieht, oder den ewigen Frieden, also den Tod, gefunden hat. Ein starkes Bild der Ausstellung einer Künstlerin, die in ihrem Parcours auf poetische Weise Allgemeingültiges mit Persönlichem verbindet.

Ronit Agassi: The Fifth Season, NS-Dokumentationszentrum, Max-Mannheimer-Platz 1, bis zum 5. Mai, Di.-So. 10-19 Uhr, Künstlergespräch am Do., 14. Feb., 17.30 Uhr

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